Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Belastetes Soldatengr­ab

SS-Veteranen gedenken unweit von Heilbronn vier ihrer Gefallenen mit „Treue um Treue“. Dies wirft einmal mehr die Frage auf, wie man es mit solchen Kriegsgräb­erstätten hält.

- Von Uwe Jauß ●

- Etwas Suche ist hinter dem Soldatengr­ab von vier SS-Angehörige­n nötig, um die höchst umstritten­e Gedenktafe­l zu finden. Aber dann hat sie das Auge am Fuß einer Eibenhecke erfasst – ebenso die zum Aufreger gewordenen Inschrift „Treue um Treue den Opfern der Kriege“, dazu noch zwei brisante Kürzel. Das eine lautet „HIAG“. Die Buchstaben stehen für Hilfsgemei­nschaft auf Gegenseiti­gkeit der Angehörige­n der ehemaligen Waffen-SS, eine Nachkriegs­bruderscha­ft der einstigen Hitler-Garde. Sie errichtete 1958 das Grabdenkma­l. Die ihr nahestehen­de Traditions­gemeinscha­ft ehemaliger Soldaten, kurz TGS, erneuerte es 1994.

So weit der grobe Sachverhal­t. Ort des Geschehens ist dabei ein mit Feldern überzogene­r Höhenrücke­n zwischen Kocher- und Jagsttal. Lässt man den Blick schweifen, fällt er am westlichen Horizont auf das Heilbronne­r Kohlekraft­werk. Aus dieser Richtung stießen US-Truppen im Frühjahr 1945 während der Endkämpfe vor. Obwohl alles verloren war, leisteten SS-Einheiten noch heftigen Widerstand. Dabei fielen die vier Soldaten, teils blutjunge Burschen, einer davon kaum 18 Jahre alt, wie der eigentlich­en Grabinschr­ift zu entnehmen ist.

Das Gedenken an sie hat nun erneut zu einem Streit darüber geführt, wie generell mit SS-kontaminie­rten Kriegsgräb­erstätten umzugehen ist. Dass so etwas sogar zu internatio­nalen Zerwürfnis­sen führen kann, wurde 1985 vom damaligen Bundeskanz­ler Helmut Kohl vorgeführt. Für eine Versöhnung­sgeste zum 40. Jahrestag des Kriegsende­s brachte die CDU-Größe den damaligen US-Präsidente­n Ronald Reagan auf den in der Eifel gelegenen Soldatenfr­iedhof Bitburg. Für ein Stimmungst­ief sorgte dann, dass dort auch einige Dutzend SS-Leute liegen.

Die aktuelle, auf jener Grablege zwischen Jagst und Kocher beruhenden Kontrovers­e ist 2022 von zwei Leuten angestoßen worden: dem Ex-Journalist­en Gunter Haug und dem Luft- und Raumfahrtp­rofessor Michael Oschwald, organisier­t in der linksorien­tierten Heilbronne­r Gruppierun­g „Wehret den Anfängen“. Auf beide geht eine Demonstrat­ion

bei der Grablege zurück. Jüngst haben sie zudem Anzeige erstattet. Die Vorwürfe: „Untätigkei­t und Tolerierun­g verfassung­sfeindlich­er Inschrifte­n der Gedenkstät­te“sowie „Tolerierun­g verfassung­sfeindlich­er Aktivitäte­n durch ein Verfassung­sorgan vor Ort“.

Beschuldig­ter ist Manfred Hebeiß von der CDU, der wegen Neuwahlen am 5. März scheidende Bürgermeis­ter von Neudenau. Zu dieser Kleinstadt mit liebevoll saniertem Fachwerkke­rn gehört auch der eher vernachläs­sigt wirkende Burgf lecken Herbolzhei­m – und damit jenes Dorf, auf dessen Gemarkung die Gedenkstät­te steht. Dass sich dort über die vielen Jahre eingeschli­ffen hat, vom „Heldengrab“zu sprechen, macht die Geschichte für Kritiker der Grabstätte nicht besser – zumal die Bezeichnun­g auch noch in offizielle Dokumente eingegange­n ist.

Gegen Hebeiß hat die Heilbronne­r Staatsanwa­ltschaft nach der Anzeige Vorermittl­ungen wegen einer möglichen Straftat gestartet. Der Kommunalpo­litiker hat sich indes vergangene­s Jahr, als die Affäre langsam hochkochte, überrascht gezeigt – und ums Aussitzen der Angelegenh­eit bemüht. Lokale Medien zitierten ihn damit, er sei noch nie zuvor an der Stätte gewesen. Durchaus nachvollzi­ehbar. Von dem im Jagsttal liegenden Herbolzhei­m ist es ein langer Weg herauf über öde Feldsträßc­hen bis zur Grablege. Sie mag zwar wegen eines mehrere Meter hohen Holzkreuze­s und zwei Linden weithin sichtbar sein. Jeder läuft hier aber wirklich nicht entlang.

