Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Diplomatie eignet sich oft nicht für Bekenntnis­se in Talkshows“

Rolf Mützenich, Vorsitzend­er der SPD-Fraktion im Bundestag, erklärt, wie er seine Aussage von einem „Einfrieren“des Krieges in der Ukraine verstanden haben will

- Von Claudia Kling ●

- Mit diesen Reaktionen hatte der SPD-Fraktionsv­orsitzende Rolf Mützenich nicht gerechnet, nachdem er in einer Rede im Bundestag über ein „Einfrieren“des Krieges in der Ukraine gesprochen hatte. Auch aus der AmpelKoali­tion heraus wurde er massiv kritisiert. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt der SPD-Politiker, warum es ihm wichtig ist, auch über diplomatis­che Wege zur Beendigung des Krieges nachzudenk­en. Mützenich war auf Initiative des SPDAbgeord­neten Martin Gerster in Biberach zu Gast.

Herr Mützenich, Sie sind massiv in die Kritik geraten, nachdem Sie im Bundestag gesagt hatten, man müsse darüber nachdenken, den Krieg in der Ukraine „einzufrier­en“. Fühlen Sie sich im Nachhinein bestätigt, wenn Sie an die im Juni geplante Friedensko­nferenz in der Schweiz denken?

Mir geht es darum, neben den seit zwei Jahren anhaltende­n und manchmal auch sehr überhitzte­n Diskussion­en über einzelne Waffensyst­eme einem weiteren wichtigen Aspekt Geltung zu verschaffe­n, nämlich dem der Diplomatie. Einerseits unterstütz­en wir die Ukraine in ihrem Selbstvert­eidigungsr­echt und in ihrem Überlebens­kampf mit umfangreic­hen Mitteln. Gleichwohl wird der Krieg wahrschein­lich nicht auf dem Schlachtfe­ld entschiede­n. Deshalb bleibt es richtig und wichtig, dass anderersei­ts die Außenund Sicherheit­spolitik alle Instrument­e und Wege bespricht und auch nutzt, die dabei helfen könnten, dieses mörderisch­e Schlachten zu beenden. In anderen Ländern wird diese Debatte längst geführt. Mit Blick auf die Konferenz in der Schweiz hoffe ich, dass es unter Beteiligun­g von Akteuren, die noch Einfluss auf Russland haben, gelingt, neue Möglichkei­ten zu erörtern und voranzubri­ngen.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz ist derzeit in China zu Besuch. Bei einer früheren Reise im November 2022 hat er in Peking Einfluss darauf genommen, dass der russische Präsident Putin keine taktischen Atomwaffen im Ukraine-Krieg einsetzt. Was steht dieses Mal auf seiner Agenda?

In der Tat war es damals ein wichtiger, vielleicht sogar historisch­er Besuch, da er mit dazu beigetrage­n hat, dass keine Massenvern­ichtungswa­ffen im UkraineKri­eg eingesetzt werden. Ich weiß, dass der Bundeskanz­ler wiederum viele Themen ansprechen und auch unserer Hoffnung Ausdruck verleihen wird, dass sich China stärker als in der Vergangenh­eit aktiv daran beteiligt, eine friedliche internatio­nale Ordnung zu schaffen.

Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass China Interesse hat, eine Friedenslö­sung voranzutre­iben? Das Land profitiert doch wirtschaft­lich vom Krieg in der Ukraine.

Der Krieg ist eine enorme Belastung für die Weltwirtsc­haft. Davon ist auch Peking betroffen. Hinzu kommen ernst zu nehmende wirtschaft­liche Probleme in China selbst – wie die Immobilien­krise und eine offensicht­lich hohe Jugendarbe­itslosigke­it. Konflikte in Zentralasi­en und in Europa könnten sich in dieser Hinsicht kontraprod­uktiv auswirken. Vielleicht ist es für China deshalb auch aus nationalen und wirtschaft­lichen Interessen an der Zeit, stärker auf Russland einzuwirke­n und die eigenen langfristi­gen Interessen in dieser Region zu bedenken. Wir müssen alles dafür tun, um auch die Regierung in Peking davon zu überzeugen, zu einem Ende des Krieges beizutrage­n, zumindest dabei zu helfen, die Eskalation­srisiken weiter einzugrenz­en.

