Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wie Espresso Martini zum In-Drink wurde

Vor 40 Jahren wird er als „Vodka Espresso“erfunden – Nun ist er als Trendgeträ­nk in aller Munde

- Von Gregor Tholl ●

LONDON/BERLIN (dpa) - Dieser Cocktail macht zugleich blau und wach, sagen seine Fans: Konzentrie­rter Kaffee trifft auf Wodka. Es geht um Espresso Martini. Fachleute zählen ihn zu den After-Dinner-Drinks, was jedoch manche nicht daran hindert, ihn als Aperitif zu nehmen. Das Mixgetränk hat eine bewegte 40-jährige Geschichte und den Ruf, das neue Trendgeträ­nk zu sein – quasi als Gegenprogr­amm in einer Welt voller Aperol Spritz, Gin Tonic oder Hype um Tequila.

Die „New York Times“schrieb im Juni 2021: „Der Espresso Martini ist (wieder) überall.“Das Süße, Starke, Befriedige­nde sei nun mal Zeitgeist: „In seiner klassischs­ten Form besteht das Getränk aus frisch gebrühtem Espresso, Kaffeelikö­r (wie Kahlúa oder Mr. Black) und Wodka, geschüttel­t und wird in einem gekühlten Martinigla­s mit drei gerösteten Kaffeebohn­en als Garnitur serviert.“

In Deutschlan­d sagt der Chefredakt­eur des Fachorgans „Mixology – Magazin für Barkultur“, Nils Wrage, erste Anzeichen der Renaissanc­e habe es schon Ende der 2010er-Jahre in den USA gegeben. „Eine Form der Re-Popularisi­erung älterer Drinks haben wir ja schon öfter erlebt, am bekanntest­en sicherlich beim Cosmopolit­an, der um das Jahr 2000 durch ,Sex And The City’ auf die große Bühne gehoben wurde.“

Terry Cashman, Londoner Bartender, beschreibt in einem Fachportal des Spirituose­nkonzerns Diageo die Entstehung des Drinks wie folgt: „Dick Bradsell erfand ihn 1983 während seiner Zeit in der Soho-Brasserie und nannte ihn ursprüngli­ch ,Vodka Espresso’. Die Cocktail-Legende besagt, dass ein junges, künftiges Supermodel an die Bar kam und Dick bat, einen Cocktail mit Kaffee für sie zuzubereit­en. Er mixte ihr einen Drink aus Wodka, Zucker, Kaffeelikö­r und einem Schuss Espresso direkt aus der Kaffeemasc­hine neben seiner Station.“

Drinks entwickelt­en ein gewisses Eigenleben, wenn sie erst einmal populär geworden seien, meint Cashman. „Und die Tendenz in den späten 90er-Jahren, allem, was in einem Martinigla­s serviert wurde, ein ,Martini’ anzuhängen, führte dazu, dass er bald als Espresso Martini ins öffentlich­e Bewusstsei­n einging.“

Dennoch geriet der Drink jahrelang fast in Vergessenh­eit, wie „Mixology“-Chef Wrage sagt. „Seinen Boost hat der Espresso Martini unserer Beobachtun­g nach während der Hochphase von Pandemie und Lockdowns erfahren, als viele daheim begannen, Cocktails zu mixen. Das ist insofern plausibel, als dass er sich gut für zu Hause eignet: Viele Leute haben eine Espressoma­schine, und ansonsten braucht man ja nicht viel.“

Auch im deutschspr­achigen Raum – von Hamburg bis Zürich, von Stuttgart bis Berlin, von Köln bis Wien — habe die Bar-Szene den internatio­nalen Trend dankbar aufgenomme­n, sagt Wrage. Espresso Martini lasse sich unkomplizi­ert zubereiten und sogar in größeren Mengen vorbereite­n. Außerdem biete er Bartendern die Möglichkei­t zum Experiment­ieren, indem etwa die zugrund liegende Spirituose verändert werde. „Mit Rum oder Tequila kann er mehr Spaß machen, weil er dann eine komplexere Aromatik bietet.“

Espresso Martini passe gut in unsere Zeit und zum Lebensgefü­hl, meint Wrage. „Kaffee hat in den letzten Jahren eine neue Wahrnehmun­g als Genussprod­ukt erfahren. Das verleiht ihm in den Augen vieler Menschen eine bessere Eignung als Zutat in einem hochwertig­en Drink. Anderersei­ts symbolisie­rt der Drink mit seiner Kombinatio­n aus Alkohol und Koffein auch eine Verschmelz­ung von Rausch und Performanc­e-Druck, unter dem sich heutzutage viele Leute sehen.“

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Espresso, Kaffeelikö­r, Wodka und geröstete Kaffeebohn­en als Garnitur – daraus besteht der Espresso Martini.

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