Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Liebe gesucht – Das Vermögen verloren
Liebesbetrug sorgt für große finanzielle Schäden
ALLGÄU - Es begann als vermeintlich große Liebe. Zuerst baute „Andrew“, ein angeblicher Arzt aus den USA, ein Vertrauensverhältnis zu einer damals 59-jährigen Ostallgäuerin auf – und brachte sie dann dazu, ihm nach und nach ihr gesamtes Vermögen zu überweisen. Im Internet kann man heutzutage zwar die große Liebe finden – aber auch ein Opfer von Betrügern werden und dabei im schlimmsten Fall die gesamten Ersparnisse verlieren. Beim sogenannten Romance Scam oder auch Liebesbetrug erbeuteten die Täter im Bereich des Kemptener Polizeipräsidiums im ersten Halbjahr dieses Jahres in 14 bekannt gewordenen Fällen mehr als 250 000 Euro. 2020 waren es in 36 Fällen über 450 000 Euro. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Denn manche Opfer trauen sich laut Polizei aufgrund der intimen Details nicht, Anzeige zu erstatten.
„Die Täter suchen in der Regel ältere, alleinstehende Frauen, bei Männern funktioniert die Masche aber ebenfalls“, sagt Christian Thiel von der Universität Augsburg, der Betrugsmechanismen erforscht. Frauen locken die Opfer laut Polizei meist mit schönen Fotos, auf denen sie leicht bekleidet zu sehen sind, Männer zeigten sich dagegen oft in Uniformen. Alles beginne mit einer knappen Mail als Einladung zum Chat.
Mit dem klassischen Heiratsschwindler hat die Masche laut Thiel aber wenig zu tun. Dieses Phänomen habe seine Blütezeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert gehabt. Dabei sei es aber eher um die langfristige Versorgung der Betrüger gegangen – heute versuchen die Täter dagegen, mit wenigen Schlägen einen Großteil des Vermögens abzuschöpfen. „Die denken wie Geschäftsmänner, da müssen Aufwand und Ertrag in einem Verhältnis stehen“, sagt Thiel. Die Täter überhäufen dabei ihre Opfer mit Liebesbekundungen und Aufmerksamkeit, bis eine emotionale Abhängigkeit entsteht. Plötzlich kommt nach Polizeiangaben dann ein vermeintlicher Notfall oder eine finanzielle Not hinzu – aus der nur das Opfer mit dem eigenen Geld helfen könne. So war der Höhepunkt der Täuschung des vermeintlichen Arztes „Andrew“ein angeblicher Anschlag, den er schwer verletzt überlebt habe. Damit er „weiterhin behandelt werden“konnte, musste die Frau immer wieder zahlen.
„Die Täter schaffen eine vorgetäuschte Wirklichkeit im Kopf des Opfers“, sagt Thiel. Dort sei der reiche Traumprinz, mit dem man ein schönes, gemeinsames Leben hat, zum Greifen nah. In den vergangenen Jahren hat es dem Wissenschaftler zufolge starke Zuwächse bei dieser Betrugsart gegeben. Dabei sei nicht nur der finanzielle Schaden massiv, sondern auch der emotionale. Gleichzeitig spielt die Digitalisierung den Kriminellen in die Hände. „Auf Datingplattformen finden die Täter eine elektronisch sortierte Vorauswahl“, sagt Thiel.
Es gibt jedoch mehrere Anzeichen, an denen man den Betrug erkennen kann. „Die Täter kommunizieren extrem phrasenhaft, beinahe wie eine Maschine“, sagt Thiel. Zum Beispiel mit Sätzen aus Liebesliedern, die per Übersetzungsprogramm ins Deutsche übertragen werden. Und alles gehe extrem schnell. „Am dritten Tag ist man die große Liebe, am vierten Tag wird die Hochzeit geplant.“Bis tatsächlich Geld gefordert wird, könne dagegen Zeit vergehen. „Und der vermeintliche Traumpartner ist immer weit weg“– so weit, dass ein Treffen nicht möglich ist.
Der beste Schutz sei, mit anderen über die Personen zu sprechen, die man kennenlernt. „Von Kindern, Freunden oder Geschwistern kommt oft die nötige Skepsis, die man selbst beim vermeintlichen Traumpartner nicht hat.“So flog auch der Betrug im Ostallgäu erst auf, als sich die damals 59-Jährige an ihre Tochter wandte, weil sie von ihr Geld leihen wollte. Im Zweifel solle man sich laut Thiel an die Polizei wenden, da sie auf die Alarmsignale hinweisen könne. Diese rät, nie Geld an Menschen zu überweisen, die man nicht persönlich kennt.