Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Pokal wäre mir viel wichtiger als Bekanntheit“
Lindauerin Janina Minge über das DFB-Pokal-Finale, ihren Traum von der WM und ihre Arbeit als Polizistin
- Als Janina Minge mit zehn Jahren auf einem kleinen Bolzplatz am Bodensee erstmals gegen einen Ball trat, dachte sie nicht daran, einmal vor mehr als 40.000 Zuschauern in Köln um den DFBPokal zu spielen. Doch nach ihren ersten Trainings bei der TSG Lindau-Zech ging es steil bergauf, über den VfB Friedrichshafen und den FC Wangen landete Minge 2015 schließlich beim SC Freiburg. Beim Bundesligisten ist sie mittlerweile unumstrittene Leistungsträgerin und soll den Breisgauerinnen im Endspiel gegen den Topfavoriten VfL Wolfsburg am Donnerstag (16.45 Uhr/ARD und Sky) helfen, den ersten Titel der Vereinsgeschichte zu gewinnen. Wie sie sich unter der Trainerin Theresa Merk (Ravensburg) weiterentwickelt hat, wie wichtig ein gutes Pokalfinale für sie persönlich wäre und wie sehr sie sich auf die Rekordkulisse freut, hat die 23-Jährige im Interview erzählt.
Frau Minge, haben Sie Ihrem Opa Theo schon eine Karte fürs Pokalfinale in Köln besorgt? So langsam wird es bei der großen Ticketnachfrage ja eng.
Ja, klar. Es ist mir wichtig, dass er dabei ist. Es ist einfach schön zu wissen, dass er auch in seinen alten Jahren mich noch so sehr unterstützt und eigentlich bei jedem Heimspiel in Freiburg dabei ist und jetzt sogar bis nach Köln reist. Das ist etwas ganz Besonderes und zeigt mir, dass er sehr stolz ist, mich Fußballspielen zu sehen. Das ist schön zu wissen.
Er wird einer von mehr als 40.000 Menschen im Stadion sein. Schon jetzt steht fest, dass das Finale einen neuen Zuschauerrekord im deutschen Frauenfußball aufstellen wird. Normalerweise spielen Sie vor 2000 bis 2500 Zuschauern. Wie groß ist die Vorfreude auf das Spiel und die Kulisse?
Die Vorfreude ist riesig. Allein schon an der Zuschauerzahl merkt man, welchen Stellenwert der Frauenfußball mittlerweile auch hier in Deutschland bekommen hat. Das wird ein absolutes Highlight-Spiel, auf das sich jeder – egal ob auf dem Platz, auf der Bank oder auf der Tribüne – extrem freut.
Ist die Kulisse ein Vorteil für die Wolfsburgerinnen, die so eine Atmosphäre aus der Champions League eher gewohnt sind?
Ich glaube nicht, dass das ein Faktor sein wird. Das volle volle Stadion wird beide Mannschaften beflügeln und dafür sorgen, dass alle nochmal ein, zwei Prozent mehr aus sich herausholen. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Sobald das Spiel beginnt und man den Ball das erste Mal berührt, vergisst man das Drumherum ein Stück weit. Dann zählt nur der Fußball.
Dennoch sind die Rollen klar verteilt: Wolfsburg hat den Pokal achtmal in Folge gewonnen und ist als Champions-Leaguejägerliste
Finalist der klare Favorit. Wie können Sie trotzdem gewinnen?
Uns ist natürlich bewusst, dass wir der Außenseiter sind. Dennoch brauchen wir uns nicht zu verstecken. Auch wir haben in dieser Saison schon sehr, sehr gute Leistungen gezeigt und wenn wir einen Toptag erwischen und die Wolfsburgerinnen vielleicht nicht ganz so gut drauf sind, ist es auf jeden Fall möglich, das Ding zu gewinnen. Es ist nur ein Spiel und in dem kann wirklich alles passieren.
Die Form spricht allerdings nicht für den Sport-Club. Nach einer guten Vorrunde konnten Sie in diesem Jahr erst ein Bundesligaspiel gewinnen. In den letzten sieben Spielen gab es keinen Sieg mehr. Was ist nach der Winterpause passiert?
Das ist schwer zu sagen. Uns gelingt es nicht mehr, viele Tore zu schießen, dafür fangen wir gerade zu viele Gegentore ein. Aber so ist das im Fußball, es gibt immer Phasen, in den es mal läuft und dann wieder nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir da auch wieder rauskommen werden. Wir brauchen nur ein gutes Spiel und etwas Glück, und dann ist alles möglich – auch im Finale.
Auch bei Ihnen läuft es nicht mehr wie zu Beginn. Vor der Winterpause haben Sie die Tor
mit acht Treffern in zehn Spielen angeführt. Jetzt will der Ball aber nicht mehr reingehen, Sie haben im Februar das letzte Mal getroffen. Können Sie sich das erklären?
In der Vorrunde lief einfach alles für mich, da war gefühlt jeder Schuss ein Treffer. Dass das nicht auf Dauer so weitergeht, war klar. Natürlich macht man sich einen Kopf – nicht nur darüber, wie ich persönlich wieder mehr Tore schieße, sondern auch wie es uns als Team wieder gelingen kann, zu gewinnen. Aber ich mache mir keinen Druck.
