Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Furcht um den Forst
Die EU will den Regenwald stärker schützen – Was das für Unternehmen bedeutet
- Bis zum Jahresende müssen Unternehmen in ganz Deutschland ihre Lieferketten nachverfolgen. Das hat die EU mit ihrer Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR) beschlossen. Er ist Teil der europäischen Zielsetzung, bis 2050 klimaneutral zu werden. Auf dieses Ziel haben sich bereits 2019 die EU-Mitgliedstaaten geeinigt. Konkret müssen Firmen darauf achten, dass keine Wälder mehr zerstört werden, wenn sie Soja, Palmöl, Rindfleisch, wichtige Holz- und Papierprodukte sowie Kaffee, Kakao und Kautschuk aus anderen Ländern importieren.
Die EUDR gilt zwar schon seit vergangenem Jahr, aktuell läuft allerdings noch eine Übergangsfrist, bis die Regelung am Ende dieses Jahres endgültig greift. „Deutschland hat sich dem internationalen Schutz der Wälder seit vielen Jahrzehnten im Rahmen zwischenstaatlicher und internationaler Abkommen verpf lichtet“, teilt der Nabu mit. Die Naturschutzorganisation verweist auf die Bedeutung der großen tropischen Waldgebiete. Sie würden 80 Prozent der gesamten Artenvielfalt an Land beherbergen und das globale Klima stark beeinf lussen. „Ohne den Erhalt gesunder Wälder ist die Klimakrise nicht aufzuhalten. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass unser aller Überleben von ihnen abhängt und daher im eigenen Interesse aller Menschen sein sollte“, so der Nabu. Aus Sicht der Organisation könnte die Regelung auch noch weitergehen und weitere Produkte und Ökosysteme wie Savannen umfassen.
Scharf kritisiert wird die EUDR hingegen vom Deutschen Bauernverband. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen treffe die Regelung hart. Diese müssten extrem viel Zeit aufwenden, um Daten in die EUDRDatenbank hochzuladen beziehungsweise sie von Hand einzugeben. Denn jeder, der die entsprechenden Güter produziert, muss in Zukunft explizit deren Herkunft durch Geokoordinaten angeben. Zudem müssen Informationen vorliegen, dass die Ware entwaldungsfrei und mit den einschlägigen Rechtsvorschriften des Herkunftslandes hergestellt worden ist.
„Ein solcher Weg konterkariert jede politische Bekundung zum Bürokratieabbau“, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Der Nabu fasst das jedoch anders auf: „Bürokratie wird heute oft vereinfacht als Feind der Wirtschaft
beschrieben – sie beinhaltet aber sehr oft wichtige Regeln, die neben dem Verbraucher auch den ehrlichen Händler vor seinem unfairen Konkurrenten schützt.“Zudem würde die EUDR auch die heimische Wirtschaft schützen. Denn Produkte, die durch Raubbau an der Natur produziert würden, seien oftmals viel billiger als europäische, bei denen gewisse Standards eingehalten werden müssten. „Tatsächlich ist der Aufwand zur Verbesserung der Transparenz in den Lieferketten bei uns ziemlich überschaubar und nicht höher als das, was die EU von Firmen in Afrika verlangt. Das ist mit modernen und digitalen Methoden zu stemmen“, teilt der Nabu mit.
In der Region ist unter anderem der Schokoladenhersteller Ritter-Sport aus Waldenbuch von
der EUDR betroffen. „Wir beziehen jeweils rund 10.000 Tonnen Kakaomasse und Kakaobutter jährlich“, teilt das Unternehmen auf Anfrage hin mit. Diese Produkte kämen aus der Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria, Nicaragua und Peru. Zertifiziertes Palmfett für Schokoladenfüllungen beziehe man nur in geringen Mengen aus Südostasien. Der neuen EURegelung steht das Unternehmen wohlwollend gegenüber. Laut eigenen Angaben schaue man sowieso sehr genau auf die eigenen Lieferketten und könne diese „bis zu den einzelnen Erzeugerorganisationen“nachverfolgen. „Die Alfred Ritter GmbH & Co. KG nimmt faire Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit schon seit vielen Jahren entlang der gesamten Lieferkette in den Blick und setzt sich aktiv dafür ein. Ökologische
Ziele, wie unter anderem auch der Schutz des Waldes, müssen aktiv verfolgt werden“, so ein Sprecher von Ritter-Sport. Auf der unternehmenseigenen Kakaoplantage in Nicaragua sei auf 2500 Hektar nur rund die Hälfte mit Kakao in einer Mischkultur bepflanzt. Die andere Hälfte bestehe aus Primärwäldern, aufgeforsteten Tierbrücken, Feuchtund Flussgebieten. Entsprechend sei der Mehraufwand durch die EUDR nicht gravierend. „Selbstverständlich bringen neue Vorschriften und Regelungen auch immer neue und mehr Arbeit mit sich – gerade auch hinsichtlich des bürokratischen Aufwandes. Dennoch sind wir bereits gut vorbereitet und haben unsere Lieferketten seit Jahren im Blick“, teilt das Unternehmen mit.
Die Landespolitik ist sich bei dem Thema nicht ganz einig. Die Grünen stehen prinzipiell hinter der EUDR. Die Fraktion verweist dabei auf die großen Schäden, die durch EU-Importe bestimmter Produkte entstehen. „Studien zufolge verursacht die EU durch ihre Importe 16 Prozent der weltweiten Regenwaldabholzung“, teilt die Fraktion mit. Trotzdem sei man dafür, die Verordnung so bürokratiearm wie möglich umzusetzen. Um das zu gewährleisten, habe das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2020 ein Dialogformat für alle Betroffenen eingerichtet. Zudem folge die Verordnung einem „risikobasierten Ansatz“: „Aufwand, Auflagen und Kontrollen richten sich nach der Höhe des Risikos für Entwaldung in einem bestimmten Land.“
Auch die CDU-Fraktion begrüßt die Regelung grundsätzlich. Immerhin seien die Wälder die „Lungen der Erde“. Trotzdem sei der bürokratische Aufwand eine Zumutung. Dieser treffe nämlich nicht nur Produzenten im Ausland, sondern auch beispielsweise heimische Holzproduzenten. „So verpflichtet die Verordnung Waldbauern im Schwarzwald und auf der Alb zur Übermittlung von Daten an ein EU-Informationsportal, die im Kleinprivatwald bisher gar nicht erhoben werden“, sagt Sarah Schweizer, forstpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion.
Sowohl die FDP- als auch die SPD-Fraktion stehen nach eigenen Angaben zwar prinzipiell hinter der EUDR, verweisen aber darauf, dass der bürokratische Aufwand für die Unternehmen so klein wie möglich sein müsse. Die AfD-Fraktion zweifelt hingegen insgesamt an der Sinnhaftigkeit der Verordnung.