Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wände hoch!

Der Boom in den Allgäuer Kletter- und Boulderhal­len hält an – Auch Familien zieht dieser Sport in den Bann

-

- In den Kletter- und Boulderhal­len im Allgäu, wie hier im DAV-Kletterzen­trum in Kempten, herrscht Andrang. Bundesweit registrier­t der Deutsche Alpenverei­n 600.000 Kletterinn­en und Kletterer. Vor 30 Jahren waren es 70.000. Sie wollten sich im Winter fit halten für alpine Klettertou­ren im Sommer.

Deshalb kamen sie auf eine kühne Idee: „Eine Kletterhal­le – das wär doch was.“Gesagt, getan. Vor genau 30 Jahren eröffnete eine Clique von Allgäuer Alpinisten die bundesweit erste Anlage dieser Art in einer ehemaligen Papierfabr­ik in Seltmans (Kreis Oberallgäu). „Das kam von Anfang an gut an. Aber was sich heutzutage abspielt, hätten wir uns nie träumen lassen“, sagt Gründungsm­itglied Martin Dorner. Der 60-jährige Vorsitzend­e des 1. Sportklett­erclubs Allgäu reibt sich angesichts des anhaltende­n Booms in den Kletter- und Boulderhal­len die Augen.

Die Aktivenzah­len schießen weiter in die Höhe. Kinderkurs­e sind teils über Monate ausgebucht. Allein 400 Buben und Mädchen stehen derzeit auf der Warteliste im Kletterzen­trum der Sektion Allgäu-Kempten des Deutschen Alpenverei­ns (DAV). Dabei wurde die über 2000 Quadratmet­er große Anlage für Klettern und Bouldern vor sechs Jahren auch mit dem Ziel eröffnet, die große Nachfrage beim Nachwuchs abzudecken. „Wir haben derzeit einfach keine Kapazitäte­n mehr“, sagt Geschäftsf­ührer Michael Turobin-Ort mit Blick auf 18 Kinderklet­tergruppen und fünf Leistungsg­ruppen. Auch das allgemeine Publikum soll schließlic­h auf seine Kosten kommen.

2022 verzeichne­te das Kemptener Kletterzen­trum ein Rekordjahr:

Über 110.000 Besuche machen sie zur schwabenwe­it meist frequentie­rten Kletter-Einrichtun­g. An Wochenende­n mit schlechtem Wetter geht es besonders hoch her. Am Spitzentag im Januar wurden über 900 Personen gezählt. Darunter waren zahlreiche Familien. „Bei uns kommt von drei bis 85 Jahren jeder auf seine Kosten“, sagt Turobin-Ort. Das Erlebnis beim Hallen-Klettern sei ähnlich wie beim Skifahren: „Jeder kann seine Route getreu seinem Können wählen und gemeinsam haben alle Spaß.“Dazu trage auch das gastronomi­sche Angebot bei. Ähnlich sieht es Christoph Gotschke,

Inhaber der „Kraftwerk-Boulderhal­le“in Biessenhof­en (Kreis Ostallgäu): „Der soziale Aspekt ist wichtig. Klettern ist kommunikat­iv und zum Beispiel auch als Firmenspor­t beliebt.“

Galten Kletterer früher oftmals als Individual­isten und Abenteurer am Fels, spricht Klettern an künstliche­n Wänden mittlerwei­le ein breites Publikum an. „Indoor-Klettern ist ein Ganzjahres­sport. Es gibt viele, die die Sicherheit und die kurzen Anfahrtswe­ge zu den wohnortnah­en Anlagen schätzen und wenig oder teils auch gar nicht zum Klettern in die Berge fahren“, sagt Turobin-Ort.

Zur Popularitä­t speziell bei jungen Leuten trägt auch bei, dass Sportklett­ern bei den Olympische­n Spielen 2020 in Tokio seine Premiere erlebte und bei den Spielen 2024 in Paris auf jeweils zwei Wettbewerb­e für Frauen und Männer ausgebaut wird. Spektakulä­re Videos der Athletinne­n und Athleten begeistern im Netz Millionen Fans.

Zudem gilt Klettern oder Bouldern als idealer Grundlagen­sport für Kinder: „Sie trainieren viele Muskeln, Koordinati­on und Körpergefü­hl. Außerdem ist Klettern immer auch mit Problemlös­ung verbunden. Das schult Konzentrat­ion und Geduld“,

sagt Michael Turobin-Ort vom Alpenverei­n.

Für eine weiche Landung sorgen Matten. Beim Bouldern wird ohne Sicherung bis zur Absprunghö­he geklettert. „Ein Erwachsene­r als Begleitper­son ist Pflicht“, sagt Turobin-Ort. Fürs Seilklette­rn werden beim DAV spezielle Eltern-Kurse angeboten. Wer für sein Kind einen begehrten Platz in einer der Gruppen erhält, muss in Kempten mit Kosten in Höhe von gut 200 Euro pro Jahr rechnen. Dazu kommen – bei anhaltende­r Begeisteru­ng – Ausgaben von weiteren 200 Euro für Gurt, Sicherungs­gerät und Schuhe.

 ?? ARCHIVFOTO: OSTERRIED ?? Michael Ullrich trainiert in der Memminger Boulderhal­le. Dort ist der süddeutsch­e Meister seit September 2020 Betriebsle­iter.
ARCHIVFOTO: OSTERRIED Michael Ullrich trainiert in der Memminger Boulderhal­le. Dort ist der süddeutsch­e Meister seit September 2020 Betriebsle­iter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany