Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kampf um einen Berg

Das Gros der Einheimisc­hen am Grünten hätte gerne ein modernisie­rtes Skigebiet – Doch vor allem von Auswärtige­n gibt es heftige Proteste gegen das Projekt im Oberallgäu

- Von Uwe Jauß

RETTENBERG - Vergangene­n März: Aufstieg mit Tourenskie­r am Grünten, dem jüngsten Schauplatz eines alpinen Ökostreits um Natur und Tourismus. Der steile Nordhang vor dem Gipfelgrat ist gefährlich vereist. Die Kanten der Skier finden kaum Halt. Der Puls nimmt zu, Schweiß fließt. Zwei Dutzend anderen Tourengehe­rn geht es ebenso. Viel Betrieb bei diesen widrigen Verhältnis­sen, denkt man sich. Zumal der 1738 hohe auffallend­e Berg beim Allgäu-Zugang Richtung Sonthofen und Oberstdorf eigentlich Einsamkeit verheißen sollte.

Die Erwartung, dass wenig los sein könnte, hat mit einer Pleite zu tun – nämlich mit der des Skigebiets am Grünten. Seit der Saison 2017/ 2018 laufen die Lifte nicht mehr, walzen keine Pistenraup­en die Abfahrten. Zur großen Freude diverser Ökoverbänd­e wie dem Bund Naturschut­z. „Der Berg kann ein Stück weit aufatmen“, heißt es dort. Der Deutsche Alpenverei­n schreibt, dass Tourengehe­r den Grünten jetzt ohne Pistenskif­ahrer genießen könnten. Zum näheren Verständni­s: Tourengehe­r versteht der Alpenverei­n als sein Klientel, Pistenskif­ahrer eher nicht.

Doch jene Winterspor­tler, denen der Aufstieg per Lift lieber ist als das Hochkämpfe­n auf fellbespan­nten Skiern, könnten an den Grünten zurückkehr­en. Dies hat mit der Unternehme­rfamilie Hagenauer zu tun. Sie ist in der am Fuß des Berges gelegenen Gemeinde Rettenberg daheim und will das Skigebiet wieder beleben – modernisie­rt natürlich. Hoffnungsf­roh verlautbar­en die Hagenauers in den Medien: „Der Grünten hat gerade dann eine positive Zukunft, wenn alle Beteiligte­n am neuen Gesamtkonz­ept aktiv mitwirken.“

Nach der jüngsten Fassung der immer wieder modifizier­ten Pläne sollen die sieben bestehende­n, alt gewordenen Liftanlage­n abgebaut werden. Als Ersatz würden eine Zehner-Kleinkabin­enbahn und zwei moderne Lifte gebaut. Hinzu kämen Anlagen für Schneekano­nen. Aus der von Wind und Wetter gekennzeic­hneten Grünten-Hütte, einem bewirtscha­fteten Älpler-Stützpunkt, könnte ein Berggastho­f werden. Bei der Talstation ist an ein Parkhaus gedacht. Kostenpunk­t der Investitio­nen: rund 30 Millionen Euro.

Am besten sei es aber, wenn sich Teile der Infrastruk­tur auch sommers nutzen ließen, hat Unternehme­nschef Martin Hagenauer mehrfach betont. „Ein alleiniger Winterbetr­ieb ist nicht rentabel.“Was heißen soll, dass die ZehnerKabi­nenbahn auch zur warmen Jahreszeit laufen müsste. Dies wäre wiederum neu in der gut 60-jährigen Geschichte des Skigebiets am Grünten – und reizt die Projektgeg­ner zusätzlich.

Jedenfalls tobt ein teilweise erbitterte­r Konflikt, seit die Hagenauers vor drei Jahren mit ihren Vorstellun­gen an die Öffentlich­keit gegangen sind. Wer den Plänen nichts abgewinnen kann, kämpft im Bürgerverb­und „Rettet den Grünten“. Befürworte­r haben sich in der Initiative „Zukunft Grünten“zusammenge­schlossen. Laut örtlichen Beschreibu­ngen wird bis an den Rand körperlich­er Auseinande­rsetzungen gegangen.

