Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Von der Kunst, sich zu ernähren
Das Ulmer Museum Brot und Kunst zeigt Realitäten und Fantastereien zum Essen der Zukunft
ULM - Man kann nur hoffen, dass an dem Sprichwort „du bist, was du isst“nichts dran ist. Ansonsten müsste zumindest jene Kategorie von Menschen, die sich Maden und Heuschrecken einverleiben, jeden Morgen sorgenvoll in den Spiegel schauen: Ist das nur ein Pickel oder schon ein Fühler, der da an der Stirn sprießt?
Keine Angst, wer die neue Ausstellung im Museum Brot und Kunst, dem ehemaligen Brotmuseum, besucht, der kommt äußerlich völlig unversehrt wieder heraus. Kafkas „Verwandlung“bleibt Fiktion. Ziel des Museumsteams um Kuratorin Viktoria Krason ist es dennoch, einen Denkprozess anzustoßen, eigene Positionen sollen wackeln. Ausgangspunkt ist die Frage: „Was wird im Jahr 2050 auf unseren Tellern liegen?“
„Future Food“heißt die neue Schau, die noch bis Ende Februar zu sehen ist. Sie kreist auf zwei Stockwerken um das Thema Ernährung, das Essen von morgen. Wobei Kunst und Wissenschaft den Besucher gleichermaßen leiten wie begleiten.
Auf der einen Seite des Rundgangs: die mal mehr, mal weniger aktuelle Ernährungsrealität in Form von Schautafeln, Gerätschaften zur Lebensmittelerzeugung (ein Turmmodell des „Vertical-Farmings“aus den 1960ern zum Beispiel) oder einem Patent, ausgestellt auf den Namen Konrad Adenauer. Der Ur-AltKanzler der BRD gilt tatsächlich als der Erfinder der Sojawurst.
Auf der anderen Seite: Videoinstallationen, Gemälde, Stücke zum Anfassen und Fotos, die sich alle mit Nahrungsaufnahme im weitesten Sinn auseinandersetzen. Viele Sinne werden angesprochen. Höhepunkt ist eine eigens für die Ausstellung von der Ulmer Künstlerin Cora Schönemann angefertigte Festtafel, die über das „Festmahl der Zukunft“sinniert.
Ob alle Menschen der Welt, wie hier insinuiert, irgendwann tatsächlich täglich dasselbe zu sich nehmen, nämlich das 2300-Kalorien-Notnahrungsmittel BP-ER? Für den gemeinen Westeuropäer eher eine Horrorvorstellung. Manche Menschen in Afrika könnten sich damit hingegen wohl anfreunden. Immerhin leiden insgesamt weltweit 800 Millionen Menschen Hunger. Auch Kriege werden geführt – nicht nur am heimischen Esstisch – um Ernährung. Zum Beispiel der Kampf ums Wasser.
Die Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölkerung belastet den Planeten und seine Lebewesen. Doch vielleicht kann die Ernährung, wenn sie schon das Problem ist, auch die Lösung sein? Die Ausstellung wirft einen interessanten Blick auf mögliche Trends: zum Beispiel auf In-vitro-Fleisch, Fleisch aus dem Reagenzglas. Und manche Trends scheinen sich zu wiederholen. So steht das Einkochen von Gemüse wieder hoch im Kurs. Vor einigen Jahren noch haftete dieser Form der Haltbarmachung noch ein mehr als verstaubtes Image an.
Dem Museum Brot und Kunst geht es nicht um Moral, ums Besserwissen, Besseressen. Kann es auch gar nicht, zu unterschiedlich und vielfältig sind weltweit die Traditionen. Manches stößt ab: Zum Beispiel das Video, in dem eine zierliche Frau aus Südkorea – man kann es nicht anders bezeichnen – Unmengen in sich hineinfrisst. Dabei geht es um einen tatsächlichen Trend in dem südostasiatischen Land, in dem es verpönt ist, alleine, ohne Gesellschaft zu essen. Abhilfe schaffen junge Frauen, die im Netz gegen Bezahlung mitschlemmen. Wichtig hierbei sei, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums, Ella Platschka, dass die „Mit-Esserinnen“auch hörbar „genießen“und mit Schmatzgeräuschen nicht hinterm Berg halten.
Es fällt auf, dass die ausgestellten künstlerischen Auseinandersetzungen den bestehenden Ernährungsrealitäten kaum das Wasser reichen können. Kein Künstler der Welt kommt auf die Idee, einen Braten zu servieren, der aus mehreren Tieren besteht, die sich gegenseitig verschlungen haben. Es gibt Menschen, denen angesichts dieses schauerlichen Gerichts das Wasser im Mund zusammenläuft.
Doch was ist das: gutes Essen, gesundes Essen, faires Essen, das Essen der Zukunft? Wer Glück hat, der findet einen gangbaren Weg durch den Ratgeber-Urwald. Auch dieser spielt eine Rolle in der vielschichtigen Schau des Museums. „Jeder ist kompetent“, sagt dazu Ella Platschka. Eine Erkenntnis drängt sich in jedem Fall auf: Mehr denn je scheint es einer Kunst zu gleichen, sich richtig zu ernähren.