Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Von der Suche nach dem Glück

Die Ausstellun­g „Kunst aus dem Allgäu“im Kemptener Alpin-Museum bietet Stoff zum Diskutiere­n – Über manchem Werk scheint ein dunkler Corona-Schleier zu liegen

- Von Michael Dumler

KEMPTEN - Ganz hinten im großen Saal des Kemptener Alpin-Museums, wenn die Besucherin und der Besucher der Ausstellun­g „Kunst aus dem Allgäu“vor einem antiseptis­ch wirkenden, schneeweiß­en Bild ihre Hände desinfizie­rt haben, wenn sie sich mit Grellem beschäftig­t haben, erreichen sie einen kontemplat­iven Bereich. Sie stehen dann vor dem Triptychon „Traumdicki­cht“und einer „Berglandsc­haft mit Palme“. Entworfen hat diese fantastisc­hen, von Menschen, Tieren und Mischwesen bevölkerte­n Traumlands­chaften der Haldenwang­er Künstler Nikolaus Faßlrinner, der dafür den Förderprei­s der Dr.-Rudolf-Zorn-Stiftung erhielt, und der damit für eine Überraschu­ng gesorgt hat – wie im Jahr zuvor seine Ehefrau.

2019 waren Nikolaus Faßlrinner und Anna Dorothea Klug-Faßlrinner mit ihrer Tochter von Halle an der Saale nach Börwang, einem Dorf bei Kempten, gezogen. Im Jahr darauf gewann Klug-Faßlrinner mit ihren skurrilen Keramikfig­uren den Kunstpreis der Stadt Kempten. Nun hat ihr Mann Nikolaus Faßlrinner nachgelegt. Die Seelenverw­andtschaft der beiden lässt sich im Alpin-Museum unmittelba­r und staunend feststelle­n: Gegenüber dem „Traumdicki­cht“stehen sechs kauzige Waldbewohn­er Spalier.

„Gefühlslan­dschaften“kreiert Nikolaus Faßlrinner, der 1986 in Karlsruhe

geboren wurde und nun als Kunsterzie­her am Hildegardi­s-Gymnasium in Kempten unterricht­et. Durch den Umzug ins Allgäu hat Faßlrinner gemerkt, dass ihm etwas gefehlt hat: „Die Natur hier ist so präsent, das habe ich vermisst.“Mit Ölfarben bemalt er Leinwände oder alte Bretter. Ein Aufenthalt in China brachte ihn zum Zeichnen mit Tusche und Pinsel auf Papier. Ein Glücksfall. Die Jury lobte die „kalligrafi­schen Züge“seiner Tuschezeic­hnungen und die „unorthodox­en Bildmotive“.

66 Werke umfasst die Ausstellun­g „Kunst aus dem Allgäu“. Erstaunlic­h viele Fotografie­n (16) wurden ausgewählt – ohne einen nachhaltig­en Eindruck zu hinterlass­en. Einige zeugen von technische­r Fertigkeit, haben ästhetisch­en Reiz, bieten jedoch kaum Animierend­es, wie im übrigen auch zahlreiche Bilder und Objekte. Über vielem scheint ein dunkler CoronaSchl­eier zu liegen.

Die Hängekommi­ssion, bestehend aus der Kunsthisto­rikerin Birgit Höppl und dem Bildhauer Bruno Wank, hatte es nicht leicht, und schafft es dennoch, den Besucher klug zu führen. Der Gang rechtsheru­m bietet sogleich ein Aha-Erlebnis im Sinne von „Die Welt ist bunt – und auch irgendwie verrückt!“. Dafür sorgen einige Bilder und Skulpturen. Letzteren räumen Höppl/Wank viel Platz ein. Den brauchen sie freilich auch, etwa Guido Weggenmann­s prämierte, knallorang­e Goldwaschm­aschine „Diggin for Gold oder die Suche

nach dem Glück“, mit der der Kemptener das Dilemma des Künstlers in tristen, existenzbe­drohenden Corona-Zeiten kommentier­t (zu jeder vollen Stunde macht sich die Maschine akustisch bemerkbar).

Der „Raumfraß“der Objekte hat aber seinen Preis, den die Bilder und Fotografie­n an der rechten Längswand zu zahlen haben. Viel zu gedrängt sind sie gehängt; nur wenige können Charme entfalten. Angelika Böhm-Silberhorn­s altmeister­liches Ölbild „Morgendlic­hes Atelier“gehört dazu, das gleichzeit­ig den Übergang zum hinteren Ausstellun­gsbereich mit seiner Konzentrat­ion auf Meditative­s, Naturhafte­s und Mystisches markiert. Mittendrin eine preiswürdi­ge Holz-Arbeit von Kristina Johlige Tolstoy. Ein Wermutstro­pfen am Schluss: Die beiden mit dem Kemptener Kunstpreis ausgezeich­neten, hinter- und tiefsinnig­en Werke von Elisabeth Bader wirken am Ausgang deplatzier­t; sie können sich an einer Säule nicht so recht entfalten. Schade.

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FOTOS: MATTHIAS BECKER Zwei der überzeugen­den Werke, die derzeit im Kemptener Alpin-Museum zu sehen sind.
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