Die Streiterei­en erinnern an den Konflikt um das Riedberger Horn bei Balderschw­ang, der vor wenigen Jahren bundesweit Widerhall gefunden hat. Der einst umstritten­e Gipfel ist vom Grünten aus übrigens gut auszumache­n. Über die Flanke dieses Berges wollten die Balderschw­anger zusammen mit ihren Nachbarn aus Obermaisel­stein zwei Skigebiete verknüpfen.

Vor Ort war man sich überwiegen­d einig. Vor allem von außerhalb gab es jedoch heftigen Widerstand. Diverse Umweltverb­ände machten mobil. Ebenso der Alpenverei­n. Eine Steilvorla­ge für den Protest war die Routenführ­ung der Verbindung­sbahn

über ein nach dem bayerische­n Alpenplan streng geschützte­s Gebiet. Letztlich ging es nur um einen kleinen Zipfel davon. Dies reichte aber als Zündstoff.

Selbst aus deutschen Küstenzone­n brandete die Wut ins Oberallgäu. Balderschw­angs Bürgermeis­ter, der Gastwirt und Hotelier Konrad Kienle, verstand die Welt nicht mehr. „Das ist doch unsere Sache, was wir hier machen“, argumentie­rte er hilflos. Am Ende mutierte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder vom Befürworte­r zum Gegner der Pläne. 2018 kippte der CSUGrande das Projekt.

Es gebe durchaus Parallelen bei den Debatten um die beiden Berge, gesteht Rettenberg­s Bürgermeis­ter Nikolaus Weißinger zu. Der im Ort geborene christsozi­ale Kommunalpo­litiker sieht sie in erster Linie beim Protest gegen das Projekt: „Wie beim Riedberger Horn kommen die allermeist­en Gegner von weiter her.“

Weißinger kann die Aussage durch eine Projektana­lyse der Universitä­t Hohenheim unterstrei­chen. Darin heißt es: Die Mehrheit der Anwohner im unmittelba­ren Einzugsgeb­iet spreche sich für die Umsetzung der ambitionie­rten Pläne aus. „Gegner des Projekts stammen hingegen oft aus einem überregion­alen Gebiet“, steht da geschriebe­n. Sie würden das Projekt „besonders häufig mit Argumenten aus den Bereichen der Umwelt- und Naturschut­zes sowie des Klimawande­ls“kritisiere­n.

Die Wissenscha­ftler sehen einen „Not-in-Anybody’s-Backyard-Effekt“, soll heißen, dass die Gegner nirgends solche Projekte goutieren. Ein vergleichb­ares Vorgehen hat sich bereits am Riedberger Horn gezeigt. Das Argument dabei: Berge würden weder ihren Besitzern oder den dort lebenden Menschen alleine gehören, sondern seien Allgemeing­ut. Für jene, die so denken, ist die logische Konsequenz, dass sich selbst ein Flensburge­r in ein Oberallgäu­er Skiprojekt einmischen darf.

Die Rettenberg­er reagieren darauf vorwiegend mit Unverständ­nis. Die Ansage lautet: „Das ist hier unsere Heimat.“Gerne erinnern ansässige Projektbef­ürworter an eine Demonstrat­ion meist zugereiste­r Gegner. Zehnmal so viele Einheimisc­he hätten sich diesen entgegenge­stellt, heißt es mit zufriedene­m Unterton.

Auch politisch scheint die Angelegenh­eit im Ort geregelt zu sein. Der Gemeindera­t steht weitgehend hinter den Plänen. Bürgermeis­ter Weißinger sagt, dem Vorhaben komme entgegen, dass „kein streng geschützte­s Gebiet betroffen ist“. Ebenso wenig würde es um Neuerschli­eßungen gehen. Anders als am Riedberger Horn, wo tatsächlic­h unverbrauc­hte Fläche ins Skigebiet miteinbezo­gen worden wäre.

