Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Von der Suche nach dem Glück
Die Ausstellung „Kunst aus dem Allgäu“im Kemptener Alpin-Museum bietet Stoff zum Diskutieren – Über manchem Werk scheint ein dunkler Corona-Schleier zu liegen
KEMPTEN - Ganz hinten im großen Saal des Kemptener Alpin-Museums, wenn die Besucherin und der Besucher der Ausstellung „Kunst aus dem Allgäu“vor einem antiseptisch wirkenden, schneeweißen Bild ihre Hände desinfiziert haben, wenn sie sich mit Grellem beschäftigt haben, erreichen sie einen kontemplativen Bereich. Sie stehen dann vor dem Triptychon „Traumdickicht“und einer „Berglandschaft mit Palme“. Entworfen hat diese fantastischen, von Menschen, Tieren und Mischwesen bevölkerten Traumlandschaften der Haldenwanger Künstler Nikolaus Faßlrinner, der dafür den Förderpreis der Dr.-Rudolf-Zorn-Stiftung erhielt, und der damit für eine Überraschung gesorgt hat – wie im Jahr zuvor seine Ehefrau.
2019 waren Nikolaus Faßlrinner und Anna Dorothea Klug-Faßlrinner mit ihrer Tochter von Halle an der Saale nach Börwang, einem Dorf bei Kempten, gezogen. Im Jahr darauf gewann Klug-Faßlrinner mit ihren skurrilen Keramikfiguren den Kunstpreis der Stadt Kempten. Nun hat ihr Mann Nikolaus Faßlrinner nachgelegt. Die Seelenverwandtschaft der beiden lässt sich im Alpin-Museum unmittelbar und staunend feststellen: Gegenüber dem „Traumdickicht“stehen sechs kauzige Waldbewohner Spalier.
„Gefühlslandschaften“kreiert Nikolaus Faßlrinner, der 1986 in Karlsruhe
geboren wurde und nun als Kunsterzieher am Hildegardis-Gymnasium in Kempten unterrichtet. Durch den Umzug ins Allgäu hat Faßlrinner gemerkt, dass ihm etwas gefehlt hat: „Die Natur hier ist so präsent, das habe ich vermisst.“Mit Ölfarben bemalt er Leinwände oder alte Bretter. Ein Aufenthalt in China brachte ihn zum Zeichnen mit Tusche und Pinsel auf Papier. Ein Glücksfall. Die Jury lobte die „kalligrafischen Züge“seiner Tuschezeichnungen und die „unorthodoxen Bildmotive“.
66 Werke umfasst die Ausstellung „Kunst aus dem Allgäu“. Erstaunlich viele Fotografien (16) wurden ausgewählt – ohne einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Einige zeugen von technischer Fertigkeit, haben ästhetischen Reiz, bieten jedoch kaum Animierendes, wie im übrigen auch zahlreiche Bilder und Objekte. Über vielem scheint ein dunkler CoronaSchleier zu liegen.
Die Hängekommission, bestehend aus der Kunsthistorikerin Birgit Höppl und dem Bildhauer Bruno Wank, hatte es nicht leicht, und schafft es dennoch, den Besucher klug zu führen. Der Gang rechtsherum bietet sogleich ein Aha-Erlebnis im Sinne von „Die Welt ist bunt – und auch irgendwie verrückt!“. Dafür sorgen einige Bilder und Skulpturen. Letzteren räumen Höppl/Wank viel Platz ein. Den brauchen sie freilich auch, etwa Guido Weggenmanns prämierte, knallorange Goldwaschmaschine „Diggin for Gold oder die Suche
nach dem Glück“, mit der der Kemptener das Dilemma des Künstlers in tristen, existenzbedrohenden Corona-Zeiten kommentiert (zu jeder vollen Stunde macht sich die Maschine akustisch bemerkbar).
Der „Raumfraß“der Objekte hat aber seinen Preis, den die Bilder und Fotografien an der rechten Längswand zu zahlen haben. Viel zu gedrängt sind sie gehängt; nur wenige können Charme entfalten. Angelika Böhm-Silberhorns altmeisterliches Ölbild „Morgendliches Atelier“gehört dazu, das gleichzeitig den Übergang zum hinteren Ausstellungsbereich mit seiner Konzentration auf Meditatives, Naturhaftes und Mystisches markiert. Mittendrin eine preiswürdige Holz-Arbeit von Kristina Johlige Tolstoy. Ein Wermutstropfen am Schluss: Die beiden mit dem Kemptener Kunstpreis ausgezeichneten, hinter- und tiefsinnigen Werke von Elisabeth Bader wirken am Ausgang deplatziert; sie können sich an einer Säule nicht so recht entfalten. Schade.