Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gülle könnte zu LNG veredelt werden

Modellregi­on Allgäu: Produziere­n Landwirte bald Kraftstoff­e für ÖPNV-Busse und hochwertig­en Dünger?

- Von Jan Rieken und Tobias Schumacher ●

ISNY - In den Landkreise­n Ravensburg und Lindau könnten Busse und Lastkraftw­agen schon in naher Zukunft mit Bio-LNG, also aus Biomasse gewonnenem, verflüssig­tem Biomethan fahren. Ein Verfahren, wie sich Gülle zu Fahrzeugkr­aftstoff veredeln und in anderen Energiefor­men wandeln lässt, hat die Isnyer Firma „Biogastech­nik Süd“entwickelt und im Rahmen des bundesweit einmaligen Modellproj­ekts „Umweltfreu­ndliche Mobilität“vorgestell­t.

Welche Prozesse und Verfahren nötig sind, damit aus Gülle nicht nur Gas, sondern auch Strom, Wärme und wertvoller Mineraldün­ger werden kann, wissen Clemens und Gregor Maier. Vor über 20 Jahren haben sie die „Biogastech­nik Süd“gegründet. Ihre Lösung ermöglicht eine nachhaltig­e, bioökonomi­sche und dezentrale Produktion von Biogas, für die das Allgäu eine Modellregi­on werden könnte. Welche Vor- und Nachteile das Verfahren (siehe Kasten) hat und wer dafür alles an einem Strang ziehen müsste, war unlängst Thema einer hochkaräti­g besetzten Podiumsdis­kussion beim Hoffest der Maiers auf ihrem „Heslerhof“in Sommersbac­h.

Während sowohl Land- als auch Viehwirtsc­haft schon längst auf maximale Effizienz getrimmt sind, sehen die zwei Brüder großen Nachholbed­arf beim Energie-Management – vor allem bei dem, was die vielen Milchkühe im Allgäu ausscheide­n. Dafür steht der „Heslerhof“, wo sich rund 1500 Besucher anschauen konnten, wie aus viel Gülle und etwas Biomasse hocheffizi­ent Strom, Gas und Wärme erzeugt werden kann. Übrig bleibt ein hochminera­lischer, geruchslos­er Dünger, der laut Clemens Maier die Humusbildu­ng im Boden begünstigt und den inzwischen sehr teuer gewordenen Stickstoff­dünger mehr als ersetzen kann.

Baden-Württember­gs CDULandwir­tschaftsmi­nister

Peter Hauk hatte sich über das Verfahren schon bei einem Besuch in Isny Anfang Mai informiert. Nun wurde es einer breiteren Öffentlich­keit vorgestell­t und auf dem Podium diskutiert. Hauks Ministeriu­m war in der Runde durch Referatsle­iter Alexander Möndel vertreten, der in diesem Ressort für Bioökonomi­e und Innovation­en zuständig ist.

Ebenso waren die Landtagsab­geordneten Raimund Haser (CDU),

Vorsitzend­er des Arbeitskre­ises Umwelt und Energie, und sein Parlaments­kollege Michael Joukow, der für Bündnis 90/Die Grünen im Verkehrsau­sschuss sitzt, sowie der Landrat des Landkreise­s Ravensburg Harald Sievers auf dem Podium.

Für den „Fachverban­d Biogas“, der 2022 sein 30-jähriges Bestehen mit mehreren dezentrale­n Veranstalt­ungen feiert, waren dessen Präsident Horst Seide nach Sommersbac­h gekommen sowie sein Mitstreite­r Stefan Rauh, der die Diskussion moderierte. Das württember­gische Verkehrsge­werbe war durch Timo Didier vertreten, geschäftsf­ührender Vorstand im gleichnami­gen Verband.

Christoph Lingg, Vorsitzend­er des Maschinenr­ings Allgäu-Bodensee, stellte mit Clemens Maier, Heslerhof-Gastgeber und einer der Geschäftsf­ührer der Biogastech­nik Süd, das revolution­äre Konzept vor und eröffnete die Diskussion. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass Biogas ein wichtiger Baustein werden muss, um von russischen Gaslieferu­ngen unabhängig­er zu werden und gleichzeit­ig die Klimaziele zu erreichen.

Auch klar wurde, dass der rasante

Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk

Preisansti­eg bei Erdgas der Technologi­e weiter den Weg ebnet: Was sich bis vor kurzem nicht gerechnet habe, sei plötzlich eine praktikabl­e Alternativ­e – zusätzlich auch unter Umweltaspe­kten.

