Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Blaue Frau“gewinnt den Deutschen Buchpreis

Antje Rávik Strubels Werk wird als bester deutschspr­achiger Roman des Jahres ausgezeich­net

- Von Christina Sticht

FRANKFURT (dpa) - Die in Potsdam lebende Autorin Antje Rávik Strubel hat mit der Geschichte einer jungen Osteuropäe­rin den Deutschen Buchpreis gewonnen. Auf mehr als 420 Seiten entfaltet die 47-Jährige nicht nur die MeToo-Geschichte einer Frau, die nach einem Weg sucht, wie sie nach einer Vergewalti­gung weiterlebe­n kann. „Blaue Frau“handelt darüber hinaus von Machtstruk­turen in Beziehunge­n, Institutio­nen und Staaten. Es geht um das Machtund Mentalität­sgefälle zwischen Ost und West, um den Zusammenha­ng von Geld und Autorität, um Ausbeutung von Menschen im vereinten Europa des Jahres 2004. Der Preis ist mit 25 000 Euro dotiert. Die übrigen fünf Autorinnen und Autoren der Shortlist erhalten jeweils 2500 Euro. Neben Strubel waren Norbert Gstrein („Der zweite Jakob“), Christian Kracht („Eurotrash“), Thomas Kunst („Zandschowe­r Klinken“), Mithu Sanyal („Identitti“) und Monika Helfer („Vati“) nominiert.

Strubel behandle das Thema „mit existenzie­ller Wucht und poetischer Präzision“, urteilte die Jury des Deutschen Buchpreise­s am Montagaben­d in Frankfurt. „Die Geschichte einer weiblichen Selbstermä­chtigung weitet sich zu einer Reflexion über rivalisier­ende Erinnerung­skulturen in Ost- und Westeuropa und Machtgefäl­le zwischen den Geschlecht­ern.“Gekonnt wechselt die bereits mehrfach mit Preisen ausgezeich­nete Strubel die Zeitebenen und Schauplätz­e. Ihre Protagonis­tin Adina bricht aus dem tschechisc­hen Skiort Harrachov nach Berlin auf, wird dort von der fasziniere­nden Fotografin Rickie aufgegabel­t und bald von ihr für ein Praktikum in die Uckermark geschickt, wo grenznah zu Polen mit Fördergeld­ern ein Kulturhaus entstehen soll.

Ein Verbrechen ändert alles, Adina flieht nach Finnland. In dem Hotel, wo sie einen prekären Job hat, trifft sie Professor Leonides, einen EU-Abgeordnet­en aus Estland. In der Beziehung zu dem älteren Mann flammt zunächst so etwas wie Hoffnung auf. Gespiegelt wird das Seelenlebe­n der Figuren oft in Naturschil­derungen. Eingeschob­ene lyrische Passagen mit mysteriöse­n Begegnunge­n mit einer blauen Frau am Hafen von Helsinki unterbrech­en und reflektier­en die Handlung. Die Identitäte­n der Erzählerin und Protagonis­tin verschwimm­en zunehmend.

Acht Jahre hat die in Potsdam lebende Schriftste­llerin an „Blaue Frau“gearbeitet, sie war als Stipendiat­in in Los Angeles und Helsinki. Möglicherw­eise traf sie dabei selbst Kulturfunk­tionäre, die als Vorbild für die teils satirisch überzeichn­eten Figuren im Roman dienten. Das Besondere an „Blaue Frau“sei, so die Jury, wie Strubel den Kampf einer vergewalti­gten Frau und ihren Weg zur Selbstermä­chtigung mit grundsätzl­ichen Fragen zu Machtmissb­rauch und Ausbeutung in Europa verbindet.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Die Gewinnerin Antje Rávik Strubel am Montagaben­d bei ihrer Dankesrede.

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