Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gülle könnte zu LNG veredelt werden
Modellregion Allgäu: Produzieren Landwirte bald Kraftstoffe für ÖPNV-Busse und hochwertigen Dünger?
ISNY - In den Landkreisen Ravensburg und Lindau könnten Busse und Lastkraftwagen schon in naher Zukunft mit Bio-LNG, also aus Biomasse gewonnenem, verflüssigtem Biomethan fahren. Ein Verfahren, wie sich Gülle zu Fahrzeugkraftstoff veredeln und in anderen Energieformen wandeln lässt, hat die Isnyer Firma „Biogastechnik Süd“entwickelt und im Rahmen des bundesweit einmaligen Modellprojekts „Umweltfreundliche Mobilität“vorgestellt.
Welche Prozesse und Verfahren nötig sind, damit aus Gülle nicht nur Gas, sondern auch Strom, Wärme und wertvoller Mineraldünger werden kann, wissen Clemens und Gregor Maier. Vor über 20 Jahren haben sie die „Biogastechnik Süd“gegründet. Ihre Lösung ermöglicht eine nachhaltige, bioökonomische und dezentrale Produktion von Biogas, für die das Allgäu eine Modellregion werden könnte. Welche Vor- und Nachteile das Verfahren (siehe Kasten) hat und wer dafür alles an einem Strang ziehen müsste, war unlängst Thema einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion beim Hoffest der Maiers auf ihrem „Heslerhof“in Sommersbach.
Während sowohl Land- als auch Viehwirtschaft schon längst auf maximale Effizienz getrimmt sind, sehen die zwei Brüder großen Nachholbedarf beim Energie-Management – vor allem bei dem, was die vielen Milchkühe im Allgäu ausscheiden. Dafür steht der „Heslerhof“, wo sich rund 1500 Besucher anschauen konnten, wie aus viel Gülle und etwas Biomasse hocheffizient Strom, Gas und Wärme erzeugt werden kann. Übrig bleibt ein hochmineralischer, geruchsloser Dünger, der laut Clemens Maier die Humusbildung im Boden begünstigt und den inzwischen sehr teuer gewordenen Stickstoffdünger mehr als ersetzen kann.
Baden-Württembergs CDULandwirtschaftsminister
Peter Hauk hatte sich über das Verfahren schon bei einem Besuch in Isny Anfang Mai informiert. Nun wurde es einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt und auf dem Podium diskutiert. Hauks Ministerium war in der Runde durch Referatsleiter Alexander Möndel vertreten, der in diesem Ressort für Bioökonomie und Innovationen zuständig ist.
Ebenso waren die Landtagsabgeordneten Raimund Haser (CDU),
Vorsitzender des Arbeitskreises Umwelt und Energie, und sein Parlamentskollege Michael Joukow, der für Bündnis 90/Die Grünen im Verkehrsausschuss sitzt, sowie der Landrat des Landkreises Ravensburg Harald Sievers auf dem Podium.
Für den „Fachverband Biogas“, der 2022 sein 30-jähriges Bestehen mit mehreren dezentralen Veranstaltungen feiert, waren dessen Präsident Horst Seide nach Sommersbach gekommen sowie sein Mitstreiter Stefan Rauh, der die Diskussion moderierte. Das württembergische Verkehrsgewerbe war durch Timo Didier vertreten, geschäftsführender Vorstand im gleichnamigen Verband.
Christoph Lingg, Vorsitzender des Maschinenrings Allgäu-Bodensee, stellte mit Clemens Maier, Heslerhof-Gastgeber und einer der Geschäftsführer der Biogastechnik Süd, das revolutionäre Konzept vor und eröffnete die Diskussion. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass Biogas ein wichtiger Baustein werden muss, um von russischen Gaslieferungen unabhängiger zu werden und gleichzeitig die Klimaziele zu erreichen.
Auch klar wurde, dass der rasante
Landwirtschaftsminister Peter Hauk
Preisanstieg bei Erdgas der Technologie weiter den Weg ebnet: Was sich bis vor kurzem nicht gerechnet habe, sei plötzlich eine praktikable Alternative – zusätzlich auch unter Umweltaspekten.
Das sei natürlich in Stuttgart erkannt worden, machte Haser deutlich, räumte aber auch ein, dass die Politik teilweise versäumt habe, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies wolle man aber schleunigst ändern, damit Investoren Planungssicherheit haben und die oft komplizierten Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller gehen.
Dem pflichtete Landrat Sievers bei: Der Landkreis müsse die Anträge, deren Qualität sehr stark schwanke, rechtssicher bearbeiten und könne nur genehmigen, was später auch einer gerichtlichen Überprüfung standhalte. Michael Joukov kritisierte den behäbigen Verlauf mancher Genehmigung, die auch durch mehr Digitalisierung schneller gehen könne. Die derzeitige Performance bei der Bearbeitung von Anträgen beschrieb er mit drastischen Worten: „Viel Papier gibt einen sauberen Arsch.“
Laut Maschinenring-Geschäftsführer Christoph Lingg gehe es bei natürlich gewonnenem LNG nicht um „lokale Emissionsfreiheit“oder Augenwischerei, wie sie seiner Auffassung nach derzeit betrieben werde mit Kohlestrom in der E-Mobilität. „Es geht um nichts weniger als komplette CO2-Neutralität! Dafür müssen wir die Potenziale heben, die wir bis jetzt verschenken“, forderte er in Richtung Bundesregierung, die nach dem Oster-Paket in Sachen alternative Energien wohl schon bald ein Herbst-Paket schnüren werde.
Auf Landesebene hat Minister Hauk derweil seine Hausaufgaben gemacht, die er im Mai aus Isny mitgenommen hatte: Das Landwirtschaftsund das Verkehrsministerium stehen zu dem Projekt aus dem
„Der Klimawandel und die aktuelle Lage in Europa machen es nötig, dass wir mit Hochdruck alle Möglichkeiten nutzen, von fossilen auf erneuerbare Energien umzusteigen. Als Land der Tüftler und Denker brauchen wir mutige und innovative Unternehmen, wie die Firma Biogastechnik Süd.“
Allgäu in Kontakt, auch habe Hauk bereits ein Gespräch mit dem Landesverkehrsminister geführt und mit ihm die Idee der „Biogastechnik Süd“besprochen, war hernach aus seiner Pressestelle zu erfahren.
„Der Klimawandel und die aktuelle Lage in Europa machen es nötig, dass wir mit Hochdruck alle Möglichkeiten nutzen, von fossilen auf erneuerbare Energien umzusteigen. Als Land der Tüftler und Denker brauchen wir mutige und innovative Unternehmen, wie die Firma Biogastechnik
Süd. Ich hoffe, dass das Vorhaben erfolgreich umgesetzt wird“, hatte Landwirtschaftsminister Peter Hauk schon nach seinem Besuch in Isny gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“erklärt. Er sei von dem Konzept überzeugt „und wir begleiten das Vorhaben gerne positiv“. Die Entscheidung beziehungsweise die weiteren Genehmigungen, etwa für die Produktionsstandorte, müssten nun über die Landratsämter in Ravensburg und/oder Lindau erfolgen.