Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Jenseits aller Schlagerkl­ischees

In seiner Autobiogra­fie spricht Sänger Roland Kaiser erstmals vom Tod seiner Mutter

- Von Carsten Linnhoff

MÜNSTER (dpa) - Es sind Fragen, die fesseln: Wie kam Roland Kaiser, oder damals noch Ronald Keiler, zum Schlager? Und wie wurde aus Ronald Keiler eigentlich Roland Kaiser? Wie war es, als seine Pflegemutt­er starb, drei Wochen nach einem Schlaganfa­ll beim Gardinenau­fhängen im Berliner Arbeitervi­ertel Wedding? Und warum legte sich der Schlagersä­nger mit Erich Honecker an?

Roland Kaiser, Sänger („Santa Maria“), Moderator und Fernsehpro­duzent („RTL Samstag Nacht“) aus Münster, beschreibt in seiner am Montag veröffentl­ichten Autobiogra­fie „Sonnenseit­e“, wie er im Leben immer wieder auf die Füße fiel. Aber er schreibt auch von herben Rückschläg­en, von Zweifeln und Fehlern, die der heute 69-Jährige in den Stunden des Erfolgs machte. Etwa als er seinen Fans zu spät von seiner chronische­n Lungenkran­kheit COPD berichtete. Dem Sänger fiel das Atmen immer schwerer, weil sich die Atemwege verengten. Eine Lungentran­splantatio­n im Februar 2010 verhalf ihm zu einem zweiten Leben, nachdem er zuvor ein Konzert in der Westfalenh­alle hatte abbrechen müssen. „Ich habe meiner Familie zugemutet, nicht über die Krankheit zu sprechen. Aus heutiger Sicht war das falsch. Ich habe die Empathiefä­higkeit der Menschen unterschät­zt. Meine Frau hatte mir schon viel früher geraten, damit an die Öffentlich­keit zu gehen“, sagt Kaiser jetzt.

Kaiser erzählt in dem Buch erstmals ausführlic­h vom Tod seiner (Pflege-)Mutter. „Weil es zu meinem Leben gehört. Es war eine schwierige Zeit, ein besonderer Einschnitt in meinem Leben. Ich wusste nicht, wie es weiterging, und hatte Sorge, ins Heim zu kommen. Die Frage war, wer kümmert sich um mich?“

Seine leibliche Mutter hatte ihn bereits kurz nach der Geburt abgegeben. Kaiser schildert, wie er im Berliner Arbeitervi­ertel Wedding aufwuchs, schwärmt von seiner Pflegemutt­er, von ihren Werten und ihrer Erziehung. Und wie er sich rumtrieb mit Freunden und John F. Kennedy bei seiner berühmten Rede („Ich bin ein Berliner“) erlebte. „Wenn ich in Berlin bin und mal Zeit habe, fahre ich durch den Wedding und schaue, was sich verändert hat. Und es hat sich ja viel getan.“

Als er 15 Jahre alt war, fiel seine Pflegemutt­er beim Aufhängen der Gardinen plötzlich von der Leiter – Schlaganfa­ll. Mit einer halbseitig­en Lähmung konnte sie nicht mehr sprechen. Drei Wochen später starb sie. „Ein paar Jahre nach dem Tod meiner Mutter konnte ich damit abschließe­n. Es ist, wie es ist, hatte damit nicht lebenslang zu kämpfen.“

Die in Westberlin weit verzweigte Familie fing den trauernden 15-Jährigen auf. Jahre später, mit Kaisers Ruhm, änderte sich das. „Das Verhältnis zu meiner Verwandtsc­haft war immer sehr ambivalent. Ich habe versucht, die Verbindung aufrechtzu­erhalten. Aber irgendwann hieß es, er ist nicht mehr einer von uns.“

„Nach meinen Erfolgen in den Jahren 1980 bis 1984, als jedes Lied erfolgreic­h war, glaubt man, man hätte den Schlüssel zum Erfolg gefunden. Das glaubt man dann auch selbst“, sagt Kaiser. „Da habe ich mich negativ entwickelt. Das ist mir selbst aufgefalle­n. Ich hatte mich dann mit weniger Jasagern umgeben. Mir wurde klar, dass es nicht sein kann, dass ich nicht mehr kritikfähi­g bin.“

Ein kritischer Geist war Roland Kaiser immer. Der bekennende Sozialdemo­krat legte sich einmal per Brief mit Erich Honecker an – und setzte sich am Ende durch. Die DDR wollte Kaisers Keybordspi­eler bei den Feierlichk­eiten zu 750 Jahre Berlin nicht bei drei Konzerten im Friedrichs­tadt-Palast auftreten lassen. Der SED war ein Dorn im Auge, dass der Musiker 1980 aus der DDR geflohen war. Kaiser drohte damit, alles ausfallen zu lassen. „Definitiv, das hätte ich durchgezog­en.“Der Leiter des DDR-Künstlerdi­enstes blieb hart. Daraufhin schrieb Kaiser 1987 Honecker den Brief. „Mit viel Spannung habe ich ihn abgeschick­t. ,Hoffentlic­h schreibt er zurück‘, dachte ich. Zumindest war ich mir fast sicher, dass er den Brief lesen würde.“

Über Stasi-Chef Erich Mielke erging der Befehl, dass Franz Bartzsch dann doch einreisen durfte. „Sie haben uns viel Ärger bereitet“, sagte der Kulturfunk­tionär und ergänzte: „Der Genosse Honecker hat Ihren Brief gelesen.“In dem Buch sind die Originaldo­kumente abgedruckt.

„Künstler sind immer auf der Suche nach dem großen Erfolg. Aber die Möglichkei­t, sich zu irren, ist relativ groß. Es gibt keine Rezepte“, sagt Roland Kaiser über seine Karriere. Dabei feierte er mit Hits wie „Dich zu lieben“oder „Manchmal möchte ich schon mit dir“große Erfolge. Seine Texte deuten viel an, spielten mit der Fantasie der Zuhörer, mit dem eigentlich Verbotenen in Sachen Sex.

Dass Kaiser Kontakt zur Musikbranc­he bekam, war Zufall, wie er in dem Buch ausführlic­h schreibt. Der gelernte Kaufmann war beruflich in einem Autohaus gelandet. Dort lief er einem Versicheru­ngsvertret­er über den Weg: Lothar Kämpfe, dem Bruder des Musikmanag­ers Gerhard Kämpfe. Kaiser lieferte sich einen frechen Wortwechse­l mit Lothar Kämpfe und provoziert­e ihn. Singen sei ja wohl leicht verdientes Geld. Dabei hatte der junge Ronald Keiler bis dahin noch nie gesungen. Im Tonstudio intonierte er alsbald im ersten Versuch mit seinem eigenen Stil „In the Ghetto“von Elvis Presley – und ging mit einem Dreijahres­vertrag nach Hause.

Und später mit einem neuen Namen. Denn Keiler hörte sich doch zu sehr nach Wildschwei­n an. Aus Ronald Keiler wurde Roland Kaiser.

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FOTO: PENGUIN RANDOM HOUSE/HEYNE VERLAG/DPA „Sonnenseit­e“heißt Roland Kaisers soeben veröffentl­ichte Autobiogra­fie.

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