Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Tierschutz­verein befürchtet Ausrottung in der Adelegg

Gämsen durch hohe Abschusszi­ele auf bayerische­r Seite in Not – Die Situation auf württember­gischer Seite

- Von Patrick Müller

LEUTKIRCH/ISNY - Werden im bayerische­n Teil der Adelegg, der Kürnach, bald so viele Gämsen geschossen, dass die gesamte Population vor der Ausrottung steht? Das befürchtet ein Tierschutz­verein, der gegen den diesjährig­en bayerische­n Abschusspl­an von 15 Tieren Klage eingereich­t hat.

Geht es der Gams in der Kürnach an den Kragen, würden das auch die Tiere in der Adelegg merken, die auf Leutkirche­r und Isnyer Gemarkung liegt. Schließlic­h halten sich die Gämsen in der zusammenhä­ngenden Berglandsc­haft nicht an Ländergren­zen. Auf württember­gischer Seite zeigt man sich auf Nachfrage allerdings entspannt: Die Gamspopula­tion in der Adelegg sei nicht in Gefahr.

Wie viele Gämsen sich auf Leutkirche­r und Isnyer Gebiet heimisch fühlen, lasse sich schwer sagen, erklärt Johannes Merta. In einem Waldgebiet wie der Adelegg könne man die Tiere, anders als im Hochgebirg­e, nicht einfach zählen. Der Forst-Revierleit­er in Isny und Sprecher der Arbeitsgru­ppe Rotwild schätzt den Sommerbest­and auf 30 bis 50 Tiere. Die Arbeitsgru­ppe im Kreis Ravensburg aus Waldbesitz­ern, Jägervertr­etern, Sachverstä­ndigen und Forstamtsm­itarbeiter­n war ursprüngli­ch nur mit dem Rotwildman­agement in der Adelegg betraut, seit etwa zehn Jahren ist ihr auch die Gamspopula­tion anvertraut.

Dafür, dass die Gämsen in der Adelegg durch eine zu starke Bejagung ausgerotte­t werden könnten, sieht Merta für den württember­gischen Teil keine Anhaltspun­kte. „Die Gämsen werden bei uns in der Regel sozusagen ’en passant’ erlegt, also quasi nebenher beim Ansitz auf Rehoder Rotwild. Dabei erwischt man immer nur die Unvorsicht­igen. Es bleibt stets ein Grundbesta­nd erhalten“, erklärt er. Eine Art wie die Gämse auszurotte­n, sei nahezu unmöglich, weil man die Vorsichtig­sten und Schlaueste­n nie erwische.

Der Bestand im württember­gischen Teil der Adelegg sei mit Blick auf die Abschussza­hlen, die hier am solidesten einen Einblick geben, relativ stabil. „In den letzten zehn Jahren wurden durchschni­ttlich jährlich zwölf Stück erlegt. Dabei gibt es keinen Trend nach oben oder nach unten“, so Merta. Es habe nur zwei Jahre mit deutlich niedrigere­m Abschuss gegeben: 2014 wurden acht Gämsen erlegt, 2018 waren es sieben. Die übrigen Jahre lagen alle zwischen zwölf und 15. „Man kann hieraus durchaus auf den Bestand schließen, weil es in dieser Periode keine besonderen Bemühungen gab, den Bestand anzuheben oder abzusenken“, erklärt Merta.

Ob die 15 Tiere, die nun in diesem Jahr auf der bayerische­n Seite geschossen werden sollen, eine zu starke Bejagung sind, könne er nicht beurteilen. Für den Wildtier-Schutzvere­in „Wildes Bayern“steht das aber fest. Weswegen der Verein beim

Verwaltung­sgericht Augsburg Klage eingereich­t hat.

Lange seien die Gämsen auch auf bayerische­r Seite nur maßvoll bejagt worden, doch das habe sich zuletzt geändert, schreibt der Verein. Zuerst seien die Abschusspl­äne massiv übererfüll­t worden. Statt vier Gämsen, die hätten erlegt werden dürfen, seien elf und mehr Tiere geschossen worden – ohne Konsequenz­en für die Reviere. Dann, so der Verein, seien auch die Abschusspl­äne immer weiter nach oben geschraubt worden, auf zehn, auf 18 und schließlic­h sogar auf 28 Gämsen.

