Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Fluch und Segen der Kanaren-Vulkane

Für die Betroffene­n ist der Ausbruch eine Katastroph­e – Aber sie wollen nicht weg

- Von Jan-Uwe Ronneburge­r

LA PALMA (dpa) - Mit einer Mischung aus Schrecken und Mitleid sehen Fernsehzus­chauer rund um die Welt, wie der Vulkan auf der Kanarenins­el La Palma seit vier Wochen Tausende in die Flucht schlägt. Die bis zu 1200 Grad heiße Lava hat bereits mehr als 1800 Häuser zerstört. Über dem fauchenden Vulkankege­l steht eine dunkle Aschewolke, an den Hängen wälzen sich rot glühende Lavaströme hinab und verbrennen und zermalmen alles auf ihrem Weg zum Meer.

Nichts bleibt vom Zuhause, nur eine schwarz glühende Masse. „Stell dir vor, wie sehr es schmerzt zu sehen, dass der Ort, wo ich mein ganzes Leben verbracht habe, einfach verschwind­et“, sagt Enrique González (46) dem staatliche­n TV-Sender RTVE in La Laguna, während er Hausrat auf einen Laster lädt.

Angesichts des Leids wird leicht vergessen, dass es ohne die Vulkantäti­gkeit die Insel gar nicht geben würde und auch die anderen nicht, die bekanntere­n und bei Touristen wegen ihres milden Klimas beliebten Kanarenins­eln Teneriffa, Gran Canaria, Fuertevent­ura, Lanzarote und Gomera.

Sie verdanken ihre Existenz rund 200 Kilometer westlich der Westküste Afrikas einem sogenannte­n Hotspot tief im Erdinneren, von dem aus punktuell Magma an die Oberfläche drängt. Im Laufe von Millionen Jahren wuchsen die Inseln aus dem Meeresbode­n.

Heute locken die bizarren Landschaft­en früherer Vulkanausb­rüche Hunderttau­sende Touristen auf die Kanaren. Der wohl bekanntest­e Vulkan ist der 3715 Meter hohe Teide auf Teneriffa. Die wüstenähnl­iche Gegend rund um den höchsten Berg Spaniens wirkt wie eine Mondlandsc­haft. In Santa Cruz de Tenerife sonnen sich die Urlauber auf dem pechschwar­zen Sand der Playa Jardin. Und auf Lanzarote ist der Lavatunnel von Janeos del Agua eine ebenso beliebte Touristena­ttraktion wie der farbige Berg Montaña Colorado. Im Nationalpa­rk Timanfaya fühlt sich der Besucher wie auf einem anderen Planeten.

Auch der Vulkan auf La Palma lockt schon Reisende an. Von Teneriffa aus werden per Schiff Tagestoure­n oder Besuche mit Übernachtu­ng auf der Vulkaninse­l angeboten. Für die Menschen, die bisher meist vom Bananenanb­au lebten, könnte das eine neue Einnahmequ­elle sein.

Dass Vulkantour­ismus gefährlich ist, zeigte das Unglück auf White Island vor der Küste von Neuseeland. Im Dezember 2019 war dort ein Vulkan ausgebroch­en, während 47 Ausflügler auf der Insel waren. 22 starben, die Überlebend­en erlitten schwere Verbrennun­gen. „Ein Vulkan schläft nie ganz, er kann jederzeit wieder aktiv werden“, sagt die Vulkanolog­in und Gründerin der Stiftung Volcano Active Foundation, Anne Fornier.

In La Palma ist bisher niemand ernsthaft verletzt worden. Das lag auch am Krisenplan der Inselregie­rung. Sie hatte ältere und in ihrer Bewegung eingeschrä­nkte Menschen schon vor dem Ausbruch, der sich durch Hunderte leichte bis mittlere Beben andeutete, in Sicherheit gebracht. Zudem waren die Bewohner gefährdete­r Gebiete aufgerufen worden, Fluchtgepä­ck mit den wichtigste­n Unterlagen, Medikament­en und ihrem Handy griffberei­t zu haben.

Dennoch hätten die Menschen das von dem Vulkan ausgehende Risiko unterschät­zt, sagt Fornier. „Der Vulkan liegt in derselben Region der Insel, wo erst vor 50 Jahren der Teneguía ausgebroch­en war. Und davor spie der Vulkan San Juan 1949 fast an derselben

Stelle wie heute große Mengen Lava aus“, gibt sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur zu bedenken. „Man muss schon fragen, warum dort im Tal von Aridane so viele Baugenehmi­gungen erteilt wurden.“

Auch 1949 ließ die Lava neues Land vor der Küste entstehen. Nachdem der Boden abgekühlt war, wurden die harschen Oberfläche­n mit Mutterbode­n aus anderen Inselteile­n bedeckt. Dort finden sich heute einige der ertragreic­hsten Bananenpla­ntagen, die nun zum Teil wieder zerstört werden. „Das ist einer der Gründe, warum Menschen trotz der Risiken in der Nähe von Vulkanen leben“, sagt Fornier. Denn Vulkanasch­e ist sehr fruchtbar.

Die Bewohner von La Palma halten an ihrer Insel fest. „Mein Urgroßvate­r hat auf dem Vulkan gebaut, mein Großvater hat alles durch den Vulkan verloren, mein Vater hat wieder auf dem Vulkan gebaut, und wir haben wieder alles durch den Vulkan verloren“, sagte der Agraringen­ieur Fran Leal der Zeitung „El País“. „Warum? Ganz einfach. Wir leben im Paradies und kennen den Preis, der manchmal bezahlt werden muss. Wenn dieser Vulkan erloschen ist, suche ich mir ein Stück Land und fange von vorne an.“

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