Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Streich freut sich aufs Streitobjekt
Weshalb der SC Freiburg vor Gericht weiter um seine neue Arena kämpft und wann im SC-Stadion gespielt wird
FREIBURG - Zumindest im Kopf hat Christian Streich schon eine genaue Vorstellung. „35 000. Leichter Nieselregen. Nicht zu heiß. Richtig Fußball. Flutlicht“, zählte der Trainer des SC Freiburg seine Wünsche für das erste Spiel der Breisgauer in ihrem neuen Stadion auf. Der Gegner ist zweitrangig. „Gegen irgendjemand, keine Ahnung, egal gegen wen. Anpfeifen und los. Und dann: Akustik, Spiel, Stadion, danach gehen alle heim und freuen sich miteinander.“
Bis es so weit ist, muss sich der 55Jährige allerdings noch gedulden. Nicht nur weil aufgrund der CoronaPandemie aktuell keine Zuschauer erlaubt sind und die gewünschte Akustik vorerst ausbleiben wird. Vor allem, weil das neue SC-Stadion noch nicht fertig ist – was sich aber offenbar noch nicht überall in der Bundesliga herumgesprochen hat. So machte der Mannschaftsbus des VfB Stuttgart auf dem Weg in den Breisgau im Januar einen wohl eher ungewollten Abstecher zur künftigen Spielstätte der Freiburger, das elf Kilometer vom Schwarzwaldstadion liegt, in dem der SC aktuell noch spielt – und sorgte so für einige Lacher im Netz.
Dabei hätte das Südwest-Derby nach ursprünglichem Plan tatsächlich schon im neuen SC-Stadion stattfinden sollen. Ziel bei der Grundsteinlegung im November 2018 war die Fertigstellung im Sommer 2020 und die Eröffnung zum Auftakt der neuen Saison im August. Mehr als acht Monate später ist aber noch immer nicht ganz klar, wann der Ball im Freiburger Westen endlich rollen wird. Dass der Zeitplan, innerhalb von nur 21 Monaten eine Arena für 34 700 Zuschauer auf die grüne Wiese beim Flughafen zu bauen, sehr ambitioniert ist, war von Anfang an klar. Deshalb planten die Freiburger Verantwortlichen für die Spielzeit 2020/21 stets mit beiden Stadien. Eine kluge Entscheidung, wie sich wenige Monate später herausstellte: Im Frühjahr 2020 kam Corona und mit der Pandemie große Probleme auf der Baustelle. Lieferengpässe von Waren (etwa Fliesen und Betonwerksteine, Kühlgeräte, Elektrokomponenten oder auch Beleuchtungselemente) und Personalausfall, der sowohl inländische als auch ausländische Firmen betraf, sorgten für große Verzögerungen.
Doch ein Ende ist in Sicht, die Arbeiten am neuen Freiburger Schmuckstück befinden sich in der Endphase: Der Außenbereich ist bis auf wenige Einzelbereiche fertiggestellt, beim Innenausbau stehen noch letzte Arbeiten wie Elektrik und Haustechnik aus. Im Verhältnis zum 76,5 Millionen Euro teuren Großprojekt nur noch Kleinigkeiten. Dennoch muss die Eröffnung weiter warten. „Wir gehen davon aus, dass wir die aktuelle Saison im Schwarzwald-Stadion zu Ende spielen werden und ein Spielbeginn im neuen
Stadion zur neuen Saison realistisch ist“, teilt der Sportclub auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit.
Ob Streich dann auch seinen Wunsch von einem Flutlichtspiel erfüllt bekommt, ist aber mehr als fraglich. Nach der Beschwerde einiger Anwohner kam der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof im vergangenen September in einem monatelangen Streit zu der Entscheidung, dass der SC Freiburg in seiner neuen Arena vorläufig keine Abendspiele der Bundesliga ausrichten darf. Freitagsspiele scheiden damit ebenso aus wie Partien an Sonntagen zwischen 13 und 15 Uhr. Es bleiben also nur die Anstoßzeiten am Samstag (15.30 und 18.30 Uhr) und Sonntagnachmittag (15.30 und 18 Uhr). Ein kleiner Trost: Spiele im DFB-Pokal dürften in der neuen Arena dagegen auch in den Abendstunden stattfinden und gegebenenfalls auch in die Nachtzeit – ab 22 Uhr – hineinreichen. Auch Partien im Europapokal wären den nicht für den internationalen Wettbewerb qualifizierten Freiburgern in diesen Zeiten erlaubt. Beide gelten laut Urteilsbegründung „als seltene Ereignisse im Sinne der
Sportanlagenlärmschutzverordnung“.
