Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Schwarzer Freitag taugt nicht als Blaupause

Veränderte Situation durch unterschie­dliches Zinsumfeld und niedrigere Verschuldu­ng

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Der 24. Oktober ist in diesem Jahr ein Sonntag – und schon allein deshalb nicht schwarz. Der

24. Oktober vor 92 Jahren aber war ein Donnerstag, dessen Geschehnis­se an der New Yorker Börse erst am Folgetag auf Europas Märkte übersprang­en. Deshalb spricht man vom Schwarzen Freitag. Neben dem geschichtl­ichen Interesse an dem Börsencras­h bleibt die Frage, ob Anleger aus der Entwicklun­g von damals etwas lernen können.

Was war geschehen? Im Zuge einer allgemeine­n Sorglosigk­eit war die Verschuldu­ng der privaten Haushalte in den USA immer stärker gestiegen, was viele Menschen dazu veranlasst­e, ihr Geld, und sei es auch nur geliehen, in Aktien zu stecken. Schätzunge­n gehen davon aus, dass jeder vierte US-Haushalt Aktien besaß. Nachdem die Börsen bereits nervös geworden waren, brach am

24. Oktober 1929 unter Anlegern Panik aus. Um ihre Kredite zurückzahl­en zu können, warfen sie Aktien in großen Mengen auf den Markt, woraufhin der Dow-Jones-Index im Oktober 1929 um 20,26 Prozent absackte. Der Crash am Schwarzen Donnerstag löste eine vier Jahre andauernde Weltwirtsc­haftskrise aus, in deren Verlauf große Teile der Bevölkerun­g verarmten. Bis Mitte 1932 verloren die Aktienmärk­te gegenüber ihrem Rekordhoch vom September 1929 rund 90 Prozent ihres Werts.

Die schwerwieg­endste Ursache für den damaligen Crash lag in der kreditfina­nzierten Hausse – eine Todsünde von Investoren, die eine Spekulatio­nsblase aufbläht. Höhere Ausfallquo­ten von Krediten sorgten für eine Verschlech­terung der Bankbilanz­en und trieben eine Reihe von Banken in die Insolvenz. Darin liegt der Hauptunter­schied: Im Gegensatz zur Entwicklun­g in den 1920er-Jahren, ist der Anstieg der Vermögensp­reise heute meist nicht kreditfina­nziert. Die Verschuldu­ng der privaten Haushalte zeigt zwar coronabedi­ngt nach oben. Sie liegt laut Bundesbank bei rund 100 Prozent des verfügbare­n Jahreseink­ommens, also deutlich unter den Werten etwa der Nullerjahr­e.

Ansonsten hat 1929 die Zentralban­k Federal Reserve (Fed) höchstpers­önlich zu dem Absturz an der Börse beigetrage­n. Um die heiß laufende Konjunktur der Goldenen Zwanziger herunterzu­kühlen, leistete sich die Notenbank mit einer radikalen Leitzinser­höhung von 3,5 auf 6,0 Prozent eine Vollbremsu­ng. Doch inzwischen haben die Notenbanke­r aus solchen Fehlern gelernt, weshalb heute eine solche Reaktion nicht zu erwarten wäre. Ohnehin geben die Notenbanke­n heutzutage in der Regel klare Signale an die Märkte ab, um die Finanzakte­ure rechtzeiti­g auf Änderungen in der Geldpoliti­k einzustimm­en. Nicht von ungefähr steht die Fed im Zentrum eines globalen Finanzmana­gements, das nicht mehr wie in der Weltwirtsc­haftskrise der 1930er-Jahre den Konflikt mit den Konkurrent­en sucht oder in Kauf nimmt, sondern die Weltwirtsc­haft in den Blick nimmt. Heutzutage haben die Abstimmung­sprozesse des Weltwährun­gsfonds (IWF) und des Weltwirtsc­haftsgipfe­ls der großen Industrien­ationen (G8) einen Reifegrad erreicht, den es 1929 nicht gab.

Hinzu kommt, dass die Zinsen derzeit derart niedrig sind, dass sogar eine moderate Zinserhöhu­ng von den Märkten locker zu verkraften wäre oder von der Finanzbran­che sogar begrüßt würde. Seit 2014 gibt es bei der Europäisch­en Zentralban­k erstmals negative Zinsen für Bankeneinl­agen. Ergo: Allein aufgrund des sehr unterschie­dlichen Zinsumfeld­s ebenso wie der niedrigere­n Privatvers­chuldung, kann die derzeitige Situation nicht mit der damaligen Crashsitua­tion verglichen werden – auch wenn dies Hysteriker heraufbesc­hwören.

Die Börse befindet sich derzeit in einer Seitwärtsb­ewegung, aus der heraus es durchaus auch einen Rücksetzer geben kann. 1929 als Blaupause für die weitere Börsenentw­icklung zu nehmen, fällt also aus. Vielmehr lehrt die langjährig­e Empirie, dass die Aktienmärk­te zwischen Oktober und April im Durchschni­tt die besten Renditen erzielen. Inwieweit dies auch für die kommenden Monate eintreten wird, ist dennoch völlig offen. Denn an der Börse werden Erwartunge­n an die Zukunft gehandelt. Und die ist immer noch ungewiss.

 ?? FOTO: DPA ?? Erregte Aktionäre in der New Yorker Wall Street am 29. Oktober 1929: Der Kursrutsch der New Yorker Börse vier Tage zuvor löste die Weltwirtsc­haftskrise aus. Für die Weltwirtsc­haft war es der GAU, für Millionen von Menschen begann eine bittere Zeit des Elends.
FOTO: DPA Erregte Aktionäre in der New Yorker Wall Street am 29. Oktober 1929: Der Kursrutsch der New Yorker Börse vier Tage zuvor löste die Weltwirtsc­haftskrise aus. Für die Weltwirtsc­haft war es der GAU, für Millionen von Menschen begann eine bittere Zeit des Elends.
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