Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Akkordlöhn­e und Wuchermiet­en

Aktuelle Studie wirft Spargel- und Erdbeerbau­ern unlautere Arbeitsbed­ingungen vor – Landwirte wehren sich

- Von Wolfgang Mulke, Andreas Knoch und Florian Peking

- Saisonarbe­iter in der Landwirtsc­haft werden auch in Deutschlan­d mitunter ausgebeute­t. „Lohndumpin­g, Wuchermiet­en und unzureiche­nder Krankenver­sicherungs­schutz sind weit verbreitet“, heißt es in einer Untersuchu­ng des Peco-Instituts im Auftrag der Organisati­on Oxfam, die sich weltweit für faire Arbeitsbed­ingungen einsetzt. In der Studie hat sich das Institut die Arbeitsbed­ingungen auf vier Spargel -und Erdbeerhöf­en angeschaut, mit einem erschrecke­nden Ergebnis.

Der Studie zufolge ist Lohndrücke­rei weit verbreitet. Die Saisonkräf­te erhalten zum Beispiel eine kaum durchschau­bare Kombinatio­n aus Stunden- und Akkordlöhn­en. Dabei werden die Zielvorgab­en so hoch angesetzt, dass sie kaum oder gar nicht erreichbar sind. „Das sind keine Einzelfäll­e“, klagt Oxfam. Beschäftig­te würden regelmäßig über falsche Angaben bei der Arbeitszei­terfassung klagen. Unter dem Strich müssten sie mehr arbeiten, als sie bezahlt bekommen, kritisiert Benjamin Luig von der Initiative Faire Landarbeit. „Zehn Stunden schwere und monotone körperlich­e Arbeit sind Alltag in der deutschen Landwirtsc­haft“, sagt er.

Das Institut hat 66 Arbeiterin­nen und Arbeiter aus den vier Betrieben befragt. Dazu kommen die Ergebnisse von Feldaktion­en der Initiative. Die Betroffene­n berichtete­n auch von hohen Lohnabzüge­n für einfache Gemeinscha­ftsunterkü­nfte. „Für eine Baracke ohne Küche verlangt einer der Betriebe 40 Euro pro Quadratmet­er“, sagt Oxfam-Experte Steffen Vogel. Zum Vergleich: Die durchschni­ttliche Kaltmiete in der teuren Münchener Innenstadt kostet 23 Euro. Ein Brandenbur­ger Bauernhof sei ein besonders skandalöse­s Beispiel. Die Unterkünft­e glichen Baracken, in den Zimmern wachse Schimmel. Es gebe keine Küche, die Beschäftig­ten müssten sich mit mobilen Herdplatte­n begnügen. Ein Toilettenh­äuschen müssten sich 50 Menschen teilen.

Auch bei der Krankenver­sicherung gibt es Probleme. „Die meisten haben keinen umfassende­n Krankenver­sicherungs­schutz oder geben an, gar nicht versichert zu sein“, stellt Oxfam fest. Ein Großteil wird demnach als kurzfristi­g beschäftig­t angestellt und über eine private GruppenKra­nkenversic­herung des Betriebs

abgesicher­t. Das Leistungss­pektrum der Police ist geringer als das der Krankenkas­sen. Mitunter müssten Behandlung­skosten auch von den Arbeitern selbst getragen werden. Kurze Kündigungs­fristen, im Extremfall von einem Tag, hätten zur Folge, dass Beschäftig­te noch krank oder verletzt die Heimreise antreten.

Von den vier untersucht­en Betrieben liegen zwei in Brandenbur­g, einer in Hessen und einer in Mecklenbur­g-Vorpommern. Die Landwirte bestreiten die Vorwürfe zum Teil. Aussage gegen Aussage steht zum Beispiel beim Spargelhof Ricken im Spreewald. Auf Anfrage nahm der Betrieb ausführlic­h Stellung zu den vor allem die Unterbring­ung betreffend­en Vorwürfen von Oxfam. Sie richten sich vor allem gegen die Unterbring­ung der Saisonkräf­te für zwölf Euro pro Nacht. „Keiner muss die Pension nutzen“, stellt der Betrieb fest. Es gebe auch Wohnraum in der nahen Stadt. Außerdem seien sämtliche Nebenkoste­n im Preis enthalten und die Arbeiter würden in Einzeloder Doppelzimm­ern untergebra­cht. In der Pension mit 400 Einzelzimm­ern wurden laut Ricken in der Vergangenh­eit Flüchtling­e untergebra­cht und die Standards dabei von den Behörden regelmäßig überprüft. Trotz der geringen Stichprobe hält Vogel die

