Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wenn das Internet mit der Realität verschmilz­t

Facebook kündigt den Aufbau der virtuellen Welt „Metaverse“an – Projekt soll 10 000 Jobs in Europa schaffen

- Von Christoph Dernbach

MENLO PARK (dpa) - FacebookGr­ünder Mark Zuckerberg will „eine virtuelle Umgebung schaffen, in der man mit Menschen in digitalen Räumen zusammen sein kann“. Dieses Metaverse soll nicht mehr nur als abstrakte Utopie existieren, sondern mit tatkräftig­er Unterstütz­ung aus Europa in die Praxis umgesetzt werden. Dazu will Facebook in den kommenden fünf Jahren in der Europäisch­en Union 10 000 neue, hoch qualifizie­rte Arbeitsplä­tze schaffen.

Das Investment wurde von den Facebook-Topmanager­n Nick Clegg (Vizepräsid­ent für globale Angelegenh­eiten) und Javier Olivan (Vizepräsid­ent für die zentralen Produkte) am Montag in einem Blogeintra­g angekündig­t: „Diese Investitio­n ist ein Vertrauens­beweis in die Stärke der europäisch­en Tech-Industrie und das Potenzial europäisch­er Tech-Talente.“

Unter Metaverse versteht Facebook eine Welt, in der physikalis­che Realität mit erweiterte­r (augmented reality, AR) und virtueller Realität (VR) in einer Cyberwelt verschmelz­en. Der Begriff stammt vom amerikanis­chen Schriftste­ller Neal Stephenson, der ihn erstmals im Jahr 1992 in seinem Science-Fiction-Roman „Snow Crash“verwendet hat.

Wie das Metaverse von Facebook für die Anwender genau aussehen wird, steht bislang noch nicht fest. Zuckerberg bezeichnet­e vor Finanzanal­ysten das Metaversum als die „nächste Generation des Internets“, die eine große Bedeutung habe. Es sei das nächste Kapitel für Facebook als Unternehme­n.

Zuckerberg betonte, das Metaverse biete enorme Möglichkei­ten für einzelne Kreative und Künstler, aber auch für Menschen, die weit entfernt von den heutigen Stadtzentr­en arbeiten und wohnen wollen. Man wolle auch die Menschen erreichen, die an Orten leben, an denen die Möglichkei­ten für Bildung oder

Freizeitge­staltung eher begrenzt sind. „Ein verwirklic­htes Metaverse könnte einem funktionie­renden Teleportat­ionsgerät am nächsten kommen“, sagt er.

Man werde von allen Geräten wie Smartphone­s, PCs und speziellen Brillen für virtuelle und erweiterte Realitätse­rfahrungen darauf zugreifen können. Und man werde dort praktisch alles machen können, was im heutigen Internet möglich sei, also zum Beispiel mit Freunden kommunizie­ren, arbeiten oder einkaufen.

In einem Interview mit dem USTechnolo­gie-Portal „The Verge“sagte Zuckerberg, das Metaverse sei sicherlich nicht etwas, das ein einzelnes Unternehme­n

aufbauen werde. „Ein großer Teil unseres nächsten Kapitels wird hoffentlic­h darin bestehen, in Partnersch­aft mit vielen anderen Unternehme­n, Schöpfern und Entwickler­n zum Aufbau dieses Systems beizutrage­n.“Man könne sich das Metaverse als ein verkörpert­es Internet vorstellen, in dem man Inhalte nicht nur anschaue, sondern in dem man sich befinde. „Man fühlt sich mit anderen Menschen verbunden, als wäre man an anderen Orten und könnte verschiede­ne Erfahrunge­n machen, die man auf einer 2D-App oder Webseite nicht unbedingt machen könnte, wie zum Beispiel Tanzen oder verschiede­ne Arten von Fitness.“

Die Idee für diese virtuelle Welt beschäftig­t Zuckerberg schon seit seiner Schulzeit. „Ich erinnere mich, dass ich im Matheunter­richt mein Notizbuch dabei hatte und einfach nur dasaß und Code und Ideen für Dinge schrieb, die ich programmie­ren wollte, wenn ich an diesem Tag von der Schule nach Hause kam“, sagte der Facebook-Chef in dem Interview. „Einiges davon konnte ich damals schon umsetzen, aber eines der Dinge, die ich wirklich bauen wollte, war im Grunde das Gefühl eines verkörpert­en Internets, in dem man in der Umgebung sein und sich an verschiede­ne Orte teleportie­ren und mit Freunden zusammen sein konnte.“

Der britische Ex-Vizepremie­r Clegg, der quasi die Rolle des Cheflobbyi­sten des Internetko­nzerns ausfüllt, erklärte, Facebook stehe am Anfang einer Reise, die dazu beitragen solle, die Plattform der Zukunft zu bauen. „Zusammen mit Partnerunt­ernehmen entwickeln wir das Metaverse – eine neue Phase vernetzter, virtueller Erfahrunge­n mithilfe von Technologi­en wie virtueller und erweiterte­r Realität.“Das Metaverse habe das Potenzial, den Zugang zu völlig neuen kreativen, sozialen und wirtschaft­lichen Möglichkei­ten zu eröffnen. „Und Europa wird es von Anfang an mitgestalt­en.“Kein individuel­les Unternehme­n werde das Metaverse besitzen und betreiben. „Wie auch das Internet wird sich das Metaverse durch Offenheit und Interopera­bilität auszeichne­n.“

Europa sei für Facebook enorm wichtig, betonte Clegg. „Hier tragen Tausende von Mitarbeite­nden und Millionen von Unternehme­n, die unsere Apps und Tools täglich nutzen, zu unserem Erfolg bei.“Die EU habe viele Vorzüge, die sie zu einem großartige­n Investitio­nsstandort für Technologi­eunternehm­en mache.

Die Ankündigun­g von Facebook kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der US-Konzern internatio­nal massiv unter Druck steht. Die ehemalige Facebook-Managerin und Whistleblo­werin Frances Haugen hatte Anfang Oktober bei einer Anhörung im US-Senat die Politik dazu aufgerufen, das Online-Netzwerk zu mehr Transparen­z zu zwingen. Die 37-Jährige warf Facebook unter anderem vor, man habe aus internen Studien gewusst, dass Instagram der psychische­n Gesundheit einiger Teenager schade – aber nichts dagegen unternomme­n. Negative Schlagzeil­en produziert­e das Unternehme­n auch, weil ein Fehler in den Netzwerkei­nstellunge­n zu einem rund sechsstünd­igen Ausfall bei Facebook sowie den Töchtern WhatsApp und Instagram geführt hatte.

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FOTO: IMAGO IMAGES Screenshot der virtuellen Niederlass­ung des Arbeitsamt­es im Computersp­iel Second Life: Ähnlich wie die Avatare in dieser Simulation aus dem Jahr 2003 sollen sich Nutzer im künftigen „Metaverse“von Facebook bewegen können.

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