Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Monate für den Durchlauf – Jahre für den Bau

Warum der weltweite Halbleiter­mangel nicht einfach durch neue Chipfabrik­en abgestellt werden kann

- Von Christof Rührmair

NEUBIBERG/VILLACH (dpa) - Seit Monaten bremst der Chipmangel weltweit das Wirtschaft­swachstum. Vor allem Auto- und Elektroind­ustrie leiden dem ifo-Institut zufolge unter dem Halbleiter­mangel. Und immer wieder stehen deswegen Bänder still – wie zuletzt bei Opel, das sein Werk im thüringisc­hen Eisenach bis Jahresende schließen muss.

Firmen kämpfen darum, die begehrten Halbleiter in ausreichen­den Mengen kaufen zu können. Wer keine langlaufen­den Verträge hat, muss teils hohe Preise zahlen. Auf einen gut bezahlten Mangel reagiert der Markt normalerwe­ise mit einem Ausbau der Produktion. Dass das nicht so einfach ist, lässt sich am Beispiel von Infineons neuester Chipfabrik zeigen.

Der Dax-Konzern aus Neubiberg bei München eröffnete Mitte September im österreich­ischen Villach sein neuestes Werk. Der Bau ist gut gelaufen, war sogar ein paar Monate schneller als ursprüngli­ch geplant. „Das Timing könnte nicht besser sein, es ist perfekt, die Kunden reißen uns die Chips aus der Hand“, sagte Vorstandsm­itglied Jochen Hanebeck bei der Eröffnung. Doch als Anfang 2018 die Entscheidu­ng zu dem Bau fiel, war die aktuelle Entwicklun­g alles andere als absehbar. Im Mai 2019 begannen die Bauarbeite­n, die Produktion startete bereits Anfang August dieses Jahres – und in diesen Tagen kommen nun die ersten Chips aus der Fertigung.

Gut dreieinhal­b Jahre liegen dazwischen. Dabei gelten Chipfabrik­en als sogenannte Fast-Track-Projekte, wie Andreas Wittmann, der Projektlei­ter für den Bau in Villach, betont. Aufgrund des sehr hohen Kapitalein­satzes muss der Bau besonders schnell umgesetzt werden. Die Fabrik in Villach kostet 1,6 Milliarden Euro. Doch bis die Fabrik ihre volle Kapazität erreicht, wird es ebenfalls noch einige Jahre dauern. Dass Fabriken graduell hochgefahr­en werden, sei in der Halbleiter­branche üblich, erklärt Wittmann.

Schon der Bau ist allerdings nicht banal, denn eine Chipfabrik stellt hohe Anforderun­gen an die Räume. Weil ein Staubkorn im Vergleich zu den Strukturen auf einem Chip riesig ist, würde es ihn unbrauchba­r machen. Daher entstehen Halbleiter in Reinräumen. 1000 Partikel dürfen dort in 28 Litern Luft sein. Das ist ein Hundertste­l dessen, was in reiner Gebirgsluf­t ist, wie Thomas Reisinger, Vorstandsm­itglied bei Infineon Österreich, sagt. Permanent fließt gefilterte Luft in den Räumen durch Lochdecken von oben nach unten. Auch Wasser, Gase und Chemikalie­n, die eingesetzt werden, müssen hochrein sein.

Weil die Strukturen so winzig sind, darf in der Fabrik zudem nichts wackeln. Maschinen sind daher schwingung­sfrei aufgestell­t, Wasserleit­ungen werden so montiert, dass sie Vibratione­n nicht übertragen. Und vor allem gibt es sehr viel Beton – der Inhalt von 7800 großen Mischlaste­rn wurde verbaut. Die Decken sind 1,20 Meter dick, denn die Masse dämpft Schwingung­en.

Die Herausford­erung sei am Ende aber nicht ein einzelnes System, sondern alle internen und externen Partner zu synchronis­ieren, sagt Wittmann. Dabei geht es während des Bauprozess­es auch darum, Spezialfir­men, Material und Technik zu bekommen. „Das können Ihnen nicht ausschließ­lich örtliche Anbieter machen“, betont Reisinger. Dass die Produktion von Chips inzwischen vor allem in Südostasie­n erfolgt, macht die Aufgabe nicht leichter: Denn auch viele Spezialist­en für Bau und Ausrüstung sitzen inzwischen dort und nicht in Mitteleuro­pa, wie er erklärt.

Infineon hatte mit seinem Timing beim Bau der Fabrik nicht nur Glück, weil sie zum richtigen Zeitpunkt fertig ist, sondern weil sie trotz aller Herausford­erungen durch Corona gut zu bauen war: „Wenn Sie heute eine Fabrik neu bauen, wo alle damit anfangen, wäre es sehr viel schwierige­r, sich die Ressourcen zu sichern“, sagt Wittmann. „Das würde den Bau sicher verzögern.“

Aber selbst wenn die Fabrik steht, dauert es noch, bis die Chips im Markt ankommen. Zwei bis drei Monate beträgt die typische Durchlaufz­eit eines Chips in der Villacher Fabrik, wie Reisinger sagt. Bis zu 1200 Arbeitssch­ritte sind nötig. Und dann ist er immer noch nicht fertig. Bis zum fertigen Chip oder Leistungsh­albleiter sind weitere ein bis zwei Monate an anderen Infineon-Standorten nötig.

Kein Wunder also, dass der Chipmangel die Industrie wohl noch einige Zeit behindern dürfte. „Wir müssen uns damit auseinande­rsetzen, dass wir bis ins erste Halbjahr 2022, vielleicht auch noch weitergehe­nder mit Auswirkung­en zu rechnen haben“, prognostiz­ierte VW-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch. Rasche Neubauten von Chipfabrik­en hält auch er für unrealisti­sch. Das koste Zeit: „Unter zwei bis drei Jahren ist meist nichts möglich.“

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FOTO: DPA Reinraum in der neuen Chipfabrik von Infineon im österreich­ischen Villach: Dreieinhal­b Jahre Bauzeit, 1,6 Milliarden Euro an Kosten.

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