Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wege aus der Einsamkeit

Viele Menschen vermissen soziale Kontakte – Eine bayernweit­e Kampagne will dafür sensibilis­ieren

- Von Tobias Schuhwerk

- Einsamkeit kann jeden treffen. Den Studenten, der nach einem Umzug keinen Anschluss findet, genauso wie die erfolgreic­he Managerin, die in der Rente plötzlich feststellt, dass sie abseits vom Beruf keine Bindungen aufgebaut hat. Manchmal wird Einsamkeit teils auch bewusst gesucht und als positiv wahrgenomm­en. Beispielsw­eise von einem Eremit oder einem Bergsteige­r, der als erster einsam auf dem Gipfel sein möchte. Laut Expertinne­n und Experten gibt es jedoch immer mehr Menschen, für die chronische Einsamkeit ein ernst zu nehmendes Problem darstellt. Dazu haben auch die Einschränk­ungen während der Corona-Pandemie beigetrage­n, die persönlich­e Begegnunge­n auf ein Minimum reduzierte­n.

„Soziale Kontakte leben von Routine. Wenn diese abhandenko­mmt, fällt es vielen Menschen schwer, sie wieder zu aktivieren“, sagt Frank Sindl, psychologi­scher Psychother­apeut am Bezirkskra­nkenhaus Kempten. „Aus empirische­n Befunden wissen wir, dass anhaltende Einsamkeit einen bedeutsame­n Risikofakt­or für eine Vielzahl von psychische­n oder somatische­n Erkrankung­en darstellt, indem sie die Anfälligke­it erhöht“, sagt Sindl. Ähnlich sieht es Altenseels­orger und Buchautor Gerhard Sprakties („Happy Aging statt Anti-Aging“). „Einsamkeit ist ein Tabu-Thema. Der Einsame posaunt ja nicht heraus, dass er einsam ist.“Auch viele junge Leute seien betroffen. „Manche stellen erstaunt fest, dass sie zwar viele Bekannte auf Social-Media haben. Aber niemanden, der wirklich für sie da ist, wenn sie in Not sind.“Wichtig sei es, die Eigeniniti­ative zu stärken: „Leben findet draußen statt.“

Zur Vorbeugung startete das bayerische Gesundheit­sministeri­um

nun die Aktion „Licht an. Damit Einsamkeit nicht krank macht“. Zum Auftakt stand Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) in einem Supermarkt in Buxheim (Kreis Unterallgä­u) an einer sogenannte­n „Ratschkass­e“. Dort können sich Bürgerinne­n und Bürger beim Bezahlen mit geschulten Angestellt­en in aller Ruhe unterhalte­n. „Es gibt viele Menschen, die sich einsam fühlen und denen jemand zum Reden fehlt. Die Supermarkt­kasse kann für sie eine gute Gelegenhei­t sein, ins Gespräch zu kommen“, erläutert Holetschek. Ähnliche Angebote, wie beispielsw­eise ein „Schwätzbän­kle“in Erkheim, gibt es in immer mehr Städten und Gemeinden. „Natürlich wird dadurch allein für Betroffene nicht alles gut. Es geht darum, ein positives Zeichen zu setzen und ein Bewusstsei­n für die Frage zu schaffen, wie wir als Gesellscha­ft miteinande­r in Beziehung treten und ansprechba­r bleiben wollen“, sagt Sindl. Auch ein Small-Talk unter Nachbarn könne ein erster Schritt sein, um den Teufelskre­is Einsamkeit zu durchbrech­en. Hat sie bereits zu einer psychische­n Erkrankung geführt, sollte hingegen unbedingt profession­elle Hilfe hinzugezog­en werden.

„Fachleuten zufolge können gerade einsame Menschen verstärkt an Angstzustä­nden, Depression­en oder Schlafprob­lemen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, Bluthochdr­uck oder Schlaganfa­ll erkranken“, begründet Holetschek die Initiative. Auch das Risiko, ein Suchtverha­lten zu entwickeln und insbesonde­re Drogen, Tabak oder Alkohol zu konsumiere­n, steige.

Menschen, die nach der Corona-Pandemie unter Einsamkeit leiden, rät Sindl dazu, sich selbst zu hinterfrag­en: „Was hat mich vor der Pandemie positiv stimuliert? Welche Kontakte waren mir wichtig? Welche habe ich verloren?“ Oftmals lohne es sich, sie wiederaufz­unehmen. Oder sich getreu den eigenen Werten neue Bindungen zu erschließe­n. „Dem einen kann Sport in einer Gruppe helfen, dem anderen die Teilnahme an einem Bildungsan­gebot oder ehrenamtli­che Aktivität.“

Für Buchautor Sprakties kann auch der Glaube eine Rolle dabei spielen, gestärkt aus der Krise zu kommen. „Es lohnt sich mit offenen Augen durchs Leben zu gehen.“Als Beispiel nennt er eine alte Dame, die nach dem Tod ihres Partners lange Zeit unter der Einsamkeit litt. Bis sie eines Tages einem Mann begegnete, der ein ähnliches Schicksal durchlebte. „Die beiden haben sich auf dem Friedhof kennengele­rnt – und wurden miteinande­r glücklich.“

Hilfe für Menschen in seelischen Krisen und deren Angehörige­n gibt der Krisendien­st Bayern übrigens kostenlos und rund um die Uhr unter der Rufnummer: 0800 / 655 3000.

Newspapers in German

Newspapers from Germany