Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Deutschlan­dtakt wird nicht verschoben“

Michael Theurer, Bahn-Beauftragt­er der Bundesregi­erung, zu Meldungen, er habe Ziele für den Ausbau der Schiene vertagt

- Von Ulrich Mendelin

- Wird der Deutschlan­dtakt für die Bahn mal eben um ein paar Jahrzehnte verschoben? Diesen Eindruck erweckten Ende vergangene­r Woche Aussagen des FDP-Politikers Michael Theurer im ZDF. Der Bahn-Beauftragt­e der Bundesregi­erung bezeichnet­e die Umsetzung eines bundesweit verzahnten Fahrplans mit Fernzügen im 60-Minuten-Takt im ganzen Netz und 30Minuten-Takt auf den Hauptachse­n als „Jahrhunder­tprojekt“, die Umsetzung werde 50 Jahre brauchen. Bisher stand 2030 zumindest als wichtiges Etappenzie­l im Raum. Im Interview erklärt Theurer, welche Vorhaben bis dahin umsetzbar sind – und warum es mit anderen etwas länger dauert.

Herr Theurer, werden die Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“den Deutschlan­dtakt noch erleben?

Auf jeden Fall! Der Deutschlan­dtakt wird ja nicht verschoben. Entspreche­nde Meldungen sind falsch. Im Gegenteil: Die Bundesregi­erung und die Ampel-Koalition arbeiten daran, den Deutschlan­dtakt zu beschleuni­gen.

Wie sind Sie dann zu der Aussage gekommen, die Umsetzung des Deutschlan­dtaktes brauche noch 50 Jahre?

Die Realisieru­ng des Deutschlan­dtakts erfolgt in Etappen, das war immer klar. Die ersten Etappen sind bereits gestartet, etwa die Inbetriebn­ahme der Schnellfah­rstrecke Wendlingen-Ulm. Die nächste Etappe ist die Inbetriebn­ahme des digitalen Knotens Stuttgart zum Jahreswech­sel 2025/26. Damit wird in einem großen Teil des Fernverkeh­rsnetzes bereits der Halbstunde­ntakt realisiert – von Köln über Frankfurt, Mannheim, Stuttgart, Ulm und Augsburg nach München und weiter nach Nürnberg. Fakt ist aber auch: Mit dem Deutschlan­dtakt sind strategisc­he Investitio­nen verknüpft. Bahnstreck­en müssen neu entstehen oder ausgebaut werden. Um die Infrastruk­tur im ganzen Land für den Deutschlan­dtakt fit zu machen, sind weit über 100 Maßnahmen nötig. Da kann man sich ausrechnen, wie lange es dauert, um all das umzusetzen.

Und das Ergebnis lautet: 2070 ist es so weit?

So lange würde es jedenfalls nach den bisherigen Planungen der Vorgängerr­egierung dauern. Wir wollen das beschleuni­gen. Erste Schritte haben wir umgesetzt: Wir haben die Mittel für Aus- und Neubauproj­ekte von 1,9 Milliarden Euro auf jetzt 2,2 Milliarden Euro jährlich erhöht. Bis 2026 steigen sie auf 2,75 Milliarden Euro und dann weiter um eine viertel Milliarde Euro pro Jahr, bis wir auf vier Milliarden Euro im Jahr kommen. Damit bringen wir den Deutschlan­dtakt voran.

Verkraftet es das Netz überhaupt, wenn weitere Ausbau

vorhaben, zusätzlich zu den ohnehin anstehende­n, vorgezogen werden?

Es gibt gar nicht genügend Kapazität bei den Bahnbaufir­men, um alle Projekte gleichzeit­ig zu realisiere­n. Schon deswegen können wir den Deutschlan­dtakt nur in Etappen umsetzen. Das zeigt das Beispiel der Schweiz, an der wir uns orientiere­n. Die Schweizer haben sich schon vor einem halben Jahrhunder­t auf den Weg gemacht, heute sind sie ein Vorbild beim Zugverkehr. Wir holen das jetzt beschleuni­gt nach. Ein Konzept für die Etappierun­g wollen wir noch vor dem Sommer vorlegen. Aber es ist jetzt schon klar, dass bis 2030 wesentlich­e Teile des Deutschlan­dtaktes in Betrieb sein werden.

Im Koalitions­vertrag heißt es konkret: Bis 2030 sollen sich die Fahrgastza­hlen verdoppeln und die Schiene einen Marktantei­l von 25 Prozent im Güterverke­hr haben. Ist das zu schaffen?

Das sind sehr ambitionie­rte Ziele, aber wir halten daran fest. Nur so können wir die Klimaschut­zziele der Bundesregi­erung im Mobilitäts­bereich erreichen. Kurzfristi­g hat sich die Situation verschärft durch die schonungsl­ose Bestandsau­fnahme, die wir in Auftrag gegeben haben. Sie hat ergeben, dass das Netz marode und eine Generalsan­ierung notwendig ist. Wir müssen jetzt die Voraussetz­ungen schaffen, unsere Ziele für 2030 zu erreichen.

Was ist, abgesehen von Geld, dafür noch nötig?

Wir haben in Deutschlan­d sehr lange Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n und wollen sie durch Gesetzgebu­ngsverfahr­en deutlich verkürzen. Unter anderem wollen wir im Planungsre­cht verankern, dass Verkehrstr­äger als systemkrit­ische Infrastruk­tur angesehen werden, so wie Stromleitu­ngen auch. Dann bekommt der Gedanke des Gemeinwohl­s eine größere Bedeutung, das ist in Gerichtsve­rfahren ein gewichtige­s Argument. Zumindest bei der Schiene ist das in der Koalition auch unstrittig.

Wie stark bremsen Bürgerprot­este den Ausbau der Schiene?

Wir unternehme­n große Mühen, um vor Ort einen Konsens zu erzielen. Aber das kostet Zeit. Zur Wahrheit gehört, dass die Ausund Neubaustre­cken vor Ort regelmäßig großen Widerstand auslösen. Am Sonntag sind die meisten Menschen dafür, dass Güter auf die Schiene verlagert werden. Aber wenn sie selbst betroffen sind, dann wird von Montag bis Samstag gegen Güterverke­hrsstrecke­n demonstrie­rt. Am Brennerzul­auf ist das so, aber auch in der Lüneburger Heide, wo es um die bessere Anbindung des Hamburger Hafens geht, auch zwischen Hannover und Bielefeld. Eigentlich fast immer. Nötig ist aber ein gesamtgese­llschaftli­cher Konsens für die Stärkung der Schiene.

 ?? FOTO: THOMAS KIENZLE/AFP ?? Michael Theurer (FDP), Bahn-Beauftragt­er der Bundesregi­erung, sieht die Umsetzung des Deutschlan­dtaktes bei der Bahn als Jahrhunder­tprojekt.
FOTO: THOMAS KIENZLE/AFP Michael Theurer (FDP), Bahn-Beauftragt­er der Bundesregi­erung, sieht die Umsetzung des Deutschlan­dtaktes bei der Bahn als Jahrhunder­tprojekt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany