Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gott als „die Lebendige“
Die „Bibel in gerechter Sprache“soll neu übersetzt werden – 2006 stieß die Erstausgabe auf Kritik
FRANKFURT (epd) - Sie sorgte auf der Frankfurter Buchmesse vor 15 Jahren für Aufregung: die „Bibel in gerechter Sprache“. Das Werk aus dem Umkreis der feministischen Theologie hat sich etabliert, ist aber nicht unumstritten. Nun soll es neu übersetzt werden.
Es war eine besondere Vorstellung auf der Frankfurter Buchmesse 2006: Aus privater Initiative hatten 52 Theologinnen und Theologen die Bibel in fünf Jahren neu übersetzt mit dem Anspruch, dies in „gerechter Sprache“zu tun. Ihre Absicht war, nicht nur dem Urtext gerecht zu werden, sondern auch den Geschlechtern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, dem christlich-jüdischen Dialog und den sozialen Verhältnissen. Theologinnen und Theologen aus dem Umkreis der feministischen Theologie zollten Beifall, andere kritisierten, die Einbeziehung politischer Kriterien verändere den Text unzulässig.
Die Marburger Neutestamentlerin Angela Standhartinger, Mitglied des Übersetzungsteams, ist überzeugt, dass die neue Bibel Wirkung zeigt. In der Kirche werde die Gottesanrede „Herr“inzwischen häufig ersetzt, und in der Version der Lutherbibel von 2017 würden in den
Grüßen des Paulus neben den „Brüdern“im Urtext jetzt auch die Schwestern hinzugefügt. Eines der Markenzeichen der neuartigen Übersetzung ist, dass sie von Gott nicht als „Herrn“spricht wie im griechischen Urtext. Die „Bibel in gerechter Sprache“präsentiert stattdessen eine Vielzahl von Anreden in beiderlei Geschlecht, wie „Adonaj“, „die Lebendige“, „der Ewige“, „die Heilige“. Die Anrede des Vaterunsers lautet: „Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel“(Matthäus 6,9).
Zu den Kritikern der Übersetzung zählt der Theologe und damalige Direktor des Züricher Instituts für Hermeneutik und Religionsphilosophie,
Ingolf U. Dalferth. „Kein Text der Bibel wurde in der Absicht verfasst, geschlechtergerecht, antidiskriminatorisch und frei von Antijudaismus zu sein“, schrieb er im November 2006. Eine sachgerechte Übersetzung dürfe das nicht verwischen. Sie müsse das Sperrige deutlich machen, um eine kritische Auseinandersetzung zu ermöglichen. Selbstverständlich könne man die Bibel unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten kritisch lesen und auslegen. Aber sie so zu übersetzen, „ist schlicht irreführend“. Dalferth bekräftigte nun auf Anfrage: „Meine Überzeugung hat sich nicht geändert, sondern verstärkt. Es ist hermeneutisch abwegig, so zu übersetzen.“
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) distanzierte sich von der „Bibel in gerechter Sprache“: Die Gerechtigkeit in drei Perspektiven bekomme als Übersetzungskriterium „den Charakter von vorgefassten Meinungen, die in den Text hineingetragen werden“, erklärte der Rat im März 2007. Gerechtigkeit bei einer Übersetzung bedeute, dass sie „dem zu übersetzenden Text gerecht werden muss“.
Die Bedenken seien weiter zutreffend und aktuell, sagte der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes, Thies Gundlach. Dies schließe aber nicht aus, die Übersetzung außerhalb des Gottesdienstes zu benutzen.
Wenn sie dazu beitrage, sich von Gott kein Bildnis zu machen, sei dies eine positive Wirkung.
Der Verein „Bibel in gerechter Sprache“hat nach den Worten von Claudia Janssen, Mitglied im Herausgabekreis und Verein, kurz vor der Frankfurter Buchmesse beschlossen, die Arbeit an einer neuen Übersetzung zu beginnen. In den Debatten um Geschlechtergerechtigkeit und Postkolonialismus seien wichtige Fragen neu erhoben worden, begründet die Theologin. Die ersten Texte und Termine stünden noch nicht fest. Das Ziel schon: eine Neuausgabe der „Bibel in gerechter Sprache“.