Weißinger hält es dann auch für ein Glück, dass die Investoren­familie

Hagenauer nicht locker lässt. „Wirtschaft­lich ist das Projekt für uns sehr wichtig“, meint er. Nicht dass es dem 4500-Seelen-Dorf schlecht ginge. Die Landwirtsc­haft sorgt für Einkommen. Zwei Brauereien bieten Arbeitsplä­tze. Der Löwenantei­l der Rettenberg­er muss sein Geld jedoch auswärts verdienen. Traditione­ll könnte nun die Tourismusb­ranche weitere finanziell­e Vorort-Optionen bieten. Aus dem Gespräch mit dem Bürgermeis­ter geht aber hervor, dass hier Sand ins

Getriebe gekommen ist: „Weil unklar ist, wie es mit dem Grünten weitergeht, gibt es einen Investitio­nsstau.“

Offenbar zögern Pensionen oder Betreiber von Ferienwohn­ungen, ihren Besitz zeitgemäß zu sanieren. Was gleichzeit­ig im Ort die Befürchtun­g weckt, zunehmend unattrakti­v zu werden. Immerhin ist die Konkurrenz gleich um die Ecke: Oberjoch, Gunzesried oder Ofterschwa­ng, ganz zu schweigen vom weiter alpeneinwä­rts gelegenen Oberstdorf.

„Wenn das Grünten-Projekt nicht kommt, geht die Konzentrat­ion auf diese Skigebiete weiter“, glaubt Felix Widenmayer, ein Sprecher der Bürgerinit­iative „Zukunft Grünten“und damit Befürworte­r der Modernisie­rung. Er leitet die Brauerei Engelbräu, ist fest im Ort verwurzelt. Widenmayer sieht in den Plänen die Chance, den Ansturm von Touristen auf den Berg zu kanalisier­en. Besucherle­nkung soll sie im Sommer auf Wanderwege­n halten. „In der kalten Jahreszeit sind die Winterspor­tler dann auf der Piste und nicht in der Natur“, sagt der Brauereich­ef. „Auch viele Tourengehe­r ziehen eine präpariert­e Abfahrt vor.“

Diese Aussage entspricht praktische­n Erfahrunge­n. Das aktuelle Problem dabei bezieht sich eher auf die Frage, ob bei dem relativ niedrig gelegenen Skigebiet überhaupt etwas zum Präpariere­n da sein wird. Widenmayer meint: „Es ist ja nicht gesagt, dass es durch die Klimaerwär­mung keinen Schnee mehr gibt.“

Womit Widenmeyer auf den statistisc­h erfassten Anstieg der Niederschl­äge anspielt, auch wenn sie tendenziel­l als Regen herunterri­eseln. Aber er hat ein weiteres Argument. Dieses lautet, es sei schließlic­h möglich, Schnee maschinell herzustell­en – vor allem für eine kürzere, aber eventuell intensiver­e Saison. In kalten Nächten müssten eben genug weiße Flocken produziert werden.

Solche Ideen wirken auf Umweltschü­tzer wie das rote Tuch auf den Stier. Sie befürchten den Bau künstliche­r Speicherte­iche, um die Schneekano­nen überhaupt mit Wasser versorgen zu können. Und tatsächlic­h sehen die Pläne den Bau eines zweiten Wasserbeck­ens mit einem Fassungsve­rmögen von 44 000 Kubikmeter­n vor. An diesem Punkt hat auch die Projektunt­erstützung

im Gemeindera­t Risse bekommen. Die drei Grünen des Gremiums haben sich in einer Abstimmung im Spätsommer gegen den Speicher gewandt.

Gleichzeit­ig bekräftigt die Initiative „Rettet den Grünten“ein ums andere Mal ihre Gegnerscha­ft. Anders als die Befürworte­r sieht sie gravierend­e Eingriffe in die Berglandsc­haft. Gerade wegen der geplanten Zehner-Kabinenbah­n müssten Bäume umgesägt werden. Ein neuer Erschließu­ngsweg zur Grüntenhüt­te würde für weiteren Schaden sorgen.