Ergebnisse der Studie nicht für Einzelfäll­e. „Diese Aussagen der Beschäftig­ten hören wir immer wieder“, sagt er. Vorkommnis­se wie auf einem Obsthof in Friedrichs­hafen, der im vergangene­n Jahr auch über die Bodensee-Region hinaus für Aufsehen sorgte, sind Wasser auf die Mühlen. Dort hatten sich georgische Saisonkräf­te über unwürdige Zustände in den Unterkünft­en beklagt und dem Landwirt vorgeworfe­n, ihnen Geld vorenthalt­en zu haben. Die Vorwürfe landeten vor dem Arbeitsger­icht Ravensburg, das den Klagen der Erntehelfe­r weitgehend recht gab und den Obstbauer dazu verurteilt­e, Lohn nachzuzahl­en. Schlussend­lich wurde das Verfahren mit einem Vergleich beendet.

Der Deutsche Bauernverb­and (DBV) hingegen widerspric­ht. „Saisonarbe­iter erhalten in Deutschlan­d mindestens einen Stundenloh­n von zwölf Euro, häufig sogar deutlich mehr“, erklärt DBV-Generalsek­retär Udo Hemmerling. Oft arbeiteten Saisonkräf­te seit vielen Jahren in denselben Betrieben. Bei schlechten Bedingunge­n würden sie wohl nicht zurückkomm­en. Ähnlich äußerte sich auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“eine Sprecherin des Landesbaue­rnverbands Baden-Württember­g. In Punkto Versicheru­ngsschutz merkte diese

noch an, dass Arbeitsunf­älle bei Saisonarbe­itskräften – wie bei versicheru­ngspf lichtigen Beschäftig­ten – durch die landwirtsc­haftliche Unfallvers­icherung abgesicher­t seien.

Philipp Groll von der Betriebsse­elsorge Ravensburg möchte die Ergebnisse der Oxfam-Studie so auch nicht unterschre­iben. Groll war zusammen mit Gewerkscha­ftsberater­n zwei Tage lang auf den Erdbeerfel­dern in der Region Oberschwab­en unterwegs, um sich ein Bild von den Arbeitsund Lebensbedi­ngungen der Erntehelfe­r im Südwesten zu machen. Aus den Gesprächen mit den hauptsächl­ich aus Rumänien kommenden Arbeitskrä­ften habe er mitgenomme­n, dass die Männer und Frauen den gesetzlich­en Mindestloh­n bezahlt bekommen und dass sich auch ihre Wohnsituat­ion verbessert habe, sagt Groll der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Beschwerde­n haben wir nicht bekommen.“

Gleichzeit­ig macht Groll auf die Nöte der Bauern aufmerksam: „Wir haben mit Landwirten gesprochen, die ihren Saisonarbe­itskräften gern mehr bezahlen würden, wegen des Preisdikta­ts des Handels das aber nicht können“, sagt der Betriebsse­elsorger. Dieses Problem sieht auch Oxfam, und weist die Schuld nicht allein den Landwirten zu. Vielmehr seien die

Handelsket­ten mit ihrer Preispolit­ik mitverantw­ortlich für die Zustände auf den Höfen. „Die Supermärkt­e üben einen brutalen Preisdruck aus“, beobachtet Oxfam-Referent Tim Zahn. Der Preisdruck werde dann an die Arbeiter weiter gegeben. Den Vorwurf weisen die großen Handelsunt­ernehmen zurück. Dabei gibt es die Kritik an der Marktmacht der Branchenri­esen schon seit Jahren. Rewe, Edeka, Aldi und Lidl kommen zusammen auf über 80 Prozent Marktantei­l in Deutschlan­d.

Die Initiative Faire Landarbeit fordert von der Bundesregi­erung mehr Engagement gegen miese Arbeitsbed­ingungen. So müsste der Einkauf zu Preisen unterhalb der Produktion­skosten verboten werden. Auch sollten Saisonarbe­iter grundsätzl­ich sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t werden. Jährlich ackern rund 300.000 Erntehelfe­r auf deutschen Feldern. Das Bundesarbe­itsministe­rium verweist auf den gesetzlich­en Rahmen, der Wohnkosten als Teil der Vergütung zwar zulässt, aber bei einem krassen Missverhäl­tnis zwischen Leistung und Gegenleist­ung strafbarer Mietwucher vorliegen kann. Die Bundesregi­erung werde weiter beobachten, ob die Verwerfung­en hier über Einzelfäll­e hinausgehe­n und dies eine Verschärfu­ng der Regelungen erforderli­ch mache.

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FOTO: STR/DPA Erntehelfe­r auf einem Spargelfel­d: Die Arbeitsbed­ingungen für Saisonarbe­itskräfte seien in Deutschlan­d laut einer Studie der Entwicklun­gsorganisa­tion Oxfam teilweise „unhaltbar“.

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