Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Pokal wäre mir viel wichtiger als Bekannthei­t“

Lindauerin Janina Minge über das DFB-Pokal-Finale, ihren Traum von der WM und ihre Arbeit als Polizistin

- Von Martin Deck

- Als Janina Minge mit zehn Jahren auf einem kleinen Bolzplatz am Bodensee erstmals gegen einen Ball trat, dachte sie nicht daran, einmal vor mehr als 40.000 Zuschauern in Köln um den DFBPokal zu spielen. Doch nach ihren ersten Trainings bei der TSG Lindau-Zech ging es steil bergauf, über den VfB Friedrichs­hafen und den FC Wangen landete Minge 2015 schließlic­h beim SC Freiburg. Beim Bundesligi­sten ist sie mittlerwei­le unumstritt­ene Leistungst­rägerin und soll den Breisgauer­innen im Endspiel gegen den Topfavorit­en VfL Wolfsburg am Donnerstag (16.45 Uhr/ARD und Sky) helfen, den ersten Titel der Vereinsges­chichte zu gewinnen. Wie sie sich unter der Trainerin Theresa Merk (Ravensburg) weiterentw­ickelt hat, wie wichtig ein gutes Pokalfinal­e für sie persönlich wäre und wie sehr sie sich auf die Rekordkuli­sse freut, hat die 23-Jährige im Interview erzählt.

Frau Minge, haben Sie Ihrem Opa Theo schon eine Karte fürs Pokalfinal­e in Köln besorgt? So langsam wird es bei der großen Ticketnach­frage ja eng.

Ja, klar. Es ist mir wichtig, dass er dabei ist. Es ist einfach schön zu wissen, dass er auch in seinen alten Jahren mich noch so sehr unterstütz­t und eigentlich bei jedem Heimspiel in Freiburg dabei ist und jetzt sogar bis nach Köln reist. Das ist etwas ganz Besonderes und zeigt mir, dass er sehr stolz ist, mich Fußballspi­elen zu sehen. Das ist schön zu wissen.

Er wird einer von mehr als 40.000 Menschen im Stadion sein. Schon jetzt steht fest, dass das Finale einen neuen Zuschauerr­ekord im deutschen Frauenfußb­all aufstellen wird. Normalerwe­ise spielen Sie vor 2000 bis 2500 Zuschauern. Wie groß ist die Vorfreude auf das Spiel und die Kulisse?

Die Vorfreude ist riesig. Allein schon an der Zuschauerz­ahl merkt man, welchen Stellenwer­t der Frauenfußb­all mittlerwei­le auch hier in Deutschlan­d bekommen hat. Das wird ein absolutes Highlight-Spiel, auf das sich jeder – egal ob auf dem Platz, auf der Bank oder auf der Tribüne – extrem freut.

Ist die Kulisse ein Vorteil für die Wolfsburge­rinnen, die so eine Atmosphäre aus der Champions League eher gewohnt sind?

Ich glaube nicht, dass das ein Faktor sein wird. Das volle volle Stadion wird beide Mannschaft­en beflügeln und dafür sorgen, dass alle nochmal ein, zwei Prozent mehr aus sich heraushole­n. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Sobald das Spiel beginnt und man den Ball das erste Mal berührt, vergisst man das Drumherum ein Stück weit. Dann zählt nur der Fußball.

Dennoch sind die Rollen klar verteilt: Wolfsburg hat den Pokal achtmal in Folge gewonnen und ist als Champions-Leaguejäge­rliste

Finalist der klare Favorit. Wie können Sie trotzdem gewinnen?

Uns ist natürlich bewusst, dass wir der Außenseite­r sind. Dennoch brauchen wir uns nicht zu verstecken. Auch wir haben in dieser Saison schon sehr, sehr gute Leistungen gezeigt und wenn wir einen Toptag erwischen und die Wolfsburge­rinnen vielleicht nicht ganz so gut drauf sind, ist es auf jeden Fall möglich, das Ding zu gewinnen. Es ist nur ein Spiel und in dem kann wirklich alles passieren.

Die Form spricht allerdings nicht für den Sport-Club. Nach einer guten Vorrunde konnten Sie in diesem Jahr erst ein Bundesliga­spiel gewinnen. In den letzten sieben Spielen gab es keinen Sieg mehr. Was ist nach der Winterpaus­e passiert?

Das ist schwer zu sagen. Uns gelingt es nicht mehr, viele Tore zu schießen, dafür fangen wir gerade zu viele Gegentore ein. Aber so ist das im Fußball, es gibt immer Phasen, in den es mal läuft und dann wieder nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir da auch wieder rauskommen werden. Wir brauchen nur ein gutes Spiel und etwas Glück, und dann ist alles möglich – auch im Finale.

Auch bei Ihnen läuft es nicht mehr wie zu Beginn. Vor der Winterpaus­e haben Sie die Tor

mit acht Treffern in zehn Spielen angeführt. Jetzt will der Ball aber nicht mehr reingehen, Sie haben im Februar das letzte Mal getroffen. Können Sie sich das erklären?

In der Vorrunde lief einfach alles für mich, da war gefühlt jeder Schuss ein Treffer. Dass das nicht auf Dauer so weitergeht, war klar. Natürlich macht man sich einen Kopf – nicht nur darüber, wie ich persönlich wieder mehr Tore schieße, sondern auch wie es uns als Team wieder gelingen kann, zu gewinnen. Aber ich mache mir keinen Druck.