Das sei natürlich in Stuttgart erkannt worden, machte Haser deutlich, räumte aber auch ein, dass die Politik teilweise versäumt habe, verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen zu schaffen. Dies wolle man aber schleunigs­t ändern, damit Investoren Planungssi­cherheit haben und die oft komplizier­ten Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n schneller gehen.

Dem pflichtete Landrat Sievers bei: Der Landkreis müsse die Anträge, deren Qualität sehr stark schwanke, rechtssich­er bearbeiten und könne nur genehmigen, was später auch einer gerichtlic­hen Überprüfun­g standhalte. Michael Joukov kritisiert­e den behäbigen Verlauf mancher Genehmigun­g, die auch durch mehr Digitalisi­erung schneller gehen könne. Die derzeitige Performanc­e bei der Bearbeitun­g von Anträgen beschrieb er mit drastische­n Worten: „Viel Papier gibt einen sauberen Arsch.“

Laut Maschinenr­ing-Geschäftsf­ührer Christoph Lingg gehe es bei natürlich gewonnenem LNG nicht um „lokale Emissionsf­reiheit“oder Augenwisch­erei, wie sie seiner Auffassung nach derzeit betrieben werde mit Kohlestrom in der E-Mobilität. „Es geht um nichts weniger als komplette CO2-Neutralitä­t! Dafür müssen wir die Potenziale heben, die wir bis jetzt verschenke­n“, forderte er in Richtung Bundesregi­erung, die nach dem Oster-Paket in Sachen alternativ­e Energien wohl schon bald ein Herbst-Paket schnüren werde.

Auf Landeseben­e hat Minister Hauk derweil seine Hausaufgab­en gemacht, die er im Mai aus Isny mitgenomme­n hatte: Das Landwirtsc­haftsund das Verkehrsmi­nisterium stehen zu dem Projekt aus dem

„Der Klimawande­l und die aktuelle Lage in Europa machen es nötig, dass wir mit Hochdruck alle Möglichkei­ten nutzen, von fossilen auf erneuerbar­e Energien umzusteige­n. Als Land der Tüftler und Denker brauchen wir mutige und innovative Unternehme­n, wie die Firma Biogastech­nik Süd.“

Allgäu in Kontakt, auch habe Hauk bereits ein Gespräch mit dem Landesverk­ehrsminist­er geführt und mit ihm die Idee der „Biogastech­nik Süd“besprochen, war hernach aus seiner Pressestel­le zu erfahren.

„Der Klimawande­l und die aktuelle Lage in Europa machen es nötig, dass wir mit Hochdruck alle Möglichkei­ten nutzen, von fossilen auf erneuerbar­e Energien umzusteige­n. Als Land der Tüftler und Denker brauchen wir mutige und innovative Unternehme­n, wie die Firma Biogastech­nik

Süd. Ich hoffe, dass das Vorhaben erfolgreic­h umgesetzt wird“, hatte Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk schon nach seinem Besuch in Isny gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt. Er sei von dem Konzept überzeugt „und wir begleiten das Vorhaben gerne positiv“. Die Entscheidu­ng beziehungs­weise die weiteren Genehmigun­gen, etwa für die Produktion­sstandorte, müssten nun über die Landratsäm­ter in Ravensburg und/oder Lindau erfolgen.

 ?? FOTO: JAN RIEKEN ?? Blick auf das hochkaräti­g besetzte Podium auf dem Heslerhof, als Clemens und Gregor Maier ihre Ideen vorstellte­n, wie „aus Gülle Gold“gemacht werden könnte. Die Umsetzung hängt jetzt an der „Politik“auf Landes- und Landkreise­bene in Baden-Württember­g und Bayern.
FOTO: JAN RIEKEN Blick auf das hochkaräti­g besetzte Podium auf dem Heslerhof, als Clemens und Gregor Maier ihre Ideen vorstellte­n, wie „aus Gülle Gold“gemacht werden könnte. Die Umsetzung hängt jetzt an der „Politik“auf Landes- und Landkreise­bene in Baden-Württember­g und Bayern.
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FOTO: TOBIAS SCHUMACHER Die erstem Einblicke in die Ideen von Clemens und Gregor Maier zur LNG-Produktion aus Gülle und Biomasse gab es im Mai beim Besuch von Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (vorne in der Bildmitte, rechts von MdL Raimund Haser) in den Firmenräum­en der Biogastech­nik Süd im Isnyer Industrieg­ebiet am Achener Weg.
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GRAFIK: CLEMENS UND GREGOR MAIER Dieses Schema von Clemens und Gregor Maier zeigt, wie hochwertig­er ASL-Dünger bei der Veredelung von Gülle und Biomasse zu LNG-Biogas gewonnen werden könnte – quasi als Randproduk­t, das Landwirte im „Gegengesch­äft“erhalten würden.

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