Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Dieses Museum ist zum Schießen
Haus zur Schützenkultur auf dem Gelände des Bauernhofmuseums in Illerbeuren soll auch Nicht-Schützen locken
- Manchmal ist die Geschichte eine Scheibe. Bei den Schützen trifft das zu. Auf kunstvoll bemalten, kreisrunden Schützenscheiben, die zu besonderen Anlässen gestiftet, beschossen und danach aufbewahrt wurden, sind Szenen aus längst vergangenen Tagen dokumentiert. Das macht sie zum Gegenstand von kulturgeschichtlichem Interesse –und zu Ausstellungsstücken im neu eröffneten „Haus zur Schützenkultur“auf dem Gelände des Bauernhofmuseums in Illerbeuren (Kreis Unterallgäu).
Auf 700 Quadratmetern und über drei Etagen wird in dem 5,7 Millionen Euro teuren Bau die Geschichte des süddeutschen Schützenwesens vom Ende des Mittelalters bis in die 1970er-Jahre gezeigt. Unter den 3000 Exponaten dienen 50 von 69 Schützenscheiben als ungewöhnlicher Blickfang: Sie hängen als Scheibenhimmel von der Decke. „Der Reiz liegt in der Vielfalt. Sie reicht von persönlichen bis hin zu offiziellen Themen. Da geht es um Hochzeiten, Sagen, Lokalgeschichte, aber auch Kriege oder Politik“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Mathilde Wohlgemuth. Die 37jährige Volkskundlerin beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte des Schützenwesens und hat an der 336 Seiten fassenden
Dokumentation „Schützen. Das Buch“mitgewirkt. Zu ihren persönlichen Favoriten zählt die älteste Schützenscheibe des Museums von 1785: Sie zeigt ein festliches Schießen vor den Toren der Stadt Memmingen. Gewidmet ist sie, wie die Überschrift verrät, der „Nächstenliebe und Freundschaft“.
Die Kleidung der dargestellten Teilnehmer lässt Rückschlüsse auf ihre gesellschaftliche Stellung zu. „Da hat sich die gehobene Society getroffen“, sagt Wohlgemuth schmunzelnd.
Seine Ursprünge hat das Schützenwesen im Mittelalter. Die Mauern von Klöstern, Burgen oder Städten wurden nicht nur von besoldeten Stadtwachen verteidigt. Im Falle eines Angriffs gehörte die Verteidigung auch zur Pflicht der
männlichen Bürger. Die Städte förderten die Schützen, wollten ihre bewaffneten Untertanen jedoch auch kontrollieren. In Schützenordnungen wurden Waffengebrauch, regelmäßige Übungen und das Verhalten auf der Schießwiese genau geregelt. „Es blieb in der Regel allein den Männern vorbehalten“, sagt Wohlgemuth.
Das änderte sich erst Jahrhunderte später – und daran wirkte eine Wahl-Allgäuerin mit. Anni Schmid (1908 bis 1991), geboren in Pfaffenhofen an der Ilm und in Memmingen verheiratet, gelang in den 1920er-Jahren in ihrer Heimat eine Änderung der Vereinsregeln, die Frauen das Schießen bis dato untersagt hatten. Heute sind 40 Prozent der über 1,3 Millionen Mitglieder im Deutschen Schützenbund weiblich.
Das Haus zur Schützenkultur ersetzt das Schwäbische Schützenmuseum, das der Bezirk Schwaben 1997 vom Bezirksschützenmeister Bernhard Oberst übernommen hatte. Der leidenschaftliche Sammler hatte Tausende von Exponaten, ein Großteil Leihgaben, zusammengetragen. Bautechnische Mängel hatten 2016 die geplante Eröffnung verhindert. Anfang Mai wurde das Haus, ein Projekt des Zweckverbands Schwäbisches Bauernhofmuseum, nun eingeweiht. 20 Multimedia-Stationen, beispielsweise mit Videos von Böllerschützen, sollen auch „Nicht-Schützen“ansprechen. Die Besucher können sich ein rekonstruiertes Vereinsheim aus den 1970er-Jahren, Trophäen-Schatzkammern, eine Büchsenmacherwerkstatt, rund
50 historische und moderne Waffen sowie einen umgebauten Schießstand anschauen. Dort kann man mit Hilfe moderner Lichttechnik selbst versuchen, die Scheibe zu treffen.
Auch die Themen Waffenmissbrauch und staatliche Kontrolle der Schützen sowie die Gleichschaltung und Instrumentalisierung während der Nazizeit werden nicht ausgeklammert. „Wir wollen auch all jenen einen neuen Blickwinkel auf das Kulturphänomen geben, die bislang wenig mit dem Thema Schützen in Berührung kamen“, sagt Wohlgemuth.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag jeweils von 9 bis 18 Uhr, an Feiertagen ist auch montags geöffnet.