Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die große Batterie in den Bergen

In Vorarlberg soll ein weiteres riesiges Pumpspeich­erwerk entstehen – Profitiere­n würde auch der Südwesten

- Von Uwe Jauß

BREGENZ - Gigantismu­s in Vorarlberg: Das dortige Energieunt­ernehmen Illwerke/vkw denkt an ein neues Pumpspeich­erwerk. Rund 1000 Megawatt Leistung im Turbinen- wie im Pumpbetrie­b sind anvisiert. In Mitteleuro­pa existiert bisher in dieser Größe nichts Vergleichb­ares. Für Baden-Württember­g ist das Projekt insofern von Bedeutung, als dass das Land die Speichermö­glichkeite­n der Illwerke für die Energiewen­de benötigt.

Das anvisierte Werk würde den Namen Lünersee II erhalten und rund zwei Milliarden Euro kosten. „Es übertrifft in seiner Dimension alle bestehende­n Anlagen“, bestätigt Christof Germann, einer der beiden Vorstände der Illwerke/vkw. Nicht einmal die beiden modernsten und größten Pumpspeich­erwerke des Unternehme­ns, das Kopswerk II und das Obervermun­twerk II im hinteren Montafon, würden zusammen die Leistung erreichen.

Lünersee II soll sein Wasser aus dem gleichnami­gen, bei Bergwander­ern gut bekannten Gebirgsgew­ässer erhalten. Es liegt ganz hinten im Brandnerta­l am Fuß der Schesaplan­a. 1959 war dort eine Staumauer gebaut worden, um die Speicherka­pazität des ursprüngli­chen Sees steigern zu können. Dies diente seinerzeit dazu, um zuverlässi­ger Wasser für die in den 1940er- und 1950er-Jahren fertiggest­ellten Werke bei Latschau und Vandans im Montafon bereitzust­ellen. Wobei das Latschauer Pumpspeich­erwerk die Bezeichnun­g Lünersee erhielt und nun als Lünersee I bezeichnet wird. Die Zuleitung dorthin führt über Stollen und Druckrohre durch die Berge. Die Fallhöhe beträgt 974 Meter.

Beim neuen Werk könnte das Wasser über unterirdis­che Verbindung­en 1300 Meter herunter in die Turbinen schießen. Diese enorme Fallhöhe ergibt die hohe Leistung des neuen Kraftwerks. „Mit dem Lünerseewe­rk II erhöhen wir unsere Turbinenle­istung um rund 43 Prozent und unsere Pumpleistu­ng sogar um 74 Prozent“, berichtet der Vorsitzend­e des Aufsichtsr­ats der Illwerke/vkw, Ludwig Summer.

Das Projekt würde bei einer Umsetzung davon profitiere­n, dass sichtbare Eingriffe in die Umwelt gering wären. Der Großteil der neu zu errichtend­en Anlagen ist unterirdis­ch vorgesehen. Darunter sind ein rund acht Kilometer langer Druckstoll­en, ein zwei Kilometer umfassende­r Druckschac­ht sowie das

Wasserschl­oss. Einige Berge werden dabei unterquert, so die bekannte 2643 Meter hohe Zimba, wegen ihrer Pyramidenf­orm auch Montafoner Matterhorn genannt.

Die ansonsten benötigte Infrastruk­tur ist weitgehend vorhanden. Dies gilt nicht nur für den Lünersee, sondern auch für die Umspannanl­age Bürs am Eingang zum Montafon sowie für den sogenannte­n Walgaustol­len. Über ihn wäre Lünersee II hydraulisc­h an die bestehende Kraftwerks­gruppe bei Vandans und Latschau angeschlos­sen. Konkret würde dies bedeuten, dass das durch Lünersee II geflossene Wasser für eine Wiederwend­ung nicht nur zurück in den Lünersee gepumpt werden könnte, sondern ebenso zu der besagten Kraftwerks­gruppe.

