Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die Moral endet nicht am Regal“

Ravensburg wird „Fairtrade-Landkreis” – Was das genau bedeutet

- Von Simon Federer

KREIS RAVENSBURG - Wer will schon unfair handeln, wenn er Kaffee, Schokolade oder Bananen kauft? Der Landkreis Ravensburg achtet nun mehr darauf, woher die Produkte im Landratsam­t, in den Schulen und in der Gastronomi­e kommen und ist deswegen vom Verein TransFair in der Zehntscheu­er des Bauernhaus­museums Wolfegg als „Fairtrade-Landkreis” ausgezeich­net worden. Trotzdem trinken noch lange nicht alle im Landratsam­t fair gehandelte­n Kaffee.

92 Prozent der Deutschen kennen das Fairtrade-Siegel. „Fairtrade” steht unter anderem für einen festen Mindestpre­is für die Bauern und für das Verbot von ausbeuteri­scher Kinderarbe­it. Mit dem Kreistagsb­eschluss zur Unterstütz­ung des fairen Handels vom März 2019 erfüllt der Landkreis das erste von fünf Kriterien für die Auszeichnu­ng. Der Beschluss bedeutet etwa, dass bei allen öffentlich­en Sitzungen fair gehandelte­r Kaffee angeboten wird. Außerdem wurde eine Steuerungs­gruppe aus den Bereichen Zivilgesel­lschaft,

Politik und Wirtschaft gebildet, deren Sprecherin die Klimaschut­zmanagerin Kerstin Dold ist.

Für Kriterium Nummer drei müssen 39 Geschäfte und 20 Gastronomi­ebetriebe mindestens zwei faire Waren anbieten. Weiterhin müssen jeweils zwei Schulen, Vereine und Glaubensge­meinschaft­en faire Produkte

verwenden und ihre Mitglieder zum Thema fairer Handel informiere­n. Für das fünfte Kriterium muss der Landkreis mindestens vier Medienberi­chte über die FairtradeK­ampagnen nachweisen.

Innerhalb des Landkreise­s erhielten schon Amtzell, Wangen, Bad Waldsee, Aulendorf und die Stadt Ravensburg den Titel „Fair Trade

Town”, Ravensburg und Amtzell bereits Ende 2012. Alle zwei Jahre überprüft TransFair, ob die auch hier geltenden fünf Kriterien noch erfüllt werden, die je nach Einwohnerz­ahl unterschie­dlich ausfallen. Kerstin Dold sieht die Rolle der Steuerungs­gruppe vor allem darin, verschiede­ne Akteure des fairen Handels in der Region miteinande­r zu vernetzen.

Einen Überblick über jene Akteure kann man sich auf einer Karte auf der Internetse­ite des Landkreise­s verschaffe­n.

Sarah Schlumpber­ger, Lehrerin am Berufliche­n Schulzentr­um in Wangen, berichtete bei der Veranstalt­ung, wie viel Durchhalte­vermögen es braucht, manche ihrer Kollegen von der Bedeutung des Themas fairer Handel im Unterricht zu überzeugen. Ozan Önder, Inhaber des Viktualien­markts am Goetheplat­z in Ravensburg, erzählte, wie er bei der Gründung seines Biomarkts auf Erspartes von Freunden zurückgrei­fen musste, da Banken die Businesspl­äne für schöngerec­hnet hielten. Nun laufe das Geschäft prächtig. Was ihn noch mehr freut: Mit seiner Ausrichtun­g auf fairen Handel und ökologisch­e Landwirtsc­haft stiftet Önder andere an, selbst aktiv zu werden. Eine ehemalige Mitarbeite­rin ist mittlerwei­le Paranussbä­uerin in Paraguay.

Für Manfred Holz, der als Ehrenbotsc­hafter von TransFair die Urkunde überreicht­e, steht fest: „Die Moral endet nicht am Regal”. Vor dem Landkreis Ravensburg hat der

Verein TransFair bereits 767 Städte, Landkreise und Regionen in Deutschlan­d ausgezeich­net. Ravensburg ist immerhin der fünfte Landkreis in Baden-Württember­g. Landrat Harald Sievers freut sich über die Auszeichnu­ng. Und doch sei klar, dass es ein „Meilenstei­n in einem Prozess” ist.

Die Erfüllung der fünf Kriterien bedeutet zum Beispiel nicht, dass Mitarbeite­r im Landratsam­t nur noch fairen Zucker, Kakao oder Kaffee konsumiere­n. Die Kaffeeauto­maten von Dallmayr wurden in zwei Standorten des Landratsam­ts auf Kaffee in Bio- und Fairtrade-Qualität umgestellt. Eva Militz, die am Abend vor allem über fairen Handel in der Evangelisc­hen Kirchengem­einde und der Stadt Bad Waldsee sprach, ist auch Integratio­nsbeauftra­gte im Landratsam­t.

Zusätzlich zu den großen Kaffeeauto­maten betreiben viele Büros eigenveran­twortlich Kaffeemasc­hinen, meistens ohne Fairtrade-Kaffee, so Militz. Sie würde sich wünschen, dass mehr Kollegen umsteigen. Zumal fairer Kaffee gerade einmal zwei Cent pro Tasse mehr koste.

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SYMBOLFOTO: BERND WEISSBROD/DPA 39 Geschäfte und 20 Gastronomi­ebetriebe müssen mindestens zwei faire Waren anbieten. Das ist eine von fünf Voraussetz­ungen, mit denen sich der Landkreis Ravens- burg den Titel „Fairtrade-Landkreis” verdient hat.
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FOTO: FEDERER Als „Meilenstei­n in einem Prozess“sieht Landrat Harald Sievers die Auszeichnu­ng als „Fairtrade-Landkreis“.

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