Das Rechtsverfahren hatte zuvor bereits weite Kreise gezogen und sich zu einem juristischen Kuriosum entwickelt. Im Oktober 2019 entschied der VGH Baden-Württemberg, dass der Bundesligaclub sein neues Stadion aufgrund von Lärmschutzvorschriften nur eingeschränkt werde nutzen dürfen. Der VGH gab damals sechs Anwohnern recht, die gegen die Baugenehmigung des Stadions geklagt hatten. Das Problem: Die Richter hatten sich auf veraltete Lärmschutzgrenzwerte bezogen. Das Urteil sorgte bundesweit und sogar im Ausland für Aufsehen und Spott. „No noise please, we’re German“(zu Deutsch. „Kein Lärm bitte, wir sind deutsch“), scherzte etwa die englische Zeitung „The Guardian“.
Noch hat der SC aber nicht aufgegeben und hofft auf eine Aufhebung des Abend- und Sonntagsspielverbots. „Der Beschluss vom September 2020 und die Argumentation des Verwaltungsgerichtshofs sowie die daraus abgeleiteten Nutzungseinschränkungen für das neue Stadion sind aus
Trainer Christian Streich kann das erste Spiel im SC-Stadion kaum erwarten
Sicht des SC Freiburg nach wie vor nicht nachvollziehbar, da das VGH damit von oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen anderer Bundesländer abgewichen ist“, schreibt der Club. „Wir sind weiterhin zuversichtlich, dass unsere Argumente im Hauptsacheverfahren am Verwaltungsgericht Freiburg überzeugen werden und die Rechtsfrage gegebenenfalls höchstrichterlich zu unseren Gunsten geklärt wird.“
Mit einer schnellen Lösung rechnet im Verein aber offenbar niemand. Vorsorglich hat der Sportclub auch für die kommende Saison sowohl die neue Arena als auch das Schwarzwald-Stadion als Spielstätten angemeldet. Eine zusätzlich finanzielle Belastung für den badischen Traditionsclub, der aufgrund der hohen Baukosten und der fehlenden Zuschauereinnahmen in der Corona-Saison sowieso schon kämpfen muss. „Die Corona-Effekte haben uns auch schon im abgelaufenen Geschäftsjahr wirtschaftlich hart getroffen – und das wird aller Voraussicht auch in der kommenden Spielzeit so sein“, sagte Oliver Leki, Vorstand Finanzen, Organisation und Marketing, bereits im vergangenen September. Wie hoch die Umsatzeinbußen tatsächlich sind, wollte der SC auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht sagen, verwies aber auf Borussia Dortmund, deren Geschäftsführung zuletzt von 2,5 bis drei Millionen Euro fehlenden Ticketeinnahmen pro Heimspiel sprach. Bei gut einem Drittel so vielen Plätzen dürften es in Freiburg also etwa eine Million pro Heimspieltag sein. Diese Verluste habe man aber bereits vor der Saison in der Finanzplanung berücksichtigt, weshalb Leki auch sagen kann: „Wir sind wirtschaftlich stabil, sodass sich unsere Mitglieder und Fans keine Sorgen machen müssen.“
Dennoch ist die Hoffnung beim SC groß, schon bald im neuen Stadion vor vollen Rängen und gut gebuchten Sponsorenlogen – einer der Hauptgründe für den Neubau – spielen zu können. „Unsere Vorfreude ist sehr groß, da der Großteil des Vereins an der Planung und Umsetzung des neuen Stadions beteiligt war“, schreibt der Verein und betont, dass es von Anfang an ein großes Anliegen war, „die heimelige Atmosphäre, die Werte und die besondere Stimmung des Schwarzwald-Stadions ins neue Stadion zu transportieren. Zudem war es wichtig, dass die neue SC-Heimat zum Verein, zur Stadt und der Region passt – und darüber hinaus etwas Besonderes darstellt.“Zumindest bei Christian Streich hat das bereits geklappt. Ein Besuch in der fast fertigen Arena entlockte dem Trainer ein einfaches „Geil, das ist echt geil.“Jetzt fehlen nur noch 35 000, leichter Nieselregen, Flutlicht und der passende Gegner.
„Anpfeifen und los. Und dann: Akustik, Spiel, Stadion, danach gehen alle heim und freuen sich miteinander.“