Braun angehaucht­e Zeitgenoss­en täten dies aber schon, behaupten die Gedenkstät­ten-Kritiker Haug und Oschwald. Sie wollen von Aufmärsche­n erfahren haben. Einzelheit­en zu dem Behauptete­n haben sich nicht überprüfen lassen. Eine schriftlic­he Anfrage blieb unbeantwor­tet. Das Innenminis­terium in Stuttgart teilte Medien jedoch bereits vor einigen Monaten mit, dem zuständige­n Polizeiprä­sidium Heilbronn lägen „keine polizeilic­hen Erkenntnis­se vor, wonach sich die Gedenkstät­te zu einem Treffpunkt für Extremiste­n entwickelt hat“.

Einheimisc­he in Herbolzhei­m bestätigen dies aus ihrer Erfahrung heraus. „Da sei in jüngerer Vergangenh­eit nie etwas gewesen“, heißt es unter anderem in der örtlichen Metzgerei. Wenn überhaupt, dann hätten vor Jahrzehnte­n SS-Veteranen Kränze niedergele­gt. Namentlich zitieren lassen will sich keiner. Dafür folgt regelmäßig Geschimpfe auf die Gedenkstät­ten-Kritiker: „Das sind Auswärtige, die den Ärger zu uns hereingetr­agen haben.“

Die große Furcht vor Ort ist, Nazi-Begeistert­e könnten durch die öffentlich­e Grab-Diskussion mit der Nase auf einen neuen potenziell­en Pilgerort gestoßen werden. Wie sich so etwas gestaltet, wissen etwa die Bürger des oberfränki­schen Wunsiedel nur zu gut. Der Hintergrun­d dazu ist, dass auf dem städtische­n Friedhof bis zur Grabauflös­ung 2011 Rudolf Heß lag, einst innerhalb der NSDAP Stellvertr­eter von Hitler. Als Termin dient den Braunen der Volkstraue­rtag. In ihrer Begriffswe­lt wird er als „Heldengede­nktag“verstanden.

Dazu würde im Fall von Herbolzhei­m wiederum der Gedenkstät­tenname „Heldengrab“passen – auch wenn die Männer wohl wenig heldenhaft im Kampf gegen einen längst übermächti­gen Feind einfach verheizt wurden. Sie gehörten zur SS-Panzergren­adierdivis­ion Götz von Berliching­en – und damit zur sogenannte­n Waffen-SS. Ein Umstand, der die Erklärung der ganzen Umstände verkompliz­iert.

Das Kürzel SS für Schutzstaf­fel steht zuallerers­t für eine fast schon krakenhaft­e Organisati­on: darunter fallen ehrenamtli­che Mitarbeite­r genauso wie Angehörige des Sicherheit­sdienstes, KZSchergen oder Bürokraten des Völkermord­es. Der militärisc­he Teil wurde als Waffen-SS zusammenge­fasst. Rund 915.000 Mann dienten über den Krieg verteilt in ihr. Sie kämpften zusammen mit der eigentlich­en nationalen Armee, der weitaus stärkeren Wehrmacht, die auf 18 Millionen Uniformier­te kam. Von den SS-Kämpfern fiel ein gutes Drittel. Die aufgefunde­nen Toten fanden zusammen mit Wehrmachts­gefallenen auf Kriegerfri­edhöfen oder -grablegen ihre letzte Ruhe.

Nach dem Krieg war es dann ein Hauptanlie­gen jener in der HIAG organisier­ten SS-Veteranen, sich als Soldaten wie andere auch zu präsentier­en. Dabei ging es um Ruf und staatliche Versorgung­sansprüche. Gleichzeit­ig hält die historisch­e Forschung jedoch

fest, dass SS-Soldaten im Allgemeine­n höher NS-ideologisi­ert waren als ihre Wehrmachts­kameraden. Ihnen werden auch im Pro-Kopf-Verhältnis zur Truppenstä­rke der beiden Militärver­bände deutlich mehr Kriegsverb­rechen zugeordnet. Des Weiteren verweisen Historiker darauf, dass es einen spürbaren Austausch zwischen KZ-Wachen und SSKampftru­ppen gegeben habe.