Sinn der Pumpspeich­erwerke ist es, Wasser mehrmals zu nutzen, um von niedrigen natürliche­n Wasserstän­den unabhängig zu werden. So beruht der Löwenantei­l des Geschäftsm­odells der Illwerke/vkw darauf, Strom günstig einzukaufe­n. Mit ihm wird Wasser in die oberen Staubecken gepumpt. Dort wirkt es wie ein Speicherme­dium für Energie. Braucht ein Kunde wiederum Strom, lässt das Unternehme­n das Wasser durch die Turbinen laufen und verlangt teures Geld dafür. Früher ging es dabei eher ums Abdecken von Stromspitz­en, etwa zur Mittagszei­t, wenn gekocht wurde. Heutzutage spielt Regelenerg­ie eine immer größere Rolle. Sie dient dazu, Versorgung­soder Leitungssc­hwankungen bei Solar- und Windstrom aufzufange­n. Stromverbr­auch und -erzeugung müssen sich in der Waage halten. Ansonsten bricht die Energiever­sorgung zusammen.

„Ein Hunger nach Flexibilit­ät ist absehbar“, beschreibt der weitere Illwerke-Vorstand Helmut Memmel den Wunsch, damit zurechtzuk­ommen, wenn mal keine Sonne auf Solarpanel­s scheint oder Windräder stillstehe­n. Deshalb geht das zu rund 95 Prozent im Besitz des Landes Vorarlberg befindlich­e Unternehme­n offenbar von einer Rentabilit­ät des Projektes

aus. In der Vergangenh­eit sind Illwerke/vkw zunehmend gewachsen. Fast 1300 Mitarbeite­r zählt es inzwischen. Der Jahresumsa­tz 2020 lag bei 679 Millionen Euro. Die Finanzieru­ng von Lünersee II wird als machbar angesehen, zumal die politische Unterstütz­ung vorhanden ist.

In der Vorarlberg­er Landesregi­erung sieht der für Klimaschut­z zuständige Landesrat Johannes Rauch (Grüne) das neue Werk sogar als „Schlüsselp­rojekt für die europäisch­e Energiewen­de“. Wobei die Vorarlberg­er Pumpspeich­erwerke für die Energiewen­de in Baden-Württember­g schon länger essenziell sind. Der deutsche Südwesten hat bisher keine allzu großen Speichermö­glichkeite­n. Der Bau eines Pumpspeich­erwerks im Südschwarz­wald ist vor wenigen Jahren wegen Widerstand­s aus der Bevölkerun­g gescheiter­t.

Die EnBW setzt deshalb auf die Illwerke. Durch ihre Vorläuferu­nternehmen kooperiert der Karlsruher Versorger seit knapp 100 Jahren mit den Vorarlberg­ern. In den vergangene­n zehn Jahren wurden drei Pumpspeich­erprojekte gemeinsam umgesetzt – zuletzt das Obervermun­twerk II im hinteren Montafon. An dessen Finanzieru­ng beteiligt sich der Konzern, der dem Land Baden-Württember­g über seine Beteiligun­gsgesellsc­haft Neckarpri und dem Zweckverba­nd Oberschwäb­ische Elektrizit­ätswerke (OEW), ein Zusammensc­hluss von neun Landkreise­n im südlichen Baden-Württember­g, gehört, über die Jahreskost­en. Die EnBW bezieht vertraglic­h vereinbart bis 2041 die Hälfte der Energie aus den Kraftwerke­n der Illwerke/vkw. Nach den vorliegend­en Informatio­nen hat es auch bereits schon im Zusammenha­ng mit Lünersee II Kontakte zwischen beiden Unternehme­n gegeben.

Nun wollen die Illwerke/vkw die bestehende Idee bis Ende 2024 zu einem im Sinne des Umweltschu­tzes genehmigun­gsfähigen Projekt weiterentw­ickeln. Ein Baubeginn wäre dann 2031 möglich, heißt es. Die Inbetriebn­ahme könnte für 2037 oder 2038 anvisiert werden.

 ?? FOTO: ERNST WEINGARTNE­R/CHROMORANG­E ?? Lünersee-Staumauer in Vorarlberg: Das vom Energieunt­ernehmen Illwerke/vkw geplante Pumpspeich­erkraftwer­k im Brandnerta­l wäre mit einer Leistung von 1000 Megawatt das größte seiner Art in Mitteleuro­pa.
FOTO: ERNST WEINGARTNE­R/CHROMORANG­E Lünersee-Staumauer in Vorarlberg: Das vom Energieunt­ernehmen Illwerke/vkw geplante Pumpspeich­erkraftwer­k im Brandnerta­l wäre mit einer Leistung von 1000 Megawatt das größte seiner Art in Mitteleuro­pa.

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