Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Wichtig, dass wir Jugendlichen auch gehört werden“
Leutkircher Schüler plädieren für früheres Wahlrecht – Juniorwahl soll Schülerstimmen abbilden
LEUTKIRCH - Rund 60,4 Millionen Bundesbürger sind am Sonntag bei der Bundestagswahl wahlberechtigt. Ausgeschlossen sind unter anderem alle Schüler, die noch nicht volljährig sind. Das finden sie falsch, erklären Schüler des Leutkircher Hans-Multscher-Gymnasiums (HMG) im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Schließlich gehe es ja auch um ihre Zukunft. Zumindest bei der Juniorwahl, an der neben dem HMG unter anderem auch die Gemeinschaftsschule Leutkirch teilnimmt, können sie aber ihre Stimme abgeben.
Auf dem Tisch vor Maya und Marlene liegt die Wahlliste der Zwölftklässler, die in ein paar Minuten in das provisorische Wahllokal des HMG kommen werden, um ihre Stimme bei der Juniorwahl abzugeben. Die beiden Zehntklässlerinnen haben sich als Wahlhelfer gemeldet. Bei der Juniorwahl dürfen sie auch selbst mit abstimmen, bei der Bundestagswahl am Sonntag nicht. Maya und Marlene sind als 15-Jährige nicht wahlberechtigt. Gut finden das die beiden nicht, sie würden gerne schon vor ihrem 18. Geburtstag mitentscheiden, wer sie im Bundestag vertritt.
„Ich fände es gut, wenn wir früher wählen dürften, die Wahl bestimmt schließlich mit über unsere Zukunft“, sagt Maya, die sich selbst auch als politisch interessiert beschreibt. Infos zur Politik hole sie sich vor allem über diverse SocialMedia-Kanäle, unter anderem habe sie auf Instagram den Kanal der Tagesschau abonniert. Marlene neben ihr nickt. Ja, es wäre gut, wenn sie früher wählen dürften. Viele Jugendliche würden sich auch schon früher für Politik interessieren, erklärt Marlene. „Es ist wichtig, dass wir Jugendlichen auch gehört werden“, betont Maya. Davon, dass die meisten Jugendlichen in ihrem Alter auch die entsprechende Reife für die Wahl hätten, ist Maya überzeugt.
Hinter dem Tisch, an dem Maya und Marlene sitzen, stehen die Wahlkabinen. Am Ende des Raumes, der vor und nach der Juniorwahl als Aufenthaltsraum der Oberstufe fungiert, steht die Wahlurne. Hier sitzt als Wahlhelferin an diesem Vormittag unter anderen die Zehntklässlerin Lea. Auch sie ist 15 Jahre alt – und auch sie spricht sich für ein früheres
Wahlrecht aus. „Wir sind ja selbst auch von deren Politik betroffen, wir leben hier noch lange“, erklärt sie. Lea selbst bezeichnet sich selbst ebenfalls als „politisch interessiert“.
Was Lea, Marlene und Maya am Sonntag noch verwehrt bleibt, dürfen die beiden Zwölftklässlerinnen Anastasia (19) und Maria (18), die zusammen mit ihren Kurskollegen zwischenzeitlich zur Stimmabgabe ins Wahllokal gekommen sind: Ihre Stimme bei der Bundestagswahl abgeben. Und das werden auch beide tun, wie sie betonen.
Auch sie hätten sich beide gewünscht, früher wählen zu dürfen. Auf die Frage, ob sie beide sich als politisch interessiert bezeichnen würden sagen, sagt Maria: „Ich würde sagen: Interessiert ja, engagiert nein“. Bei ihrer Entscheidung, wen sie am Sonntag wählt, schaue sie darauf, welche Partei das umsetzen möchte, was auch sie möchte. Natürlich, so Maria, schaue sie auch, was davon die betreffenden Partei in der Vergangenheit dann auch tatsächlich umgesetzt hat.
Bei der Juniorwahl am HMG dürfen alle Schüler ab der 9. Klasse teilnehmen, erklärt Lehrerin Jana Streso. Ab dieser Klassenstufe gibt es einen Gemeinschaftsunterricht, mit dem die Juniorwahl begleitet werde. „Grundsätzlich versuchen wir im Unterricht natürlich immer wieder, wenn es um Demokratie geht, zu erklären, wie die Wahlen funktionieren und warum es so wichtig ist, dass man wählen geht“, so Streso.
Und wie schätzt sie das politische Interesse der Jugendlichen ein? „Tendenziell würde ich sagen, dass die Jugendlichen kritischer geworden sind“, erklärt die Lehrerin. Es gebe mehr Kritik an den Entscheidungen, die sie betreffen, aber über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Eine große Rolle bei dieser Entwicklung habe sicherlich die Fridays-forFuture-Bewegung gespielt, so Streso. Auch deswegen habe sich das HMG darum beworben, bei der Juniorwahl mitzumachen. Als Zeichen an die Jugendlichen, dass es eben nicht egal ist, was sie politisch denken.
Dass sich viele Schüler wünschen würden, früher an der Bundestagswahl teilzunehmen, bestätigt auch Jan Henning Gesierich-Kowalski, Schulleiter der Gemeinschaftsschule Leutkirch (GMS), die seit vielen Jahren an der Juniorwahl teilnehme. „Definitiv, das Thema ,Wahl ab 16 Jahren’ ist ein großes für Jugendliche“, erklärt er. Das politische Interesse der Schüler sei „größer, als man es manchmal vielleicht vermutet“, sagt Gesierich-Kowalski. Das zeige sich bei ihnen auch bei der Juniorwahl, bei der so gut wie alle mitmachen, obwohl sie freiwillig ist. Bei ihnen dürfen in diesem Jahr alle Jugendlichen ab der 7. Klasse wählen, ab da startet dort der Gemeinschaftsunterricht. Auch die älteren der internationalen Vorbereitungsklasse dürfen wählen. Durch diese Wahl beschäftigen sich die Schüler nochmals mehr mit den Parteien und würden sich auch ernst genommen fühlen, da die Stimmen ausgezählt werden und mit denen anderer Schulen zusammenfließen und auch veröffentlicht werden, erklärt der Schulleiter.