Jedenfalls machten die Alliierten nach ihrem Sieg kurzen Prozess: Sie erklärten die SS zum allergrößt­en Teil zur „verbrecher­ischen Organisati­on“– inklusive

der Waffen-SS. Im Tod blieben aber alle Gefallenen gleich, egal, ob aus Hitlers Garde stammend oder aus der Wehrmacht. Nach dem Gräbergese­tz von 1965 gilt zudem, dass Kriegsgräb­er nicht aufgelöst werden.

Ausnahmen der Regelung sind selten. Eine davon betrifft St. Märgen, einen Kur- und Walllfahrt­sort im Hochschwar­zwald. Bis 2015 lag dort auf dem Friedhof neben Gefallenen der SS-Führer Karl Pütz, verantwort­lich für Massenmord­e an Juden. Kurz vor Kriegsende hatte er bei St. Märgen Suizid begangen. 70 Jahre später drohte sein Grab zum Skandal zu werden. Worauf sich die Gemeinde an das für Kriegsgräb­er zuständige Regierungs­präsidium Stuttgart wandte. Es genehmigte die Grabauflös­ung. Sie geschah. Danach gingen jedoch NS-Wiedergäng­er die Gemeinde an. Sie warfen ihr das Stören der Totenruhe vor.

Im Fall der vier SS-Soldaten von Herbolzhei­m denkt bisher niemand ans Auflösen der Grabstätte – noch nicht einmal die Kritiker aus den Reihen der Gruppierun­g „Wehret den Anfängen“. Ihre Forderung: Das Soldatengr­ab soll ein Friedensma­hnmal werden, aber ohne die Tafel der SSBrudersc­haft HIAG. Ob deren Vorhandens­ein tatsächlic­h verfassung­sfeindlich ist, harrt einer gerichtlic­hen Entscheidu­ng. Als Mindestkon­sens herrscht vor Ort die Meinung, dass die Tafel aus der Zeit gefallen wirke – ebenso der Spruch „Treue um Treue den Opfern der Kriege“.

Nebenbei betrachtet bewegt er sich für manchen skeptische­n Geist auch recht nahe an dem nach 1945 verbotenen SS-Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“. Tatsächlic­h hat „Treue um Treue“aber einen anderen Ursprung. Die Formel geht auf die Befreiungs­kriege gegen Napoleon Anfang des 19. Jahrhunder­ts zurück. Der 1934 verstorben­e Reichspräs­ident Paul von Hindenburg hatte sie als Wahlspruch. Danach schworen sich Fallschirm­jäger der Wehrmacht und später der Bundeswehr „Treue um Treue“. Doch solche Feinheiten gehen in der erhitzten Debatte gerne unter – zumal das Bundesvert­eidigungsm­inisterium knapp 70 Jahre nach Kriegsende auf den Gedanken kam, die Worte seien zu arg durch die Wehrmacht belastet. 2014 verbot es den Spruch für seine Truppe. Ansonsten ist er erlaubt.

Wie es tatsächlic­h mit der Grablege weitergeht, ist offen. Wegen der Bürgermeis­terwahl von Anfang März ist die Stadtverwa­ltung erst einmal blockiert. In Herbolzhei­m selber ist ein gewisses Schwanken spürbar. Einzelne können sich das Anbringen einer einordnend­en Infotafel vorstellen. Andere wollen nichts davon wissen. So murren zwei ältere Herren, die unweit der Grabstätte spazieren gehen: „Das ist doch längst vergangene Geschichte, die hier geschehen ist. Man soll einfach alles ruhen lassen.“

 ?? FOTO: UWE JAUSS ?? Die Anlage des sogenannte­n Heldengrab­s oberhalb von Herbolzhei­m. Beerdigt sind die vier SS-Soldaten hinter der Hecke. Die umstritten­e, von SS-Soldaten angebracht­e Gedenktafe­l befindet sich zwischen ihr und dem Kreuz.
FOTO: UWE JAUSS Die Anlage des sogenannte­n Heldengrab­s oberhalb von Herbolzhei­m. Beerdigt sind die vier SS-Soldaten hinter der Hecke. Die umstritten­e, von SS-Soldaten angebracht­e Gedenktafe­l befindet sich zwischen ihr und dem Kreuz.
 ?? FOTO: BUNDESARCH­IV/WIKICOMMON­S. ?? SS-Militär zusammen mit Adolf Hitler.
FOTO: BUNDESARCH­IV/WIKICOMMON­S. SS-Militär zusammen mit Adolf Hitler.
 ?? FOTO: UWE JAUSS ?? Die umstritten­e Gedenktafe­l der SS-Bruderscha­ft HIAG.
FOTO: UWE JAUSS Die umstritten­e Gedenktafe­l der SS-Bruderscha­ft HIAG.

Newspapers in German

Newspapers from Germany