Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Neue Stellen für Grün-Schwarz
Fast 10 000 zusätzliche Landesbedienstete seit 2011 – Streit um Notwendigkeit
STUTTGART - Seit 2011 regieren die Grünen in Baden-Württemberg. Allein in den vergangenen fünf Jahren wurden nach Angaben des Finanzministeriums rund 680 neue Jobs in den Ministerien geschaffen. Die Zahl der Stellen in der Landesverwaltung wuchs um rund 6300 auf 215 300. Wohin sind die Stellen genau gegangen? Und was ist dran am Vorwurf, die Landesregierung würde unnötig viel Personal aufbauen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie viele Stellen wurden geschaffen, seit die Grünen in BadenWürttemberg regieren?
Insgesamt hat sich die Anzahl der Stellen in der Landesverwaltungund -regierung seit 2011 um etwa 9900 erhöht (von 206 320 in 2011 auf 216 230 im Plan der Regierung für 2022). 1160 davon entfielen direkt auf den Regierungsapparat, also die Ministerien. Den Rest erhielten nachgeordnete Bereiche, also zum Beispiel die Polizei.
Wohin gingen die neuen Stellen genau?
Der Geschäftsbereich des Innenministeriums bekam in den vergangenen zehn Jahren rund 2800 Stellen zusätzlich. Hier schlug vor allem die Einstellungsoffensive bei der Polizei zu Buche. In der Steuer- und Finanzverwaltung wurden rund 1400 neue Stellen geschaffen. Die meisten neuen Mitarbeiter durften das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) und die ihm zugehörigen Einrichtungen begrüßen. 4250 neue Stellen gingen hier vor allem an Universitäten. Hintergrund ist laut MWK die steigende Zahl Studierender: von gut 287 000 im Jahr 2011 auf jetzt gut 364 000 – ein Plus von 27 Prozent. „Allein das rechtfertigt den Stellenzuwachs“, sagte ein MWK-Sprecher. Zudem sei Hochschulen die Möglichkeit gegeben worden, bisher befristete in dauerhafte Stellen zu verwandeln.
Der aktuelle Haushalt für 2022 sieht rund 1200 neue Stellen vor. Davon gehen 157 an den Regierungsapparat. Der Schwerpunkt bei den neuen Stellen liege aber auf der Justiz, um zum Beispiel neue Haftplätze zu schaffen, heißt es aus dem Finanzministerium. Außerdem wird die Polizei weiter aufgestockt. Bis 2026 sollen 1340 Polizeianwärter zusätzlich eingestellt werden.
Wie werden die zusätzlichen Stellen begründet?
Das Finanzministerium bittet darum, alle Zahlen im Kontext zu sehen. Das Land sei schließlich in den vergangenen zehn Jahren wirtschaftlich gewachsen und habe an Einwohnern dazugewonnen, sagt ein Sprecher. Auch seien neue Aufgaben gerade im Bereich Digitalisierung, Klimaschutz oder auch der inneren Sicherheit dazugekommen. „Diese neuen Aufgaben haben auch neue Stellen zur Folge gehabt.“
Das formale Haushaltsvolumen erhöhte sich laut Finanzministerium von 2012 bis 2022 um 41,4 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Wirtschaftsleistung im Südwesten um 34,5 Prozent und die Bevölkerung um 6,4 Prozent. Die Einnahmen des Landes seien in etwa so stark gewachsen wie das Bruttoinlandsprodukt (rund 34 Prozent).
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) selbst zeigte bei der Vorstellung des Entwurfs für den Haushalt 2022 jedoch auch Verständnis für die Kritik. „So notwendig und vertretbar die Stellen im Einzelnen sind, ist die Globalkritik daran, dass man nicht nur Stellen schaffen kann, ohne welche abzubauen, natürlich berechtigt“, sagte er und kündigte an, bei den Gesprächen über den Doppeletat 2023/2024 nach Sparmaßnahmen suchen zu wollen.
Der neue Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) erklärte, er habe viele Forderungen nach Mehrausgaben zurückgewiesen. „Ich mache mir nicht nur Freunde.“Gleichwohl gebe es schon gute Begründungen für die neuen Stellen. „Wir wollen auch was reißen in diesen nächsten fünf Jahren.“Da sei es selbstverständlich, dass es an der einen oder anderen Stelle Verstärkung brauche.
Wie ist das in anderen Bundesländern?
Auch das Nachbarland Bayern schafft neue Stellen – laut Finanzministerium vor allem in den Bereichen Schule, Hochschulen, Innere Sicherheit
und im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Jedes Jahr werden in Bayern zusätzlich 1100 Lehrer und 500 Polizisten eingestellt. Im Rahmen der Bayerischen HightechAgenda wurden außerdem 1000 neue Professorinnen- und Professorenstellen geschaffen.
Was wird in Baden-Württemberg genau kritisiert?
„Den starken Anstieg der Personalkosten kritisiert der Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg seit vielen Jahren. Vor allem, weil jede neu geschaffene Stelle den Haushalt über Jahrzehnte belastet“, sagt Zenon Bilaniuk, der Landesvorsitzende des Bundes der Steuerzahler. Es sei verständlich, dass in manchen Bereichen tatsächlich neue Stellen nötig und diese von der Landesregierung auch begründet sind. Allerdings müsse sich Grün-Schwarz darüber bewusst sein, dass die Personalkosten nicht immer weiter und unaufhaltsam steigen können. „Gerade nicht in Zeiten, in denen der Landeshaushalt nicht ohne die Aufnahme von Krediten in Milliardenhöhe auskommt.“
Der Bund der Steuerzahler fordert deshalb, dass mit Blick aufs Personal auch Stellen eingespart werden. Mehrausgaben, wie beispielsweise für die im Haushaltsplan 2022 neu geschaffenen 1200 Stellen, sollten dann nach dem Prinzip „One-in-one-out“erfolgen. Für alle neuen Personalausgaben müssten dann an anderer Stelle bei den Personalkosten eingespart werden. „Dieses Prinzip wurde von der neuen Landesregierung noch in den Koalitionsgesprächen für Ausgaben in allen Bereichen angekündigt. „One-in-one-out“wäre der richtige Weg, von diesem Grundsatz ist mittlerweile allerdings leider nichts mehr zu erkennen“, sagt Bilaniuk.
Die Opposition stößt sich vor allem an den neuen Posten in den Ministerien. „Das Highlight der Regierungsbildung im negativen Sinne war ja die Vielzahl der neu berufenen Staatssekretäre, die nun die Regierungspolitik erklären sollen“, sagt etwa Stephen Brauer, der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion. „In Wirklichkeit dienen die Posten dazu, Konflikte mit dem Koalitionspartner zu verdecken und entstandene Gräben zuzuschütten – und zwar mit Geld des Steuerzahlers.“
Kretschmann hatte den Postenaufwuchs innerhalb seiner Regierung zuvor mit dem erheblich gestiegenen Kommunikationsaufwand begründet. Er sprach von einer „Verpapstung der Politik“: „Alle wollen mit dem Papst reden, keiner mit dem Bischof.“