Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zeit der Bodenseefelchen scheint vorbei zu sein
Entscheidung über ganzjährige Schonzeit fällt im Juni – Berufsfischer bieten Alternativen
- Politik, Verwaltung und Wissenschaft diskutieren mit den Berufsfischern seit Anfang des Jahres hinter verschlossenen Türen über eine ganzjährige Schonzeit für Felchen im Bodensee.
Hintergrund sind wissenschaftliche Untersuchungen, die zum Ergebnis hatten, dass das Felchen im Bodensee stark gefährdet ist. Es wird – wie jetzt von einer Konferenz mit den Bodenseefischern bekannt wurde – auf absehbare Zeit keine verwertbaren Felchenbestände mehr geben.
Was ist geschehen?
Erste Meldungen, das Bodenseefelchen solle ganzjährig geschützt und damit nicht mehr gefischt werden dürfen, gab es bereits im Januar. Seitens des Regierungspräsidiums sei an die Berufsfischer und die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) mit dem Wunsch einer ganzjährigen Schonzeit herangetreten worden. Gesprochen wird darüber nur hinter vorgehaltener Hand.
Auf unsere Anfrage beim Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) im Februar bestätigte die Pressestelle die Beratungen, verwies darüber hinaus jedoch auf die bevorstehende Konferenz: „Wir sind gemeinsam daran, Lösungen zu erarbeiten. Insbesondere
diskutiert wurden die Schonung der Felchen, Anpassungen beim Felchenbesatz sowie der Umgang mit den invasiven Stichlingen. Die IBKF wird informieren, wenn Beschlüsse gefällt worden sind“, so Sprecher Jonas Esterl.
Die IBKF ist das höchste Gremium für Angelegenheiten der Fischerei am Bodensee-Obersee. Die badischen Berufsfischer sind in die Verhandlungen einbezogen, ebenso die Kollegen aus Württemberg, Bayern, Österreich und der Schweiz, weil eine solche Schonfrist nur Sinn mache, wenn sie überall stattfinde.
Wie kam es dazu?
2022 gab es nach 2018 zum zweiten Mal keine Laichfischerei, weil kaum laichfähiger Fisch bei Probefängen gefunden worden war. Das hatten die Sachverständigen der IBKF zusammen mit den Staatlichen und Kantonalen Fischereiaufsehern entschieden. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten zudem ergeben, dass es dringend geboten sei, die Felchen ganzjährig zu schonen, damit es überhaupt noch laichfähigen Fisch geben könne. Die Situation des Felchenbestandes habe sich 2022 derart zum Negativen entwickelt, dass ein Handeln sofort nötig wäre.
Wie wirkt sich die Stichling-Mutation aus?
Der Fischbestand im See leidet. Seit rund acht Jahren wird von der Stichlingsproblematik gesprochen.
Damals hatte die Fischereiforschungsstelle in Langenargen festgestellt, dass die durch Mutation ins Freiwasser vorgedrungenen Stichlinge neben dem Plankton, dem eigentlichen Hauptfutter der Felchen, vor allem aber auch die von den Brutanstalten ausgesetzten Fischlarven fressen. Diese zu einem späteren Zeitpunkt auszusetzen, wenn sie größer seien, wurde seinerzeit aus Kosten- und Platzgründen von den Brutanstalten abgelehnt. Die Probleme sind im Projekt „Seewandel“intensiv beforscht worden. Dieses internationale Projekt untersucht den Einfluss von Nährstoffrückgang, Klimawandel, gebietsfremden Arten
und anderen Stressfaktoren auf das Ökosystem Bodensee, seine Biodiversität und Funktionsweise sowie die menschliche Nutzung des Sees.
Welche Rolle spielt der Kormoran?
Die Fischer werfen den Akteuren in der Politik vor, dass seit Jahren nichts zur Kormoran-Problematik im See passiert sei. „Seit Jahrzehnten redet man vom wachsenden Kormoranbestand am See, der inzwischen bis zu 400 Tonnen Wildfisch aus dem See holt“, sagen die Berufsfischer. Das sei im Obersee doppelt so viel, wie die Fischer fangen.
Seitens der Behörden hingegen wird dem Einf luss der Kormorane
auf den Felchenbestand widersprochen. Die Kormorane, die unbestritten viel Fisch aus dem See holen würden, seien für die im Freiwasser lebenden Felchenbestände ungefährlich, weil die Vögel in den Uferbereichen jagen würden, heißt es in Stuttgart.
Verhungern die Fische?
Des Weiteren beziehen sich die Berufsfischer erneut auf den niedrigen Nährstoffgehalt im See. Der Phosphatgehalt, der einst bei 80 bis 90 Milligramm pro Kubikmeter lag, liegt heute nur noch bei sechs Milligramm in der gleichen Menge Wasser. Beides sei verheerend für See und Fisch, sagen die Fischer. Doch getan werde an diesem Zustand, in dem man die Felchen verhungern lasse, nichts.
Wie reagieren die Fischer?
Jetzt hat der Badische Berufsfischerverband eine Veranstaltung abgesagt, weil die Verhandlungen über die Schonzeit noch nicht abgeschlossen seien.
Doch auch an ihren Verkauf von Fisch denken die Berufsfischer. Sollte die Felchenschonzeit kommen, hätten die Verbraucher das im Kopf und würden damit verbinden, dass es keinerlei Fisch mehr bei den Fischern zu kaufen gebe. Damit könne man die Geschäfte schließen, obgleich auch anderer Fisch angeboten werde.
Neben anderen Forderungen wollen die Berufsfischer bei verordneter Schonzeit auch eine Entschädigung, wie sie in anderen Landwirtschaftsbereichen üblich sei, heißt es rund um den See.
Die Fischer unterstreichen in der Auseinandersetzung, dass sie die Notwendigkeit eines Bestandsschutzes der Felchen durchaus sehen und auch zu Kompromissen bereit seien. Sie schlagen allerdings andere Maßnahmen als eine ganzjährige Schonfrist vor.
Weitere Details dazu werden zurzeit ausgearbeitet. Mittlerweile gibt es aber eine allgemeine Erklärung, aus der hervorgeht, dass die österreichischen, schweizerischen und die drei deutschen Berufsfischerverbände geschlossen eine ganzjährige Schonzeit für Felchen ablehnen.