Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der König, der nicht regieren wollte

Vor 200 Jahren wurde Karl von Württember­g geboren – Homosexual­ität löste Skandal aus

- Von Marcus Mockler ●

(epd) - Er liebte den Bodensee mehr als den Neckar und Männer mehr als Frauen: Karl von Württember­g (1823 –1891) übernahm die Königswürd­e in Stuttgart in stürmische­n Zeiten, wirkte dann aber gegen Ende seiner Regierungs­zeit recht unambition­iert. Vor 200 Jahren, am 6. März, wurde er in Stuttgart geboren.

Der Vater, Wilhelm I., hielt Karl für einen Versager. Vielleicht passte ihm nicht, dass sich der Sohn mehr für die schönen Künste interessie­rte als für die Juristerei, Mathematik oder Geschichte. Karl machte während seines Studiums in Tübingen und Berlin keine glänzende Erscheinun­g, der Historiker Gerhard Fritz beschreibt ihn als „kindlich bis kindisch“.

Den Thron bestieg er 1864 im Alter von 41 Jahren. Württember­g war durch den Machtkampf zwischen Österreich und Preußen an den Rand gedrängt. Das kleine Königreich unterschri­eb einen geheimen Bund mit Preußen, gleichwohl es sich öffentlich antipreußi­sch gebärdete. Durch die Allianz waren die Württember­ger gezwungen, sich am Deutsch-Französisc­hen Krieg zu beteiligen. Der kleine Staat gliederte sich schließlic­h 1871 ins Deutsche Reich ein.

Nach einer aktiven Phase von rund 15 Jahren verlor der König seine ohnehin nicht starke Leidenscha­ft fürs Regieren. Die Amtsgeschä­fte stressten ihn so, dass er möglichst oft Erholung in Friedrichs­hafen am Bodensee suchte. Die Verwaltung in Stuttgart verzweifel­te schier, für wichtige Dokumente keine Unterschri­ft des Herrschers zu bekommen.

Eine seiner besten Entscheidu­ngen für Stuttgart und Württember­g dürfte die Hochzeit mit der russischen Großfürsti­n Olga im Jahr 1846 gewesen sein. Die beiden führten zwar keine glückliche Ehe, woran Karls Homosexual­ität einen wichtigen Anteil hatte. Auch blieb das Paar kinderlos, was mit einer in jungen Jahren erworbenen Geschlecht­skrankheit Karls zusammenhä­ngen könnte – sie bescherte ihm für den Rest des Lebens Blasenprob­leme und Kränklichk­eit.

Doch festigte die Allianz mit Olga auch die Allianz mit Russland

und verbessert­e den Status Württember­gs auf dem internatio­nalen Parkett. Außerdem erwies sich Olga als außerorden­tlich wohltätige Regentin. Auf ihre Initiative gehen zahllose Sozialeinr­ichtungen zurück – nicht zuletzt das bis heute existieren­de Kinderkran­kenhaus in Stuttgart, das die Menschen liebevoll das „Olgäle“nennen.

Die Politik gestaltete Karl deutlich liberaler als sein Vater. Er stellte Presse- und Vereinsfre­iheit in Württember­g her und führte ein allgemeine­s Wahlrecht für die Abgeordnet­en der sogenannte­n Zweiten Kammer ein. Der Politik des Reiches gegen die katholisch­e Kirche im sogenannte­n Kulturkamp­f und gegen die Sozialiste­n

setzte der König im Südwesten enge Grenzen. „Nirgendwo im Reich ging man so moderat mit den Katholiken und den Sozialdemo­kraten um wie in Württember­g“, urteilt Historiker Fritz. Auch für die Trinkwasse­rversorgun­g auf der trockenen Schwäbisch­en Alb machte sich der König stark.

Die Demokratis­ierung der evangelisc­hen Kirche in Württember­g schritt unter ihrem Oberhaupt, König Karl, ebenfalls voran. 1867 genehmigte er die Einberufun­g einer Landessyno­de, die seitdem an der kirchliche­n Gesetzgebu­ng mitwirkt. Zwanzig Jahre später erhielten örtliche Kirchengem­einden die rechtliche Eigenständ­igkeit, sodass etwa ihr

Vermögen von dem der bürgerlich­en Gemeinde getrennt wurde.

Am Regieren hatte Karl je länger je weniger Freude. Zuletzt blieb er Stuttgart die Hälfte des Jahres fern und f lüchtete nach Nizza, Florenz und in andere Städte südlich der Alpen. Seine Liaison mit dem US-Amerikaner Charles Woodcock, einem ehemaligen Prediger, wurde zum Skandal – weniger wegen der für die Öffentlich­keit erkennbare­n homosexuel­len Beziehung – mehr, weil sich Woodcock offenbar übergriffi­g in königliche Entscheidu­ngen einmischte. Der Druck wurde so groß, dass Karl diese Liebschaft – die nicht die einzige seines Lebens war – aufgeben musste.

 ?? Er FOTO: H.TSCHANZ-HOFMANN/IMAGO ?? Das Sterbebett von König Karl von Württember­g (digitale Reprodukti­on einer Originalvo­rlage aus dem 19. Jahrhunder­t): bestieg den Thron 1864 im Alter von 41 Jahren.
Er FOTO: H.TSCHANZ-HOFMANN/IMAGO Das Sterbebett von König Karl von Württember­g (digitale Reprodukti­on einer Originalvo­rlage aus dem 19. Jahrhunder­t): bestieg den Thron 1864 im Alter von 41 Jahren.

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