Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Tierschutzverein befürchtet Ausrottung in der Adelegg
Gämsen durch hohe Abschussziele auf bayerischer Seite in Not – Die Situation auf württembergischer Seite
LEUTKIRCH/ISNY - Werden im bayerischen Teil der Adelegg, der Kürnach, bald so viele Gämsen geschossen, dass die gesamte Population vor der Ausrottung steht? Das befürchtet ein Tierschutzverein, der gegen den diesjährigen bayerischen Abschussplan von 15 Tieren Klage eingereicht hat.
Geht es der Gams in der Kürnach an den Kragen, würden das auch die Tiere in der Adelegg merken, die auf Leutkircher und Isnyer Gemarkung liegt. Schließlich halten sich die Gämsen in der zusammenhängenden Berglandschaft nicht an Ländergrenzen. Auf württembergischer Seite zeigt man sich auf Nachfrage allerdings entspannt: Die Gamspopulation in der Adelegg sei nicht in Gefahr.
Wie viele Gämsen sich auf Leutkircher und Isnyer Gebiet heimisch fühlen, lasse sich schwer sagen, erklärt Johannes Merta. In einem Waldgebiet wie der Adelegg könne man die Tiere, anders als im Hochgebirge, nicht einfach zählen. Der Forst-Revierleiter in Isny und Sprecher der Arbeitsgruppe Rotwild schätzt den Sommerbestand auf 30 bis 50 Tiere. Die Arbeitsgruppe im Kreis Ravensburg aus Waldbesitzern, Jägervertretern, Sachverständigen und Forstamtsmitarbeitern war ursprünglich nur mit dem Rotwildmanagement in der Adelegg betraut, seit etwa zehn Jahren ist ihr auch die Gamspopulation anvertraut.
Dafür, dass die Gämsen in der Adelegg durch eine zu starke Bejagung ausgerottet werden könnten, sieht Merta für den württembergischen Teil keine Anhaltspunkte. „Die Gämsen werden bei uns in der Regel sozusagen ’en passant’ erlegt, also quasi nebenher beim Ansitz auf Rehoder Rotwild. Dabei erwischt man immer nur die Unvorsichtigen. Es bleibt stets ein Grundbestand erhalten“, erklärt er. Eine Art wie die Gämse auszurotten, sei nahezu unmöglich, weil man die Vorsichtigsten und Schlauesten nie erwische.
Der Bestand im württembergischen Teil der Adelegg sei mit Blick auf die Abschusszahlen, die hier am solidesten einen Einblick geben, relativ stabil. „In den letzten zehn Jahren wurden durchschnittlich jährlich zwölf Stück erlegt. Dabei gibt es keinen Trend nach oben oder nach unten“, so Merta. Es habe nur zwei Jahre mit deutlich niedrigerem Abschuss gegeben: 2014 wurden acht Gämsen erlegt, 2018 waren es sieben. Die übrigen Jahre lagen alle zwischen zwölf und 15. „Man kann hieraus durchaus auf den Bestand schließen, weil es in dieser Periode keine besonderen Bemühungen gab, den Bestand anzuheben oder abzusenken“, erklärt Merta.
Ob die 15 Tiere, die nun in diesem Jahr auf der bayerischen Seite geschossen werden sollen, eine zu starke Bejagung sind, könne er nicht beurteilen. Für den Wildtier-Schutzverein „Wildes Bayern“steht das aber fest. Weswegen der Verein beim
Verwaltungsgericht Augsburg Klage eingereicht hat.
Lange seien die Gämsen auch auf bayerischer Seite nur maßvoll bejagt worden, doch das habe sich zuletzt geändert, schreibt der Verein. Zuerst seien die Abschusspläne massiv übererfüllt worden. Statt vier Gämsen, die hätten erlegt werden dürfen, seien elf und mehr Tiere geschossen worden – ohne Konsequenzen für die Reviere. Dann, so der Verein, seien auch die Abschusspläne immer weiter nach oben geschraubt worden, auf zehn, auf 18 und schließlich sogar auf 28 Gämsen.