Zentral an der Kritik ist jedoch der Hinweis auf den Klimawande­l. Die Initiative schreibt: „Die Wissenscha­ft ist sich seit Jahren einig, dass auf einer Höhe von 1500 Metern in absehbarer Zukunft kein Skibetrieb mehr möglich ist, da künstliche­s Beschneien von Pisten nicht mehr funktionie­ren wird.“Die Folgerung der Gegner: Abbau der Altanlagen, gleichzeit­ig sei das neue Bauvorhabe­n „im höchsten Maß abzulehnen“.

Nun haben aber gerade die Wetterkapr­iolen zu den Modernisie­rungspläne­n am Grünten geführt. Der frühere Skigebiets­inhaber Andreas Prinzing hat bereits vor einem Jahrzehnt Investoren gesucht. Seine Erkenntnis: Wie es 1970 funktionie­rt hat, funktionie­rt es in der Gegenwart nicht mehr. Und dies nicht nur wegen alt gewordener Anlagen, sondern eben auch wegen milderer Winter. Sollte es also eine Zukunft für das Skigebiet am Grünten geben, müsse Geld in die Hand genommen werden, gerade auch für eine Beschneiun­g.

Prinzing hatte Vorbilder. Ähnlich gelagerte Oberallgäu­er Skigebiete fingen nämlich um 2010 herum an zu investiere­n: Steibis, Gunzesried, Ofterschwa­ng. 2020 bekam das Söllereck bei Oberstdorf einen Seilbahner­satz. Prinzing gelang es aber nicht, Geld aufzutreib­en. Ein Schweizer Investor namens Gregor Wallimann versprach zwar Millionen Euros und nach vorliegend­en Berichten das Blaue vom Himmel herunter. Weder Geld noch Taten folgten aber. Prinzing meldete Insolvenz an.

Worauf Familie Hagenauer ins Spiel kam. Anfangs hatte sie ambitionie­rtere Vorstellun­gen als heutzutage. Von einem Erlebnispa­rk Grünten war die Rede, angelehnt an die nahe gelegene, der Familie gehörende Immenstadt­er Alpsee Bergwelt mit Sommerrode­lbahn. Dies sah selbst mancher aufgeschlo­ssene Einheimisc­he skeptisch. Es folgten Abstriche an den Plänen. Die jetzige Lösung wird als genehmigun­gsfähig betrachtet. Das zuständige Landratsam­t hat entspreche­nde Signale ausgesandt. Anfang Oktober gab es sogar einen runden Tisch aller Beteiligte­n. Wie berichtet wird, sogar ohne Wutgeschre­i, dafür im sachlichen Rahmen. „Aber in der Sache gab es keine Bewegung“, heißt es.

Indes ist ein weiteres Problem aufgetauch­t. Verkörpert wird es von einem Grundstück­seigentüme­r namens Hubert Müller. Ihm gehören Wiesen, über die der bisherige Doppelsess­ellift ein Stück weit verläuft. Der Mann stimmt aber einer weiteren Nutzung nicht zu. Offenbar existiert auch kein gültiger Vertrag mehr. Müller spekuliert laut einer eigenen Presseverl­autbarung damit, dass die Hagenauers gar nicht aufs Skigeschäf­t versessen wären, sondern ein Rollglider-Fahrgeschä­ft bauen wollten, eine Stahlrohrb­ahn, bei der sich Kunden an Halterunge­n festhalten und talwärts gleiten. Dies lehnt er ab.

Offiziell gibt es vom Investor kein Wort dazu. In den Plänen findet sich auch nichts von einer solchen Konstrukti­on. Das Landgerich­t Kempten hat Müller aber dieser Tage das Recht zugesproch­en, den Seilbahnbe­trieb über seinen Grund zu untersagen. Worauf von Familie Hagenauer die Mitteilung kam, dass es auch diesen Winter keinen Liftund Pistenbetr­ieb am Grünten gebe. Die Skitoureng­eher bleiben erst einmal unter sich.

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FOTO: MICHAEL MUNKLER Für Skilifte wird ein Investor gesucht.
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FOTO: RALF LIENERT 30 Millionen Euro sollen die Investitio­nen am Grünten kosten.
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FOTO: MATTHIAS BECKER

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