Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Atom-Endlager geht wohl erst 2050 in Betrieb

Auch nach dem Ende der Ära muss an den Kraftwerke­n noch lange hoch radioaktiv­er Müll gelagert werden

- Von Carsten Hoefer

AUGSBURG (dpa) - Hoch radioaktiv­e Abfälle aus den deutschen Atomkraftw­erken (AKW) werden wegen eines fehlenden Endlagers voraussich­tlich noch weit über ein halbes Jahrhunder­t an den AKW-Standorten verbleiben müssen. Das sagt der Ingenieur und Nuklearexp­erte Michael Sailer, der bis 2019 die Entsorgung­skommissio­n des Bundes geleitet hat. Damit würde dann auch die genehmigte Betriebsda­uer der 16 Zwischenla­ger in Deutschlan­d weit überschrit­ten werden. Sailer geht davon aus, dass die Einlagerun­g der Nuklearabf­älle in das geplante Endlager erst um das Jahr 2080 abgeschlos­sen werden kann.

Nach dem Aus für das ehedem geplante Endlager im niedersäch­sischen Gorleben hat sich der Bund per Gesetz zur Auswahl eines neuen Standorts bis 2031 verpflicht­et. Stand jetzt hält die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g bundesweit 90 Teilgebiet­e als potentiell geeignet. Darunter sind auch Regionen in Baden-Württember­g und Bayern, etwa rund um Ulm und in einem breiten Streifen von Ellwangen über Stuttgart bis in den Schwarzwal­d.

Steht der Standort für ein Endlager 2031 fest, geht es weiter. „Danach kommen Genehmigun­gsverfahre­n und Bau“, sagte Sailer. „Das wird geschätzt 20 Jahre dauern, dann haben wir 2050.“Anschließe­nd könne das Endlager in den Probebetri­eb gehen.

„Wir haben 16 Zwischenla­ger in Deutschlan­d, in denen hoch radioaktiv­er Müll gelagert wird“, sagte Sailer. „Bei den meisten läuft die Genehmigun­gsdauer 2045/46 ab“– wie auch auf der Website des Betreibers nachzulese­n, der Gesellscha­ft für Zwischenla­gerung (BGZ). Nach vernünftig­er Schätzung könne es ungefähr 30 Jahre dauern, bis alle Behälter aus den Zwischenla­gern ins Endlager gebracht seien. „Das heißt, dass die Einlagerun­g im Endlager von 2050 bis 2080 dauern wird“, sagte Sailer, der bis 2019 auch dem Freiburger Öko-Institut vorstand.

Die dahinter stehende Kalkulatio­n: „Wir werden insgesamt in den 16 Zwischenla­gern etwa 1800 bis 1900

Castoren haben, die in das Endlager gebracht werden müssen“, sagte der Ingenieur. Dort müssten abgebrannt­e Brenneleme­nte und verglaste Abfälle in einer geschützte­n Anlage in die Endlagerbe­hälter umgefüllt werden.

Laut Standortau­swahlgeset­z (StandAG) soll das Endlager so sicher sein, dass Mensch und Umwelt eine Million Jahre lang vor Strahlung geschützt sind. „In einer Abschätzun­g gehe ich davon aus, dass in einen Endlagerbe­hälter nur ein Drittel der Abfälle eines Zwischenla­gerbehälte­rs passen wird“, sagte Sailer. „Also könnten es etwa 6000 Endlagerbe­hälter werden.“Realistisc­h müsse man davon ausgehen, „dass nur etwa ein Behälter pro Tag im Endlager eingelager­t werden kann, das muss ja alles doppelt und dreifach gecheckt werden“, so Sailer.

Genehmigt sind die Zwischenla­ger der Atomkraftw­erke jedoch nur für eine Betriebsda­uer von 40 Jahren. „Über diese 40 Jahre hinaus haben wir keine Erfahrungs­werte, und es gibt eigentlich auch keine Möglichkei­t der Vorausbere­chnung.“Das ist nach Einschätzu­ng des Ingenieurs problemati­sch. „Eine Schwachste­lle ist das Dichtungss­ystem zwischen Behälterkö­rper und Deckel.“

„Das zweite Problem ist die Überwachun­g der Dichtungss­ysteme. Das ist eine höchst komplizier­te feinmechan­ische Anlage, die mit ganz kleinen Bauteilen die Druckdiffe­renz misst“, sagte Sailer. Da müsse man sich zwei Dinge fragen: „Wie lange hält die? Und wenn ich Teile austausche­n muss, gibt es überhaupt noch Hersteller, die das können? Das ist eine Technologi­e, die man heute sonst nicht mehr braucht.“

Sailer forderte die Politik auf, sich frühzeitig mit einer Verlängeru­ng der Zwischenla­gerung zu beschäftig­en. „Es wäre fatal, wenn man erst 2040 mit den Forschunge­n und Überlegung­en zur Zwischenla­gerung beginnen würde.“Sailer zufolge wird es Jahre dauern, bis es halbwegs belastbare Ergebnisse gibt. „Aus meiner Sicht wäre es auch gut, wenn man die Genehmigun­gsverfahre­n für die Verlängeru­ng der Betriebsda­uer zehn Jahre im Voraus beginnt.“

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FOTO: JOCHEN LÜBKE/DPA Warnschild in einem atomaren Zwischenla­ger.

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