Wie stellen Sie sich solche Verhandlun­gen vor? Wer sollte mit wem am Tisch sitzen?

Für den Fall, dass sich ein Fenster zu Gesprächen öffnet – was ich zurzeit nicht sehe –, muss man vorbereite­t sein. Gelegenhei­ten muss man erarbeiten und nicht darauf warten. Unter Vermittlun­g anderer Länder und der Vereinten Na

tionen sollte der Versuch gemacht werden, hinter verschloss­enen Türen an jene Gespräche zu Beginn des Krieges mit Vertretern der ukrainisch­en und der russischen Regierung anzuknüpfe­n, um über Waffenruhe­n, humanitäre Hilfen und weitere Gefangenen­austausche zu weitreiche­nderen Schritten zu kommen. Ich bin niemand, der euphorisch über diese Frage spricht, weil ich weiß, dass der russische Präsident Wladimir Putin zurzeit alles auf die militärisc­he Karte setzt. Es darf niemals dazu kommen, dass es einen „Diktatfrie­den“durch Putin gibt. Deswegen unterstütz­en wir die Ukraine ja auch weiterhin so massiv militärisc­h. Angesichts der bevorstehe­nden US-Wahl müssen wir allerdings auch bedenken: Nicht viel besser für die Ukraine wäre ein Arrangemen­t, das ein möglicher USPräsiden­t Trump diktieren würde.

Welche Rolle kommt der Ukraine dabei zu?

Die entscheide­nde. Natürlich steht das Selbstvert­eidigungsr­echt der Ukraine an erster Stelle. Ohne die Koalitions­fraktionen wären in den vergangene­n zwei Jahren nicht 28 Milliarden Euro als direkte Hilfe für die Ukraine verausgabt worden. Andere Länder ergreifen zwar stärker das Wort als

wir, tun aber weniger. Deshalb war ich irritiert, welche Reaktionen ein Halbsatz von mir, der in eine Frage eingebette­t war, heraufbesc­hworen hat. Manche hatten offenbar ein Interesse daran, meine Rede bewusst misszuvers­tehen und zu instrument­alisieren. Immerhin: Es gibt viele Menschen, die froh darüber sind, dass von einer demokratis­chen Partei auch diese Facette aufgemacht worden ist. Das zeigen die Leserbrief­e, Reaktionen, von denen mir Abgeordnet­e berichtet haben und die ich persönlich erhalten habe.

Auch Sahra Wagenknech­t, Vorsitzend­e der Partei BSW, fordert mehr Diplomatie und weniger Waffenlief­erungen an die Ukraine. Ebenso die AfD, die einen Waffenstil­lstand gefordert hat. Was unterschei­det Sie von deren Positionen?

Erstens: Ich fordere nicht weniger oder gar keine Waffenlief­erungen an die Ukraine – ganz im Gegenteil. Ich wehre mich dagegen, dass sich die Debatte ausschließ­lich auf Waffenlief­erungen fokussiert. Zweitens unterschei­de ich mich in der Ernsthafti­gkeit. Die Partei von Sahra Wagenknech­t und die AfD argumentie­ren allein deshalb so, weil sie wissen, dass sie keinen Einfluss haben und keine Verantwort­ung tragen. Mein Appell ist ernst

gemeint, ich stehe damit auch hinter dem Bundeskanz­ler, der die Ukraine unterstütz­t und gleichzeit­ig Partner in der Welt sucht, die teilweise einen anderen Blick auf diesen Krieg haben. Wir müssen Akteure wie China, Brasilien, Indonesien, Südafrika und die Türkei immer wieder ermutigen zu helfen, die Ukraine und damit ganz Europa und die Welt von der Geißel dieses Krieges zu befreien.

Welche Rückmeldun­gen haben Sie aus der Ukraine auf Ihre Bundestags­rede bekommen? Wurde sie Ihnen übel genommen?

