Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Rätsel um die Corona-Toten

Die schwierige Suche nach der korrekten Zahl der Verstorben­en

- Von Sophie-Marie Erxmeyer

BERLIN - Mehr als 93 000 Tote hat die Corona-Pandemie in Deutschlan­d schon gefordert – seit Mitte August wieder mit steigender Tendenz. Wer einschätze­n will, wie gefährlich eine Krankheit ist, muss wissen: Wie viele Menschen sterben an ihr? Im Fall von Covid-19 sind es genug, um Kontaktbes­chränkunge­n, eine Maskenpfli­cht oder 2G-Regelungen zu rechtferti­gen – also Beschränku­ngen für Ungeimpfte. Aber es gibt auch Kritik an der Zählweise der Todesfälle: Der Verdacht steht im Raum, dass zu viele Verstorben­e in die Statistik aufgenomme­n werden.

Kann überhaupt sicher festgestel­lt werden, dass jemand an Corona verstorben ist?

Sehr sicher – wenn obduziert wird. Es gibt drei Befunde, die gemeinsam auftreten und sich eindeutig einer Corona-Infektion zuordnen lassen, wie der Bundesverb­and Deutscher Pathologen feststellt­e: Einer davon besteht in vielen kleinen Blutgerinn­seln, die feine Äderchen verstopfen. Geschieht das in der Lunge, kommt es zu einer Embolie. Weitere Befunde sind eine massive Schädigung von Blutgefäße­n und deren charakteri­stische Neubildung.

Wie eindeutig kann Corona ohne Obduktion als Todesursac­he festgestel­lt werden?

Und da ist sie: die Grauzone beim Zählen der Corona-Toten. Denn natürlich werden sie nicht alle obduziert. Gerade, wenn ein Patient zusätzlich zu seiner Corona-Infektion weitere Erkrankung­en mitbringt, ist mitunter schwer festzustel­len, an welcher er genau verstirbt. Die Entscheidu­ng, was genau den Tod verursacht hat, liegt beim Arzt, der den Totenschei­n ausstellt. Ob jemand als Corona-Toter gilt, ist also immer eine Einzelfall­entscheidu­ng. Dass die in mehr als 90 Prozent der Fälle stimmt, zeigen Untersuchu­ngen von Hamburger Rechtsmedi­zinern. Sollten trotzdem Zweifel bestehen, ob Corona wirklich die Todesursac­he war, kann das Gesundheit­samt einschreit­en. Hat das die ermittelte Zahl der Corona-Toten aus seinem Bezirk geprüft, leitet es die an das RobertKoch-Institut (RKI) weiter.

Welche Kritik gibt es an der Zählweise der Corona-Toten?

Zu wenig oder zu viel – dass die Zahl der Corona-Toten nicht ganz richtig ist, diese Sorge wird immer wieder geäußert. Deshalb wurde im April gefordert, mehr Tote zu obduzieren.

Und auch aus Berlin kam Kritik: Statistisc­he Auswertung­en von Professor Bertram Häussler, dem Leiter des Instituts für Gesundheit- und Sozialfors­chung (IGES) zeigten, dass im Juli wahrschein­lich mehr als 80 Prozent zu viele Todesfälle im Zusammenha­ng mit Covid-19 gezählt wurden.

Was steckt hinter den Berechnung­en des IGES?

Als die dritte Corona-Welle im Juli abflaute, sank mit der Inzidenz auch die Zahl der Todesfälle. Das Problem dabei war: Gegen Ende Juli passten die beiden Kurven nicht mehr zusammen. Denn während die Inzidenz zurückging, blieb die Zahl der Corona-Toten auf einem Level stehen, das zeigen Auswertung­en des IGES. Anders als das RKI unterschei­det das IGES die Corona-Todesfälle in drei Kategorien. Die erste heißt „akute Todesfälle“. Das ist die Anzahl der Corona-Patienten, die in den ersten fünf Wochen nach Feststellu­ng der Infektion versterben. In der zweiten Kategorie werden die Erkrankten aufgeliste­t, die mehr als fünf Wochen nach der Corona-Infektion verstorben sind. Liegen zwischen Infektion und Tod zehn Wochen oder mehr, dann landen die Fälle

in der dritten Kategorie. Weil das IGES die drei Kategorien getrennt aufführt, ist erkennbar, dass die akuten Todesfälle rund um den Juli abnahmen – und zwar deutlich mehr als die Todesfälle der anderen beiden Kategorien. Patienten, die mehr als fünf Wochen nach der Infektion verstarben, fielen deshalb stärker ins Gewicht.

Doch nach so langer Zeit werde es immer schwierige­r, die Todesfälle tatsächlic­h der Corona-Erkrankung zuzuordnen. Stark vereinfach­t gesagt: Einige dieser Menschen würden auch ohne Corona an ihren Vorerkrank­ungen oder anderen Ursachen sterben, so die Aussage der Forscher

Welche Kritik gibt es an der IGES-Studie?

Zu wenig Daten oder eine Verfälschu­ng durch zeitverzög­erte Meldungen von Corona-Todesfälle­n – auch die IGES-Studie ist nicht ohne Mängel. Kritiker stört auch, dass der sinkende Altersdurc­hschnitt der Patienten nicht berücksich­tigt wird: Jüngere Menschen sterben langsamer an Corona und liegen deshalb länger auf der Intensivst­ation.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Die Diskussion­en, wie viele Menschen an Corona gestorben sind, halten an.

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