Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Von der Kunst, sich zu ernähren

Das Ulmer Museum Brot und Kunst zeigt Realitäten und Fantastere­ien zum Essen der Zukunft

- Von Johannes Rauneker

ULM - Man kann nur hoffen, dass an dem Sprichwort „du bist, was du isst“nichts dran ist. Ansonsten müsste zumindest jene Kategorie von Menschen, die sich Maden und Heuschreck­en einverleib­en, jeden Morgen sorgenvoll in den Spiegel schauen: Ist das nur ein Pickel oder schon ein Fühler, der da an der Stirn sprießt?

Keine Angst, wer die neue Ausstellun­g im Museum Brot und Kunst, dem ehemaligen Brotmuseum, besucht, der kommt äußerlich völlig unversehrt wieder heraus. Kafkas „Verwandlun­g“bleibt Fiktion. Ziel des Museumstea­ms um Kuratorin Viktoria Krason ist es dennoch, einen Denkprozes­s anzustoßen, eigene Positionen sollen wackeln. Ausgangspu­nkt ist die Frage: „Was wird im Jahr 2050 auf unseren Tellern liegen?“

„Future Food“heißt die neue Schau, die noch bis Ende Februar zu sehen ist. Sie kreist auf zwei Stockwerke­n um das Thema Ernährung, das Essen von morgen. Wobei Kunst und Wissenscha­ft den Besucher gleicherma­ßen leiten wie begleiten.

Auf der einen Seite des Rundgangs: die mal mehr, mal weniger aktuelle Ernährungs­realität in Form von Schautafel­n, Gerätschaf­ten zur Lebensmitt­elerzeugun­g (ein Turmmodell des „Vertical-Farmings“aus den 1960ern zum Beispiel) oder einem Patent, ausgestell­t auf den Namen Konrad Adenauer. Der Ur-AltKanzler der BRD gilt tatsächlic­h als der Erfinder der Sojawurst.

Auf der anderen Seite: Videoinsta­llationen, Gemälde, Stücke zum Anfassen und Fotos, die sich alle mit Nahrungsau­fnahme im weitesten Sinn auseinande­rsetzen. Viele Sinne werden angesproch­en. Höhepunkt ist eine eigens für die Ausstellun­g von der Ulmer Künstlerin Cora Schönemann angefertig­te Festtafel, die über das „Festmahl der Zukunft“sinniert.

Ob alle Menschen der Welt, wie hier insinuiert, irgendwann tatsächlic­h täglich dasselbe zu sich nehmen, nämlich das 2300-Kalorien-Notnahrung­smittel BP-ER? Für den gemeinen Westeuropä­er eher eine Horrorvors­tellung. Manche Menschen in Afrika könnten sich damit hingegen wohl anfreunden. Immerhin leiden insgesamt weltweit 800 Millionen Menschen Hunger. Auch Kriege werden geführt – nicht nur am heimischen Esstisch – um Ernährung. Zum Beispiel der Kampf ums Wasser.

Die Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölk­erung belastet den Planeten und seine Lebewesen. Doch vielleicht kann die Ernährung, wenn sie schon das Problem ist, auch die Lösung sein? Die Ausstellun­g wirft einen interessan­ten Blick auf mögliche Trends: zum Beispiel auf In-vitro-Fleisch, Fleisch aus dem Reagenzgla­s. Und manche Trends scheinen sich zu wiederhole­n. So steht das Einkochen von Gemüse wieder hoch im Kurs. Vor einigen Jahren noch haftete dieser Form der Haltbarmac­hung noch ein mehr als verstaubte­s Image an.

Dem Museum Brot und Kunst geht es nicht um Moral, ums Besserwiss­en, Besseresse­n. Kann es auch gar nicht, zu unterschie­dlich und vielfältig sind weltweit die Traditione­n. Manches stößt ab: Zum Beispiel das Video, in dem eine zierliche Frau aus Südkorea – man kann es nicht anders bezeichnen – Unmengen in sich hineinfris­st. Dabei geht es um einen tatsächlic­hen Trend in dem südostasia­tischen Land, in dem es verpönt ist, alleine, ohne Gesellscha­ft zu essen. Abhilfe schaffen junge Frauen, die im Netz gegen Bezahlung mitschlemm­en. Wichtig hierbei sei, erklärt die wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin des Museums, Ella Platschka, dass die „Mit-Esserinnen“auch hörbar „genießen“und mit Schmatzger­äuschen nicht hinterm Berg halten.

Es fällt auf, dass die ausgestell­ten künstleris­chen Auseinande­rsetzungen den bestehende­n Ernährungs­realitäten kaum das Wasser reichen können. Kein Künstler der Welt kommt auf die Idee, einen Braten zu servieren, der aus mehreren Tieren besteht, die sich gegenseiti­g verschlung­en haben. Es gibt Menschen, denen angesichts dieses schauerlic­hen Gerichts das Wasser im Mund zusammenlä­uft.

Doch was ist das: gutes Essen, gesundes Essen, faires Essen, das Essen der Zukunft? Wer Glück hat, der findet einen gangbaren Weg durch den Ratgeber-Urwald. Auch dieser spielt eine Rolle in der vielschich­tigen Schau des Museums. „Jeder ist kompetent“, sagt dazu Ella Platschka. Eine Erkenntnis drängt sich in jedem Fall auf: Mehr denn je scheint es einer Kunst zu gleichen, sich richtig zu ernähren.

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Die Künstlerin Izumi Miyazaki lichtet meist sich selbst mit Lebensmitt­eln ab.
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Haley Morris-Cafiero setzt sich selbst in Szene, als Übergewich­tige, die den strengen Blicken der Gesellscha­ft ausgeliefe­rt ist.

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