Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Fluch und Segen der Bürokratie
ALLGÄU - Es ist dieses eine Thema, das alles andere in den Schatten stellt: „Die Corona-Krise hat 90 Prozent der Zeit verschlungen“, sagt Maria Rita Zinnecker. Seit gut einem Jahr ist sie die Aufsichtsratsvorsitzende der Allgäu GmbH. So habe die Region darum gekämpft, dass die Schließung von Hotels nicht mehr von Inzidenz-Werten abhängt. Inzwischen ist es so gekommen.
Doch neben der Pandemie gibt es viele weitere Themen für die Allgäu GmbH, die sich häufig um den Verkehr drehen: Wie lassen sich überfüllte Tourismusgebiete entlasten? Wie kann die Bahn das Diesel-Zeitalter hinter sich lassen? Wie können Allgäuer Kommunen beim Nahverkehr besser zusammenarbeiten und den Fahrgästen ein attraktiveres Angebot machen? Da seien „dicke Bretter“zu bohren, sagt die Ostallgäuer CSU-Landrätin.
Bei den Themen Corona und Verkehr gibt es sogar Schnittmengen. Rückblende zum Sommer 2020: Noch mehr Ausflügler als sonst sind in die Region gekommen – nicht zuletzt deshalb, weil die Grenzen zu Österreich geschlossen waren. Einem Thema, das schon vorher auf der Agenda stand, hat dies weitere Brisanz verliehen: Wie lassen sich die Besuchermassen so lenken, dass sie besser auf die Region verteilt und die Hotspots entlastet werden?
Zinnecker erwähnt in diesem Zusammenhang, dass „Pilotprojekte ganz gut funktionieren“. Im Oberallgäuer Hinterstein und am Alatsee bei Füssen dokumentieren Kameras seit Juni die aktuelle Belegung der Parkplätze. Schilder am Anfang der Zufahrtsstraßen sollen den Besuchern zeigen, ob noch Plätze frei sind. So sollen Gäste frühzeitig wissen, ob sich die Fahrt zu dem Ausflugsziel in diesem Moment lohnt.
Zinnecker hofft, dass dieses Projekt durch ein Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums Schub bekommt. Vom Freistaat gebe es Geld für den Kauf von Geräten, die Daten erheben. Die Landrätin stellt sich vor, die Belegung allgäuweit an 30 bis 40 Parkplätzen zu messen und die Standorte miteinander zu vernetzen: „Der Gast muss vorab am Handy schauen können, ob es noch freie Plätze gibt“, sagt Zinnecker. Die Informationen sollen sich dabei nicht nur auf den Ist-Zustand beziehen. Wichtig für die Besucher sei auch, dass Prognosen anhand von Erfahrungswerten erstellt werden, sagt die Aufsichtsratsvorsitzende der Allgäu GmbH.
Auch bei einem anderen Verkehrsprojekt geht es darum, sowohl den Einheimischen als auch den Gästen einen besseren Service zu bieten. Die Kreise Ost- und Oberallgäu sowie die Städte Kempten und Kaufbeuren streben einen gemeinsamen Verkehrsverbund mit einheitlichen Tarifen und Tickets an. Doch bis dies irgendwann gelingt, ist es noch ein weiter Weg. Eine Studie sei Voraussetzung für einen Zuschuss des Freistaats, sagt Zinnecker. „Die EU-weite Ausschreibung ist gelaufen, der Auftrag wird demnächst erteilt.“Die Studie sei „sehr aufwendig“ und solle möglichst bis 2023 abgeschlossen sein. Ziel sei es, auch die Bahn „ins Boot zu holen“. Unabhängig davon gehe es beim Bahnverkehr darum, das „Dieselloch Allgäu“zu verkleinern. „Parallel zum Kampf um die Elektrifizierung“, etwa auf der Strecke Ulm–Oberstdorf, setze sich die Allgäu GmbH auch für „Strecken mit alternativen Antriebstechnologien wie Wasserstoff “ein, sagt Zinnecker.
Die Corona-Krise und die damit verbundenen Lockdowns haben dazu geführt, dass viele Mitarbeiter im Tourismus die Branche gewechselt haben. Darum sollten Hotellerie und Gastronomie nach der Pandemie „mit Kampagnen unterstützt werden“, fordert Zinnecker. Um die
Maria Rita Zinnecker zur Situation des Bahnverkehrs in der Region
Branche für Mitarbeiter wieder attraktiver zu machen, sei es auch sinnvoll, mehr Betriebswohnungen anzubieten. „Sie werden teilweise schon gebaut“, sagt die Aufsichtsratsvorsitzende.
Aber nicht nur für TourismusKräfte „brauchen wir in der Region mehr Wohnraum“, fügt die Ostallgäuer Landrätin hinzu. Hier seien auch die Kommunen gefordert. All dies falle in eine Zeit sehr hoher Baukosten.
Die Allgäu GmbH hat darum auch ein Potenzial im Blick, das bisher nur selten ausgeschöpft wird: In den Ortskernen stehen viele Hofstellen leer, weil dort die Landwirtschaft aufgegeben wurde und es für die Gebäude noch keine neue Nutzung gibt. Die Allgäu GmbH startet deshalb das Projekt „Alter Hof sucht neue Liebe“. In diesem Zusammenhang ist von November bis Februar eine Workshop-Reihe für Besitzerinnen und Besitzer alter Höfe geplant.
ALLGÄU (hku/raf) - Es ist eine Kritik, die immer wieder zu hören ist: Öffentliche Projekte dauern zu lange, das politische System ist nicht leistungsfähig genug. Als Beispiel dienen häufig Straßenbau-Vorhaben. Bei manchen dauert es Jahrzehnte von den ersten Plänen bis zur Realisierung. Auch bei Bahnprojekten brauche man „einen wahnsinnig langen Atem“, sagt der Memminger Rathauschef Schilder: „Sowas ist der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln.“Kaufbeurens OB Bosse spricht den
„Alles ist gut, was das ,Dieselloch Allgäu‘ reduziert.“
Wohnungsbau an: Da gebe es viel Bürokratie, „von den Nachbar-Belangen bis zum Lärmschutz“. Wenn man sich den Luxus strenger Regeln leiste, müsse man eine lange Projektdauer in Kauf nehmen. „Das geht so lange gut, wie wir wettbewerbsfähig sind“, sagt Kemptens OB Kiechle. „Noch können wir uns das leisten“, pflichtet ihm Bosse bei. Die öffentlichen Verwaltungen wären in der Lage, schnellere Lösungen zu finden, fügt er hinzu. Aber dann bestehe eine höheren Fehlergefahr.
„Die Menschen wollen umfassende Zuständigkeiten und Verantwortung. Das schaffen wir aber nicht.“
„Wir sind oft in Handschellen unterwegs.“
Memmingens OB Manfred Schilder zu bürokratischen Zwängen im Kommunalrecht