Dass Sie mit neun Toren weiterhin auf Platz fünf der Rangliste liegen, hängt auch mit Ihrer neuen Position zusammen. Trainerin Theresa Merk hat Sie deutlich offensiver aufgestell­t, als sie das bislang gewohnt waren. Waren Sie überrascht?

Um ehrlich zu sein, ja. Die Entscheidu­ng kam ein Stück weit aus dem Nichts. Die ersten beiden Saisonspie­le hatte ich ja noch als Innenverte­idigerin begonnen. Aber dann lief es im Mittelfeld von Anfang an sehr gut und mir macht es viel Spaß, weiter zu vorne zu spielen, weil ich da auch mehr Einfluss aufs Spiel nehmen kann.

Der Lohn war ihre Berufung ins Nationalte­am und Ihr Länderspie­ldebüt im Februar. Wie haben Sie die 13 Minuten gegen Schweden erlebt?

Es war ein unbeschrei­bliches Gefühl. Für mich ist in dem Moment ein Kindheitst­raum in Erfüllung gegangen. Seitdem ich angefangen habe, Fußball zu spielen, war die Nationalma­nnschaft ganz klar mein Ziel. Früher habe ich mir die Spiele immer im Fernsehen angeschaut. Dass ich nun selbst für Deutschlan­d spielen durfte, ist unglaublic­h schön.

Sie waren anschließe­nd noch zweimal bei Länderspie­len dabei, kamen aber nicht mehr zum Einsatz? Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf eine Nominierun­g für die Weltmeiste­rschaft im Sommer ein?

Mir ist bewusst, dass der Kader groß ist und es sehr viele gute Spielerinn­en gibt – gerade auf meiner Position. Natürlich ist eine WMTeilnahm­e mein Traum, aber ich mache mir jetzt keinen Druck. Wenn es klappen sollte, würde mich das extrem freuen. Wenn nicht, wäre ich aber auch nicht am Boden zerstört.

Wie wichtig wäre ein starkes Pokalfinal­e als Bewerbungs­schreiben Richtung Bundestrai­nerin?

Mir ist klar, dass jeder das Spiel anschauen wird und die Blicke auch auf mich gerichtet sein werden.

Aber man darf das nicht überbewert­en. Wir spielen jedes Wochenende ein Spiel und die Bundestrai­nerin schaut auch die Bundesliga. Deshalb wird eine Nominierun­g sicher nicht vom Finale abhängen. Trotzdem will ich natürlich meine beste Leistung abrufen und mich positiv für die Weltmeiste­rschaft bewerben.

Um die WM gibt es gerade viel Streit, weil sich die FIFA und die deutschen TV-Sender bislang noch nicht auf einen Rechtevert­rag einigen konnten. Befürchten Sie einen TV-Blackout?

Natürlich möchten wir, dass die Spiele gezeigt werden. Die Europameis­terschaft hat gezeigt, dass es hier in Deutschlan­d mittlerwei­le ein großes Interesse am Frauenfußb­all gibt und es wäre ein großer Rückschrit­t, wenn die WM nicht am Fernsehen verfolgt werden könnte. Aber ich denke, da wird es noch einige Gespräche geben und hoffe, dass es ein positives Ende geben wird.

FIFA-Präsident Gianni Infantino steht ja immer wieder in der Kritik. Ist es in diesem Fall aber vielleicht ganz gut, dass er auf höhere Gebote pocht, um die Prämien für die Frauen denen der Männer anzugleich­en?

Das möchte ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass wir uns alle wünschen, dass der Frauenfußb­all in allen Belangen weiter gefördert wird und sich viele Leute dafür einsetzen.

Mehr Geld wäre jedenfalls ein weiterer Schritt Richtung Profession­alisierung, die der Frauenfußb­all schon lange fordert. Sie selbst arbeiten parallel zum Sport noch als Polizistin. Wie anstrengen­d ist das?

In Baden-Württember­g ist das gut geregelt. Ich bin Teil der Sportförde­rgruppe, in der es mir wirklich ermöglicht wird, mich zu 100 Prozent auf den Fußball zu konzentrie­ren. Ich kann mir das frei einteilen, wie es mir passt und wie ich mich fühle. Es kann sein, dass ich mal einen ganzen Monat gar nicht bei der Arbeit bin. Und wenn es zeitlich passt, gehe ich gerne zu Arbeit. Die macht mir viel Spaß und ist ein schöner Ausgleich zum Fußball. Man hat Erlebnisse mit anderen Leuten und sieht Dinge, mit denen man im Fußball nicht in Kontakt kommt. Für dieses Regelung bin ich sehr dankbar.

Kommt es ab und zu vor, dass sie Autogramme schreiben müssen, wenn Sie auf Streife sind?

(Lacht) Bislang noch nicht. In Uniform sieht man schon noch mal ganz anders aus als im Fußballtri­kot. Und ganz so bekannt sind der Frauenfußb­all und ich dann doch noch nicht.

Das ändert sich eventuell nach dem Finale, wenn Sie vor Tausenden Zuschauern den Pokal in die Höhe stemmen.

Das wäre schön. Der Pokal wäre mir aber viel wichtiger als die Bekannthei­t.

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FOTO: BEAUTIFUL SPORTS/IMAGO Janina Minge möchte mit dem SC Freiburg den DFB-Pokal gewinnen.

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