Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
So könnte Strom billiger werden
Ein Forschungsprojekt im Allgäu zeigt, dass Stromhandel vor Ort die Energiewende günstiger machen könnte
WILDPOLDSRIED - Zur Diskussion um explodierende Energiepreise passt das Projekt „Pebbles“wie der Stecker in die Steckdose: Lokale Energiemärkte könnten Regionen wie das Allgäu, Städte und einzelne Orte unabhängiger machen vom Handel an den Strombörsen. Sie können den Menschen höhere Erlöse für ihren auf dem eigenen Dach erzeugten Solarstrom bieten und zugleich Nachbarn, die den Strom kaufen, sogar einen besseren Preis – wenn der Gesetzgeber auf bestimmte Abgaben verzichtet. Das Forschungsprojekt im Oberallgäuer Wildpoldsried hat bewiesen: Selbst wenn der Verbraucher etwas weniger zahlt, kann der Erzeuger deutlich mehr bekommen.
Besser gesagt „könnte“. Die entwickelte Plattform für lokalen, computergestützten Stromhandel läuft seit nunmehr acht Monaten, aber noch ist es nur eine Simulation mit 65 echten und virtuellen Nutzern. Denn diese Form des Energiehandels ist in Deutschland bisher nicht erlaubt. Im Projekt Pebbles arbeiteten Allgäuer Überlandwerk (AÜW), Siemens, die Hochschule Kempten, das Fraunhofer Institut und Allgäunetz zusammen. Jetzt präsentierten sie die Ergebnisse ihrer Forschung. AÜW-Projektleiter Sebastian Gebhard sprach von einem „sehr verheißungsvollen Konzept“, um die Energiewende umzusetzen und die Kosten im Rahmen zu halten.
Das Projekt basiert unter anderem darauf, dass sich die Menschen netzfreundlich verhalten. Das heißt, sie legen ihren erhöhten Strombezug in Zeiten, in denen das Netz nicht ausgelastet ist – oder in Zeiten, wenn die Sonne volle Pulle auf die Solaranlagen scheint. Zugleich laden Hausbesitzer die Speicherbatterien ihrer Solaranlagen nicht schon vormittags, sondern erst später – wenn die Sonne im Überfluss scheint. Anreiz dafür könnten unter anderem dynamische, also mal höhere, mal niedrigere Netzentgelte sein.
Ein großer Vorteil lokalen Stromhandels ist demnach, dass viel Energie nicht erst von weither oder gar aus dem Ausland in die Region fließen müsste. Das bringt mehr Unabhängigkeit von den Strombörsen, entlastet die Leitungen und vermeidet Netzengpässe. Der Stromverlust, der aus physikalischen Gründen bei der Übertragung entsteht, könnte sinken. Und durch flexible, lokale Energiemärkte wie Pebbles ließen sich die Kosten für den Netzausbau jährlich um bis zu 2,4 Milliarden Euro verringern, heißt es.
Warum das AÜW bei so etwas mitmacht? „Wir müssen offen sein für neue Marktformen und Geschäftsmodelle“, sagt Geschäftsführer Michael Lucke. Der Wandel von einem zentralen zu einem dezentralen System sei technisch möglich. Auch lokale Energieversorger könnten solche Handelsplattformen betreiben. Ludwig Hartmann, GrünenFraktionschef im Landtag, gefällt das Projekt. Er betont, die Bundesregierung müsse in der neuen Energiewelt denken, Wind- und Sonnenenergie massiv ausbauen und den Rahmen anpassen. Dann ließe sich der Kuchen zwischen großen Firmen, kleinen Erzeugern und Gemeinschaften neu aufteilen – „in Deutschland und nicht in Russland oder Saudi-Arabien“.
Wie es nun weitergeht? Lucke hofft, dass sich die Politiker mit dem Thema intensiv befassen und würde das Projekt gerne in größerem Rahmen fortführen – mit 500 bis 1000 Teilnehmern.
Es gibt auch konkrete Forderungen an die Politik, den Energiemarkt neu zu regeln: Dazu gehören die Abschaffung der EEG-Umlage für Strom aus nicht geförderten Solaranlagen, eine Ausweitung der Stromsteuerbefreiung und auch dynamische Gegenleistungen für die Netznutzung.