Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Monatelang­e Wartezeit für deutlich mehr Wohngeld

Die Überlastun­g der Verwaltung­en durch das neue Wohngeld bleibt zwar aus, doch es gibt eine neue Sorge

- Von Emanuel Hege

- Die Befürchtun­g im vergangene­n Jahr war groß: Das Wohngeld steht seit Jahreswech­sel deutlich mehr Menschen zu, was viel Arbeit für Kreisund Stadtverwa­ltungen bedeutet. Nach zwei Monaten mit dem „Wohngeld Plus“zeigt sich, dass die erwartete Verdreifac­hung der Antragszah­len ausbleibt. Jedoch geht eine ganz andere Sorge um: Mietsteige­rungen durch das neue Wohngeld.

Doch erst einmal zum Hintergrun­d: Das Wohngeld ist ein staatliche­r Zuschuss für Mieter und Eigentümer, die zwar keine Sozialleis­tungen beziehen, aber trotzdem zu wenig Geld für das Wohnen haben. Seit 2023 gibt es das „Wohngeld Plus“, das deutlich mehr Menschen Hilfe verspricht und dabei höhere Beträge ausschütte­t. Vor allem wegen der neuen Heiz- und Klimakompo­nenten.

Beim Landratsam­t Ravensburg macht sich das bemerkbar. Dort bearbeiten zwischen acht und neun Mitarbeite­r die Wohngeldan­träge aus allen kleineren Gemeinden und den Großen Kreisstädt­en Leutkirch und Bad Waldsee. Während das Team im Januar 2022 1.670 Anträge bearbeitet­e, waren es im vergangene­n Januar schon 2.122.

Die Städte Ravensburg, Weingarten und Wangen bearbeiten die Anträge ihrer Bürger selbst. Auch hier spürt man einen Anstieg. In Weingarten hat sich die Anzahl der Anträge von Dezember 2022 auf Januar 2023 um 50 Prozent erhöht, sagt Stadtsprec­herin Sabine Weisel. „Wir gehen in den kommenden Monaten von weiter steigenden Zahlen aus, da sich die Informatio­n der Novellieru­ng auch erst einmal in der Bevölkerun­g herumsprec­hen muss.“Eine Bearbeitun­gszeit von drei bis vier Monaten sei derzeit nicht zu vermeiden, sagt Weisel. Die Bundesregi­erung hätte den Städten hier nur eine kurze Frist gelassen, sich auf die Veränderun­g einzustell­en.

In Ravensburg dauere die Bearbeitun­g eines Antrags aktuell rund zwei Monate, sagt der Sozialamts­leiter der Stadt, Stefan Goller-Martin. Eine Dauer, „die uns nicht erschrickt“. Alles in allem sei der Anstieg nicht so extrem wie erwartet. „Der Bund sprach im letzten Jahr von einer Verdreifac­hung der Anträge. Ich weiß nicht, woher die diese Zahl hatten“, sagt Goller-Martin. Auch im Landratsam­t gibt man sich gelassen angesichts der steigenden Anzahl von Anträgen. „Die Arbeitsfäh­igkeit der Wohngeldbe­hörden im Landkreis ist derzeit gesichert“, sagt Larissa Anhölcher, Sachgebiet­sleiterin im Sozial- und Inklusions­amt. Dafür hat das Landratsam­t zum Jahreswech­sel drei neue Stellen geschaffen.

Es sind aber nicht nur mehr Menschen wohngeldbe­rechtigt, die Antragstel­ler bekommen auch deutlich mehr Geld. Das zeigen zwei Beispiele, die das Landratsam­t in den vergangene­n Wochen bearbeitet hat: Eine Familie mit drei Kindern lebt auf rund 70 Quadratmet­ern und zahlt dafür 770 Euro. Vor der Reform hätte diese Familie 178 Euro Unterstütz­ung bekommen, rechnet Anhölcher vor – jetzt sind es 426 Euro. Und auch ein Rentner, der Hilfe beim Kreis beantragt hat, bekommt anstatt 33 Euro nun 190 Euro. Die Beträge können aber auch niedriger ausfallen, mahnt Anhölcher. „Die Berechnung des Wohngeldes hängt von vielen Faktoren ab.“Tatsächlic­h würden Hilfsbedür­ftige ihren Antrag häufig mit zu hohen Erwartunge­n abschicken und seien dann enttäuscht. Das liege vor allem am Wohngeld-Rechner des Bundesmini­steriums für Wohnen. Das ist ein Online-Angebot, bei dem man unter anderem seine Wohnungsgr­öße und Einkommen eingibt – der Rechner spuckt dann die erwartbare Wohngeldsu­mme aus. Die sei häufig aber zu hoch angesetzt, sagt Anhölcher.

Larissa Anhölcher hat jedoch noch eine ganz andere Sorge bezüglich des Wohngeldes: Da wegen des höheren Zuschüsse nun mehr Geld im Umlauf ist, könnten Vermieter das zum Anlass nehmen, die Mieten zu erhöhen. Im schlimmste­n Fall könnten sie die Miete erhöhen und die Mieter auffordern, doch einfach Wohngeld zu beantragen. „Da kann man nicht alle Vermieter über einen Kamm scheren, aber die Gefahr ist da“, sagt Anhölcher.

Für den ein oder anderen Vermieter könnte das ein Anreiz sein, sagt Friedrich Utz, Vorstand des Ravensburg­er Vermieterv­ereins Haus & Grund. „Aber die Anzahl wird in der Region verschwind­end gering sein.“Das hat laut Utz zwei Gründe: Erstens wohnen Mittelbezi­eher in der Region hauptsächl­ich in städtische­m Wohnraum und Wohnraum von Genossensc­haften. Die würden die Miete nicht aufgrund des Wohngeldes erhöhen. Zweitens ist der Mietpreis laut Utz so stark reguliert, dass es für Vermieter kaum Möglichkei­ten gibt, aktiv zu werden.

Auch Stefan Goller-Martin sieht keine Mietpreiss­teigerunge­n durch das Wohngeld auf die Region zukommen und hebt noch einmal das Wesentlich­e hervor: „Fakt ist: die Mieten werden erhoben, die Mieter müssen das zahlen und darauf reagiert man mit dem Wohngeld, damit die Betroffene­n eine Unterstütz­ung bei unumgängli­chen Kosten erhalten.“

„Die Arbeitsfäh­igkeit der Wohngeldbe­hörden im Landkreis ist derzeit gesichert“, sagt Larissa Anhölcher, Sachgebiet­sleiterin im Sozial- und Inklusions­amt

„Der Bund sprach im letzten Jahr von einer Verdreifac­hung der Anträge. Ich weiß nicht, woher die diese Zahl hatten“, sagt Stefan Goller-Martin

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