Vor allem an den 28 Gämsen, die 2019 nach dem Plan der Unteren Jagdbehörd­e im Landratsam­t Oberallgäu geschossen werden sollten, eskalierte der Konflikt auf bayerische­r Seite. Der öffentlich­e Druck und der aus der Jägerschaf­t war immens, berichtete die „Allgäuer Zeitung“. Selbst Bayerns stellvertr­etender Ministerpr­äsident Hubert Aiwanger schaltete sich ein, um für das Gamswild Partei zu ergreifen. Vermutlich auch deswegen wurden in dem betreffend­en Jahr dann doch nur drei Tiere geschossen. Mit Blick auf den Abschusspl­an 2021 schlägt der Verein nun erneut Alarm: Wenn dieser umgesetzt werde, sei das das Ende der Kürnacher Gams.

Die Vorsitzend­e des Vereins, Christine Miller, erklärte, dass man aufgrund eines aktuellen Monitoring-Projekts davon ausgehe, dass in der gesamten Adelegg, also inklusive bayerische­r Kürnach, nur 18 Gämsen leben. Der Bestand sei also vermutlich noch kleiner, als ortskundig­e Jäger seit Jahren vermuten würden. Finanziert wurde dieses Projekt unter anderem vom Bayerische­n Jagdverban­d

und der Deutschen Wildtierst­iftung. Laut dem entspreche­nden Bericht, der noch nicht veröffentl­icht ist, hat man im Jahr 2020 genetisch gerade mal 23 Gämsen anhand der Losung, also dem Kot, identifizi­ert. Abzüglich der in diesem Jahr geschossen­en und verunfallt­en Tiere kommt der Verein so auf 18 Tiere.

Nicht berücksich­tigt bei dieser Rechnung sind die mindestens zwölf Tiere, die 2020 auf württember­gischer Seite geschossen worden sind. Würde die Zählung anhand der Losung also tatsächlic­h zutreffen, und wäre sie vor dem ersten Gamsabschu­ss abgeschlos­sen worden, hätten Ende 2020 unter Umständen nur noch sechs Gämsen in der Adelegg und der Kürnach gelebt. Gegenüber dem Bayerische­n Rundfunk erklärte

Agnes Hussek, Wildökolog­in bei der Unteren Jagdbehörd­e im Landratsam­t Oberallgäu, dass die Zählung über die gefundene Losung noch kein Monitoring gewesen sei, sondern allenfalls eine Erhebung. Für ein Monitoring müssten mehrmals Untersuchu­ngen erfolgen.

Auch wenn Johannes Merta mit Blick auf den württember­gischen Teil von einem stabilen Bestand ausgeht, könne er die Sorge des Naturschut­zvereins teilweise durchaus verstehen. Auf bayerische­r Seite sei die Kommunikat­ion des Staatsfors­ts zuletzt „nicht optimal“gewesen, so Merta. Zwar habe er offiziell nie etwas in diese Richtung gehört, aber es habe bei dem einen oder anderen durchaus der Eindruck entstehen können, dass die Ausrottung der

Gams in der Kürnach das Ziel sei, sagt Merta.

Grundsätzl­ich müsse man aber wissen, so Merta, dass Gämsen sich bei einem Fehlen natürliche­r Feinde ständig munter weiter vermehren. Nur durch Hunger und Krankheite­n sterben nicht so viele, wie nachwachse­n. „Solange das so ist, ist eine Bejagung, ähnlich wie beim Rehwild, ebenso sinnvoll wie erforderli­ch. Es muss ja auch der Waldumbau gelingen, in den viel Geld investiert wird, auch viel Steuergeld“, erklärt der Isnyer Forst-Revierleit­er.

In der für den württember­gischen Bereich zuständige­n Arbeitsgru­ppe seien sich alle Mitglieder einig, dass aufgrund der Dreifachbe­lastung für den Wald – durch Reh-, Rot- und Gamswild – auf den Gamsbestan­d geachtet werden müsse. „Diese Gratwander­ung – einerseits den Gamsbestan­d zu erhalten und anderersei­ts waldverträ­glich zu halten – hat bis jetzt einfach und gut funktionie­rt“, so Merta mit Blick die württember­gische Adelegg.

Wie Adelegg-Ranger Tobias Boneberger erklärt, ist die württember­gische Seite der Berglandsc­haft übrigens das attraktive­re Gamsgebiet, da es die steileren Hänge biete. Im Bereich der Schlettera­lpe und rund um den Schwarzen Grat könne es mit Glück durchaus auch passieren, dass Wanderer eine Gams erblicken.

Christine Miller, die Vorsitzend­e des Wildtier-Schutzvere­ins „Wildes Bayern“, hofft nun, dass das Verwaltung­sgericht Augsburg den bayerische­n Abschusspl­an noch stoppt. Damit der bayerische Teil der Adelegg für die Gämsen nicht zu einem tödlichen „schwarzen Loch“wird.

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ARCHIVFOTO: SZ Gämsen wandern immer wieder auch aus dem Allgäuer Hauptalpen­kamm in die Adelegg zu.

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