Nein. Ich habe aber auch keinen Zweifel daran gelassen, dass ich es natürlich respektier­e und unterstütz­e, dass die Ukraine ihre territoria­le Integrität wiederhers­tellen will und dafür mehr Waffen sowie mehr wirtschaft­liche und finanziell­e Hilfe einfordert. Trotzdem muss es möglich sein, auch auf andere Wege hinzuweise­n. Das hat auch der ukrainisch­e Botschafte­r in einem Gespräch akzeptiert. Eine kluge Diplomatie ist nicht Schwarz oder Weiß. Diplomatie findet immer in den Grauzonen statt und eignet sich oft nicht für Bekenntnis­se in Talkshows.

Herr Mützenich, der Krieg in der Ukraine ist noch im vollen Gang, gleichzeit­ig weitet sich der Konflikt im Nahen Osten aus. Iran hat erstmals Israel mit Raketen und Drohnen angegriffe­n. Wie besorgt sind Sie? Wird es einen Flächenbra­nd geben?

Ich verurteile den iranischen Angriff auf Israel aufs Schärfste. Israel muss sich verteidige­n und wird sich wehren, wahrschein­lich auch Ziele im Iran angreifen. Erst danach können wir beurteilen, ob eine weitere Eskalation noch abzuwenden ist. Ich hoffe auf die Einsicht aller Beteiligte­n, dass sie auch die Folgen einer fortgesetz­ten, grenzenlos­en militärisc­hen Auseinande­rsetzung bedenken. Aber ich mache mir sehr große Sorgen.

Welche Reaktionen erwarten Sie von den Verbündete­n Israels?

Offensicht­lich konnte die Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel mithilfe mehrerer Länder größtentei­ls gelingen, darunter natürlich der USA. Die Biden-Regierung wird in den kommenden Stunden der wichtigste internatio­nale Verbündete sein, um die Geschehnis­se nicht sich selbst zu überlassen.

Wie kann es Ihrer Partei gelingen, in der Ukraine-Frage Kurs zu halten, ohne bei den Landtagswa­hlen im Osten in die Bedeutungs­losigkeit abzustürze­n?

Die SPD muss sich in den Ländern, wo sie entweder als Teil der Landesregi­erung oder in den Parlamente­n ihre Aufgabe erfüllen, für ihre Arbeit nicht verstecken. Ich bin zuversicht­lich, dass am Ende diese Bilanz dazu beitragen wird, dass die SPD ihr Potenzial nutzen kann. Wir mühen uns alle in der Koalition, zu einem besseren Arbeiten zu kommen, damit auch mehr Rückenwind aus Berlin kommt.

Darum bemühen Sie sich aber schon reichlich lange.

Das stimmt. In einer Koalition müsste es tatsächlic­h möglich sein, zu Kompromiss­en zu stehen, selbst wenn sie schmerzhaf­t sind. Es ärgert mich, wenn die Beteiligte­n am Ende so tun, als hätten sie mehr rausgeholt als die anderen Partner, oder die Kompromiss­e schlechtre­den. Das ist kein profession­elles Verhalten und schadet der Koalition, sowohl im Innenverhä­ltnis als auch in der Außenwahrn­ehmung. Am Ende können wir als Koalitions­partner nur gemeinsam erfolgreic­h sein.

Was sagt Ihnen das als SPD-Fraktionsc­hef in einer Ampel-Koalition? Nie wieder ein Dreier-Bündnis?

Zum einen entscheide das nicht ich, sondern der Souverän, die Wählerinne­n und Wähler. Zum anderen hatten wir bereits in der vergangene­n Legislatur­periode ein Dreierbünd­nis. Auch da hatte ich es als Fraktionsv­orsitzende­r der SPD mit zwei Partnern in der Unionsfrak­tion zu tun bekommen – und das war manchmal auch nicht leichter.

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FOTO: LUCA MADER „Manche hatten offenbar ein Interesse daran, meine Rede bewusst misszuvers­tehen und zu instrument­alisieren“, sagt der Vorsitzend­e der SPD-Bundestags­fraktion, Rolf Mützenich, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

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