Dass Sie mit neun Toren weiterhin auf Platz fünf der Rangliste liegen, hängt auch mit Ihrer neuen Position zusammen. Trainerin Theresa Merk hat Sie deutlich offensiver aufgestellt, als sie das bislang gewohnt waren. Waren Sie überrascht?
Um ehrlich zu sein, ja. Die Entscheidung kam ein Stück weit aus dem Nichts. Die ersten beiden Saisonspiele hatte ich ja noch als Innenverteidigerin begonnen. Aber dann lief es im Mittelfeld von Anfang an sehr gut und mir macht es viel Spaß, weiter zu vorne zu spielen, weil ich da auch mehr Einfluss aufs Spiel nehmen kann.
Der Lohn war ihre Berufung ins Nationalteam und Ihr Länderspieldebüt im Februar. Wie haben Sie die 13 Minuten gegen Schweden erlebt?
Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Für mich ist in dem Moment ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Seitdem ich angefangen habe, Fußball zu spielen, war die Nationalmannschaft ganz klar mein Ziel. Früher habe ich mir die Spiele immer im Fernsehen angeschaut. Dass ich nun selbst für Deutschland spielen durfte, ist unglaublich schön.
Sie waren anschließend noch zweimal bei Länderspielen dabei, kamen aber nicht mehr zum Einsatz? Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf eine Nominierung für die Weltmeisterschaft im Sommer ein?
Mir ist bewusst, dass der Kader groß ist und es sehr viele gute Spielerinnen gibt – gerade auf meiner Position. Natürlich ist eine WMTeilnahme mein Traum, aber ich mache mir jetzt keinen Druck. Wenn es klappen sollte, würde mich das extrem freuen. Wenn nicht, wäre ich aber auch nicht am Boden zerstört.
Wie wichtig wäre ein starkes Pokalfinale als Bewerbungsschreiben Richtung Bundestrainerin?
Mir ist klar, dass jeder das Spiel anschauen wird und die Blicke auch auf mich gerichtet sein werden.
Aber man darf das nicht überbewerten. Wir spielen jedes Wochenende ein Spiel und die Bundestrainerin schaut auch die Bundesliga. Deshalb wird eine Nominierung sicher nicht vom Finale abhängen. Trotzdem will ich natürlich meine beste Leistung abrufen und mich positiv für die Weltmeisterschaft bewerben.
Um die WM gibt es gerade viel Streit, weil sich die FIFA und die deutschen TV-Sender bislang noch nicht auf einen Rechtevertrag einigen konnten. Befürchten Sie einen TV-Blackout?
Natürlich möchten wir, dass die Spiele gezeigt werden. Die Europameisterschaft hat gezeigt, dass es hier in Deutschland mittlerweile ein großes Interesse am Frauenfußball gibt und es wäre ein großer Rückschritt, wenn die WM nicht am Fernsehen verfolgt werden könnte. Aber ich denke, da wird es noch einige Gespräche geben und hoffe, dass es ein positives Ende geben wird.
FIFA-Präsident Gianni Infantino steht ja immer wieder in der Kritik. Ist es in diesem Fall aber vielleicht ganz gut, dass er auf höhere Gebote pocht, um die Prämien für die Frauen denen der Männer anzugleichen?
Das möchte ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass wir uns alle wünschen, dass der Frauenfußball in allen Belangen weiter gefördert wird und sich viele Leute dafür einsetzen.
Mehr Geld wäre jedenfalls ein weiterer Schritt Richtung Professionalisierung, die der Frauenfußball schon lange fordert. Sie selbst arbeiten parallel zum Sport noch als Polizistin. Wie anstrengend ist das?
In Baden-Württemberg ist das gut geregelt. Ich bin Teil der Sportfördergruppe, in der es mir wirklich ermöglicht wird, mich zu 100 Prozent auf den Fußball zu konzentrieren. Ich kann mir das frei einteilen, wie es mir passt und wie ich mich fühle. Es kann sein, dass ich mal einen ganzen Monat gar nicht bei der Arbeit bin. Und wenn es zeitlich passt, gehe ich gerne zu Arbeit. Die macht mir viel Spaß und ist ein schöner Ausgleich zum Fußball. Man hat Erlebnisse mit anderen Leuten und sieht Dinge, mit denen man im Fußball nicht in Kontakt kommt. Für dieses Regelung bin ich sehr dankbar.
Kommt es ab und zu vor, dass sie Autogramme schreiben müssen, wenn Sie auf Streife sind?
(Lacht) Bislang noch nicht. In Uniform sieht man schon noch mal ganz anders aus als im Fußballtrikot. Und ganz so bekannt sind der Frauenfußball und ich dann doch noch nicht.
Das ändert sich eventuell nach dem Finale, wenn Sie vor Tausenden Zuschauern den Pokal in die Höhe stemmen.
Das wäre schön. Der Pokal wäre mir aber viel wichtiger als die Bekanntheit.