Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Landkreis will Innovationen belohnen
Kreisverwaltung stellt Ziele der „Agenda Erneuerbare Energien“vor – Preis zu vergeben
KREIS RAVENSBURG - Die Sonne im Landkreis Ravensburg scheint „oft und kräftig“, sagt Landrat Harald Sievers, weswegen die Kreisverwaltung die Solarenergie vorantreiben will. Doch Sonnenenergie ist nicht alles, denn mit der „Agenda Erneuerbare Energien“verfolgt die Kreisstrategie das Ziel, den allgemeinen Anteil an regenerativ erzeugter Energie zu steigern. Bei 1700 Sonnenstunden pro Jahr im Landkreis spielt die Solarenergie eine übergeordnete Rolle. Der Landkreis will dabei auch neue Wege gehen und Pilotprojekte fördern sowie Innovationspreise vergeben.
Das vom Kreistag verabschiedete Energieleitbild des Landkreises ist durchaus ambitioniert, denn es sollen Ziele des Bundes, des Landes und der EU nicht nur umgesetzt, sondern sogar übertroffen werden, wie die Kreisverwaltung beim Pressetermin am Dienstag im Kreishaus I erläuterte. So sollen bis zum Jahr 2030 mehr als 55 Prozent des landkreisweiten Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien abgedeckt werden. Bis zum Jahr 2050 sogar 100 Prozent.
Bisher können laut Landratsamt rund 47 Prozent des Stromverbrauchs und etwa 17 Prozent des Wärmeverbrauchs im Kreis Ravensburg regenerativ erzeugt werden. Auch im Bereich Verkehr müsse der Anteil an erneuerbaren Energien erhöht werden. Neben der Umstellung auf alternative Antriebstechniken helfe die Bereitstellung von Strom aus erneuerbaren Energien sowie unter anderem der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs.
Das größte vorhandene Potenzial im Kreis Ravensburg hat weit vor der Wasser- und auch der Windenergie die Solarenergie. Auf dem Weg zum „Solarlandkreis Nummer eins“sind sowohl die Bürger als auch die 39 Kommunen und Gemeinden aufgerufen, beim Erreichen des Ziels kräftig mitzumachen, so das Landratsamt. Denn allein mit der künftigen Bestückung der kreiseigenen Gebäude mit
Photovoltaikanlagen ist das Ziel nicht zu erreichen („Kreis Ravensburg will Solarlandkreis Nummer eins werden“, SZ vom 15. April).
Um die Sonnen-Energiewende voranzutreiben, hat die Kreisverwaltung mehrere Handlungsfelder erarbeitet. Im Bereich Eigenstromerzeugung sollen auf Landkreis-Gebäuden Photovoltaikawnlagen installiert werden (bei Neubauten oder Sanierungen). Auch Städte und Gemeinden sollen sich auf ihren Gebäuden mehr engagieren. Weiteres Handlungsfeld sind Innovationen, Pilotvorhaben und neue Projekte, die unterstützt und vorangetrieben werden sollen. So soll es beim Innovationspreis der kreiseigenen Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft (WiR) die Sonderkategorie „Solarenergie“geben.
Zum Handlungsfeld Bildung und Beratung gehören Beratungen der Energieagentur Ravensburg (beispielsweise über Webinare, zuletzt am Montag mit knapp 100 interessierten Bürgern), Informationsflyer und in Schulen soll das Thema Solarenergie über das Projekt „Energieversorgung Schul- und Verwaltungsquartier Ravensburg“in den Unterricht einbezogen werden.
Auch eine Kommunikationskampagne soll die ambitionierten Ziele unterstützen. So will der Landkreis den Online-Solaratlas (die Potenziale des eigenen Dachs vom Sofa aus erforschen) der Energieagentur mehr bewerben und einen Fotowettbewerb für Stecker-Solargeräte (für private
Balkone) ins Leben rufen. Eine Datenbank für Solarpaten und Photovoltaik-Spaziergänge gehören ebenfalls dazu. Im Handlungsfeld Monitoring soll die eigene Entwicklung, auch im Vergleich zu anderen Regionen und Landkreisen, transparent dargestellt werden.
Besonders im Fokus stehen im Bereich Innovationen und Pilotvorhaben drei Bereiche: Schwimmende Photovoltaik-Anlagen (beispielsweise auf Stauseen, bisher gibt es solche Anlagen noch nicht im Kreis), die Agrophotovoltaik und Photovoltaik als Parkplatzüberdachung. So wird im Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee in Bavendorf eine Versuchsanlage zur Erforschung der Agrophotovoltaik im Erwerbsobstbau aufgebaut. Derzeit laufen Gespräche mit dem Zweckverband OEW über eine Beteiligung.
Beim Bereich Parkplatzüberdachungen werden derzeit kreisweit langfristig relevante Flächen sowie das Stromerzeugungspotenzial erhoben. Wer ab 1. Januar 2022 einen Parkplatz mit mehr als 75 Stellplätzen errichten will und den Bauantrag einreicht, müsse gemäß aktualisiertem Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg die Pflicht zur Installation einer Photovoltaikanlage beachten, verdeutlichte Iris Steger, Kreisentwicklungsdezernentin des Landkreises, beim Pressetermin.
Auch Freiflächen-Photovoltaik (auf freien Flächen in der Landschaft) soll verstärkt in Betracht kommen. Zudem spielen auch Photovoltaikanlagen
als Ersatz von Hagelnetzen beim Obstanbau eine Rolle. Die Obstplantagen im Kreis Ravensburg summieren sich laut Steger auf 1700 Hektar.
Aber auch Photovoltaik-Elemente auf Lärmschutzwänden oder auf Fassaden bieten vielfältige Möglichkeiten, so die Kreisverwaltung. Ein Vorteil von Solarenergie sei zudem, dass sie im Gegensatz zur Windenergie weniger Konfliktpotenzial habe. Grundsätzlich sei die gesamte Agenda ein „Langstreckenläufer“, sagte Sievers beim Pressetermin.
Am Nachmittag präsentierte die Kreisverwaltung das Konzept bei einer digitalen Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Mobilität des Kreistags. Aus dem Gremium gab es vorwiegend positive Rückmeldungen, aber auch Verbesserungsvorschläge. Bruno Sing (Grüne) bemängelte, dass Genehmigungsverfahren zu lange dauern würden und Investoren bisher abgeschreckt hätten. Es sei erfreulich, dass die Kreisverwaltung hier neue Wege gehen wolle. Roland Dieterich (FDP) forderte mehr wirtschaftliche Anreize, damit Unternehmen mehr tun im Bereich Photovoltaik.
Martin Weiß (Grüne) wies beim Thema Flächenphotovoltaik auf die Flächenverluste für die Landwirtschaft hin. Bereits jetzt hätten Landwirte großen wirtschaftlichen Druck. Photovoltaikanlagen als überdachten Ersatz von Hagelschutznetzen fand er hingegen gut. Dem schloss sich Waldemar Westermayer (CDU) an und forderte, erst Flächen zu suchen, die nicht mit der Landwirtschaft konkurrieren (Stichwort Nahrungsmittelproduktion).
Rudolf Bindig brachte für die FDPFraktion den Antrag ein, das Solarpotenzial auf Dächern von Gebäuden in den Städten, Gemeinden und auf Gebäuden des Landkreises zu erhöhen. Der Nutzungsgrad reiche derzeit von elf bis 54 Prozent. Es sollten konkrete Ziele auf einer Zeitachse definiert werden. Sievers schlug vor, Schwerpunkte in Kommunen und Gemeinden auszuarbeiten, wo das Potenzial noch wenig ausgeschöpft werde.