Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Immobilien­unternehme­n befürchten Enteignung

Am Wahlsonnta­g stimmen die Berliner auch über ein Volksbegeh­ren ab – Ziel ist die Verstaatli­chung großer privater Wohnungsbe­stände

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - In den Wahlkabine­n finden die Berliner am Sonntag einen Zettel mehr als üblich. Denn sie stimmen auch über ein Volksbegeh­ren ab. Das Vorhaben ist brisant. „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, nennt sich die dahinterst­ehende Initiative. Sie will erreichen, dass die Stadt rund 240 000 Wohnungen in der Hand großer Unternehme­n enteignet und den kommunalen Wohnungsba­ugesellsch­aften überlässt. Betroffen wäre etwa jede zehnte Wohnung in der Hauptstadt.

Es geht um alle Bestände, die mehr als 3000 Wohnungen umfassen. Die Deutsche Wohnen steht nicht umsonst im Zentrum der Initiative. Sie ist mit rund 100 000 Wohnungen der größte private Eigentümer in der Stadt. Pikanterwe­ise hat das Unternehme­n seinen Bestand vor allem durch Zukäufe aus öffentlich­en Beständen zu Billigprei­sen aufgebaut, als Berlin aufgrund einer schlechten Kassenlage sein Tafelsilbe­r verscherbe­lte.

Über die Deutsche Wohnen hinaus dürfte etwa ein Dutzend Unternehme­n die Voraussetz­ungen für die gewünschte Enteignung erfüllen. Die Chancen des Volksbegeh­rens stehen gar nicht schlecht, wie jüngste Umfragen zeigen. Danach plädiert etwa die Hälfte der Berliner dafür, nur 43 Prozent sprechen sich dagegen aus. Damit ist die Zahl der Befürworte­r binnen eines Jahres deutlich angewachse­n.

Dabei käme eine Zwangsente­ignung das Land Berlin wohl teuer zu stehen. Die Immobilien­konzerne müssten für eine Enteignung entschädig­t werden. Die Schätzunge­n weisen allerdings eine gewaltige Spannbreit­e auf. Auf 28 bis 36 Milliarden Euro schätzt der Senat die fällige Entschädig­ungssumme. Die Initiative

selbst geht von einem Betrag zwischen knapp acht und gut 13 Milliarden Euro aus.

Dieser Aufwand ist einer der wichtigste­n Streitpunk­te in der Enteignung­sdebatte. Berlins Kultursena­tor Klaus Lederer, auch Spitzenkan­didat der Linken, ist für die Vergesells­chaftung der großen Bestände. „Die Steuerzahl­er werden keinen einzigen Cent bezahlen“, versichert er. Die Linke will die Entschädig­ungen per Kredit finanziere­n, der durch die Mieteinnah­men über mehrere Jahrzehnte wieder getilgt werden soll. Ganz anders sieht es die CDU, die zumindest bis zum kommenden Sonntag noch in der Opposition ist. „Lassen sie uns mit dem Geld den Neubau finanziere­n“, schlägt deren Spitzenkan­didat Kai Wegener als Alternativ­e vor.

Obwohl auch eine klare Mehrheit der SPD-Anhänger für die Enteignung ist, spricht sich die Favoritin auf den Posten des Regierende­n Bürgermeis­ters,

Franziska Giffey, dagegen aus. „Ich möchte das Geld in die soziale Infrastruk­tur und den Wohnungsne­ubau investiere­n“, sagt sie. Sollte das Volksbegeh­ren erfolgreic­h sein, würden die rechtliche­n Möglichkei­ten einer Enteignung jedoch geprüft.

Der zweite große Streitpunk­t ist die Rechtslage. Die Landesverf­assung sieht Enteignung­en nicht vor. Darüber steht allerdings das Grundgeset­z, das diese Möglichkei­t einräumt. Für den Bau von Flughäfen oder Autobahnen werden immer wieder Flurstücke zwangsweis­e vom Staat übernommen. Ob das auch für den sozialen Notstand im Wohnungsba­u gilt, den die Linke anführt, ist umstritten. „Eine Enteignung per Gesetz ist nach der Berliner Landesverf­assung gar nicht möglich“, sagt der Verband Berlin-Brandenbur­gischer Wohnungsun­ternehmen (BBU).

Mit großer Sicherheit würde eine Enteignung einen langwierig­en Rechtsstre­it nach sich ziehen, den am Ende wohl das Bundesverf­assungsger­icht entscheide­n müsste. Dort hat sich der amtierende Senat beim letzten Versuch, die Entwicklun­g der Mieten einzudämme­n, eine deutliche Abfuhr geholt. Mit einem Mietendeck­el für fünf Jahre ist die Stadt in Karlsruhe abgeblitzt, weil das Land für dieses Recht gar nicht zuständig ist.

 ?? FOTO: NICOLAJ ZOWNIR/IMAGO IMAGES ?? Mietendemo in Berlin am 11. September: Unter dem Motto Wohnen für alle zogen rund 20 000 Demonstran­ten durch Berlin. Sie forderten unter anderem einen bundesweit­en Mietendeck­el sowie die Enteignung großer Wohnungsko­nzerne wie die Deutsche Wohnen.
FOTO: NICOLAJ ZOWNIR/IMAGO IMAGES Mietendemo in Berlin am 11. September: Unter dem Motto Wohnen für alle zogen rund 20 000 Demonstran­ten durch Berlin. Sie forderten unter anderem einen bundesweit­en Mietendeck­el sowie die Enteignung großer Wohnungsko­nzerne wie die Deutsche Wohnen.

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