Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Monatelange Wartezeit für deutlich mehr Wohngeld
Die Überlastung der Verwaltungen durch das neue Wohngeld bleibt zwar aus, doch es gibt eine neue Sorge
- Die Befürchtung im vergangenen Jahr war groß: Das Wohngeld steht seit Jahreswechsel deutlich mehr Menschen zu, was viel Arbeit für Kreisund Stadtverwaltungen bedeutet. Nach zwei Monaten mit dem „Wohngeld Plus“zeigt sich, dass die erwartete Verdreifachung der Antragszahlen ausbleibt. Jedoch geht eine ganz andere Sorge um: Mietsteigerungen durch das neue Wohngeld.
Doch erst einmal zum Hintergrund: Das Wohngeld ist ein staatlicher Zuschuss für Mieter und Eigentümer, die zwar keine Sozialleistungen beziehen, aber trotzdem zu wenig Geld für das Wohnen haben. Seit 2023 gibt es das „Wohngeld Plus“, das deutlich mehr Menschen Hilfe verspricht und dabei höhere Beträge ausschüttet. Vor allem wegen der neuen Heiz- und Klimakomponenten.
Beim Landratsamt Ravensburg macht sich das bemerkbar. Dort bearbeiten zwischen acht und neun Mitarbeiter die Wohngeldanträge aus allen kleineren Gemeinden und den Großen Kreisstädten Leutkirch und Bad Waldsee. Während das Team im Januar 2022 1.670 Anträge bearbeitete, waren es im vergangenen Januar schon 2.122.
Die Städte Ravensburg, Weingarten und Wangen bearbeiten die Anträge ihrer Bürger selbst. Auch hier spürt man einen Anstieg. In Weingarten hat sich die Anzahl der Anträge von Dezember 2022 auf Januar 2023 um 50 Prozent erhöht, sagt Stadtsprecherin Sabine Weisel. „Wir gehen in den kommenden Monaten von weiter steigenden Zahlen aus, da sich die Information der Novellierung auch erst einmal in der Bevölkerung herumsprechen muss.“Eine Bearbeitungszeit von drei bis vier Monaten sei derzeit nicht zu vermeiden, sagt Weisel. Die Bundesregierung hätte den Städten hier nur eine kurze Frist gelassen, sich auf die Veränderung einzustellen.
In Ravensburg dauere die Bearbeitung eines Antrags aktuell rund zwei Monate, sagt der Sozialamtsleiter der Stadt, Stefan Goller-Martin. Eine Dauer, „die uns nicht erschrickt“. Alles in allem sei der Anstieg nicht so extrem wie erwartet. „Der Bund sprach im letzten Jahr von einer Verdreifachung der Anträge. Ich weiß nicht, woher die diese Zahl hatten“, sagt Goller-Martin. Auch im Landratsamt gibt man sich gelassen angesichts der steigenden Anzahl von Anträgen. „Die Arbeitsfähigkeit der Wohngeldbehörden im Landkreis ist derzeit gesichert“, sagt Larissa Anhölcher, Sachgebietsleiterin im Sozial- und Inklusionsamt. Dafür hat das Landratsamt zum Jahreswechsel drei neue Stellen geschaffen.
Es sind aber nicht nur mehr Menschen wohngeldberechtigt, die Antragsteller bekommen auch deutlich mehr Geld. Das zeigen zwei Beispiele, die das Landratsamt in den vergangenen Wochen bearbeitet hat: Eine Familie mit drei Kindern lebt auf rund 70 Quadratmetern und zahlt dafür 770 Euro. Vor der Reform hätte diese Familie 178 Euro Unterstützung bekommen, rechnet Anhölcher vor – jetzt sind es 426 Euro. Und auch ein Rentner, der Hilfe beim Kreis beantragt hat, bekommt anstatt 33 Euro nun 190 Euro. Die Beträge können aber auch niedriger ausfallen, mahnt Anhölcher. „Die Berechnung des Wohngeldes hängt von vielen Faktoren ab.“Tatsächlich würden Hilfsbedürftige ihren Antrag häufig mit zu hohen Erwartungen abschicken und seien dann enttäuscht. Das liege vor allem am Wohngeld-Rechner des Bundesministeriums für Wohnen. Das ist ein Online-Angebot, bei dem man unter anderem seine Wohnungsgröße und Einkommen eingibt – der Rechner spuckt dann die erwartbare Wohngeldsumme aus. Die sei häufig aber zu hoch angesetzt, sagt Anhölcher.
Larissa Anhölcher hat jedoch noch eine ganz andere Sorge bezüglich des Wohngeldes: Da wegen des höheren Zuschüsse nun mehr Geld im Umlauf ist, könnten Vermieter das zum Anlass nehmen, die Mieten zu erhöhen. Im schlimmsten Fall könnten sie die Miete erhöhen und die Mieter auffordern, doch einfach Wohngeld zu beantragen. „Da kann man nicht alle Vermieter über einen Kamm scheren, aber die Gefahr ist da“, sagt Anhölcher.
Für den ein oder anderen Vermieter könnte das ein Anreiz sein, sagt Friedrich Utz, Vorstand des Ravensburger Vermietervereins Haus & Grund. „Aber die Anzahl wird in der Region verschwindend gering sein.“Das hat laut Utz zwei Gründe: Erstens wohnen Mittelbezieher in der Region hauptsächlich in städtischem Wohnraum und Wohnraum von Genossenschaften. Die würden die Miete nicht aufgrund des Wohngeldes erhöhen. Zweitens ist der Mietpreis laut Utz so stark reguliert, dass es für Vermieter kaum Möglichkeiten gibt, aktiv zu werden.
Auch Stefan Goller-Martin sieht keine Mietpreissteigerungen durch das Wohngeld auf die Region zukommen und hebt noch einmal das Wesentliche hervor: „Fakt ist: die Mieten werden erhoben, die Mieter müssen das zahlen und darauf reagiert man mit dem Wohngeld, damit die Betroffenen eine Unterstützung bei unumgänglichen Kosten erhalten.“
„Die Arbeitsfähigkeit der Wohngeldbehörden im Landkreis ist derzeit gesichert“, sagt Larissa Anhölcher, Sachgebietsleiterin im Sozial- und Inklusionsamt
„Der Bund sprach im letzten Jahr von einer Verdreifachung der Anträge. Ich weiß nicht, woher die diese Zahl hatten“, sagt Stefan Goller-Martin