Vor allem an den 28 Gämsen, die 2019 nach dem Plan der Unteren Jagdbehörde im Landratsamt Oberallgäu geschossen werden sollten, eskalierte der Konflikt auf bayerischer Seite. Der öffentliche Druck und der aus der Jägerschaft war immens, berichtete die „Allgäuer Zeitung“. Selbst Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger schaltete sich ein, um für das Gamswild Partei zu ergreifen. Vermutlich auch deswegen wurden in dem betreffenden Jahr dann doch nur drei Tiere geschossen. Mit Blick auf den Abschussplan 2021 schlägt der Verein nun erneut Alarm: Wenn dieser umgesetzt werde, sei das das Ende der Kürnacher Gams.
Die Vorsitzende des Vereins, Christine Miller, erklärte, dass man aufgrund eines aktuellen Monitoring-Projekts davon ausgehe, dass in der gesamten Adelegg, also inklusive bayerischer Kürnach, nur 18 Gämsen leben. Der Bestand sei also vermutlich noch kleiner, als ortskundige Jäger seit Jahren vermuten würden. Finanziert wurde dieses Projekt unter anderem vom Bayerischen Jagdverband
und der Deutschen Wildtierstiftung. Laut dem entsprechenden Bericht, der noch nicht veröffentlicht ist, hat man im Jahr 2020 genetisch gerade mal 23 Gämsen anhand der Losung, also dem Kot, identifiziert. Abzüglich der in diesem Jahr geschossenen und verunfallten Tiere kommt der Verein so auf 18 Tiere.
Nicht berücksichtigt bei dieser Rechnung sind die mindestens zwölf Tiere, die 2020 auf württembergischer Seite geschossen worden sind. Würde die Zählung anhand der Losung also tatsächlich zutreffen, und wäre sie vor dem ersten Gamsabschuss abgeschlossen worden, hätten Ende 2020 unter Umständen nur noch sechs Gämsen in der Adelegg und der Kürnach gelebt. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk erklärte
Agnes Hussek, Wildökologin bei der Unteren Jagdbehörde im Landratsamt Oberallgäu, dass die Zählung über die gefundene Losung noch kein Monitoring gewesen sei, sondern allenfalls eine Erhebung. Für ein Monitoring müssten mehrmals Untersuchungen erfolgen.
Auch wenn Johannes Merta mit Blick auf den württembergischen Teil von einem stabilen Bestand ausgeht, könne er die Sorge des Naturschutzvereins teilweise durchaus verstehen. Auf bayerischer Seite sei die Kommunikation des Staatsforsts zuletzt „nicht optimal“gewesen, so Merta. Zwar habe er offiziell nie etwas in diese Richtung gehört, aber es habe bei dem einen oder anderen durchaus der Eindruck entstehen können, dass die Ausrottung der
Gams in der Kürnach das Ziel sei, sagt Merta.
Grundsätzlich müsse man aber wissen, so Merta, dass Gämsen sich bei einem Fehlen natürlicher Feinde ständig munter weiter vermehren. Nur durch Hunger und Krankheiten sterben nicht so viele, wie nachwachsen. „Solange das so ist, ist eine Bejagung, ähnlich wie beim Rehwild, ebenso sinnvoll wie erforderlich. Es muss ja auch der Waldumbau gelingen, in den viel Geld investiert wird, auch viel Steuergeld“, erklärt der Isnyer Forst-Revierleiter.
In der für den württembergischen Bereich zuständigen Arbeitsgruppe seien sich alle Mitglieder einig, dass aufgrund der Dreifachbelastung für den Wald – durch Reh-, Rot- und Gamswild – auf den Gamsbestand geachtet werden müsse. „Diese Gratwanderung – einerseits den Gamsbestand zu erhalten und andererseits waldverträglich zu halten – hat bis jetzt einfach und gut funktioniert“, so Merta mit Blick die württembergische Adelegg.
Wie Adelegg-Ranger Tobias Boneberger erklärt, ist die württembergische Seite der Berglandschaft übrigens das attraktivere Gamsgebiet, da es die steileren Hänge biete. Im Bereich der Schletteralpe und rund um den Schwarzen Grat könne es mit Glück durchaus auch passieren, dass Wanderer eine Gams erblicken.
Christine Miller, die Vorsitzende des Wildtier-Schutzvereins „Wildes Bayern“, hofft nun, dass das Verwaltungsgericht Augsburg den bayerischen Abschussplan noch stoppt. Damit der bayerische Teil der Adelegg für die Gämsen nicht zu einem tödlichen „schwarzen Loch“wird.