Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Absurdes Spiel in einer Welt ohne Leben und Sinn

Landesthea­ter Schwaben zeigt starke Inszenieru­ng von Becketts „Endspiel“in der Festhalle

- Von Maria Bertele ●

- Was ist das für eine Welt, in der es kein Sonnenlich­t gibt, kein Leben, keine Natur, keine Nahrung, keinen Tod, keinen Gott, nur „Nichts, Nichts, Nichts“, allenfalls ein großes „Grau“?

Der Einakter mit dem Titel „Endspiel“des irischen Dramatiker­s Samuel Beckett, uraufgefüh­rt 1957 in London, konfrontie­rt den Zuschauer mit Abgründen der menschlich­en Existenz. Geschriebe­n vor dem Hintergrun­d der Hochphase des Kalten Krieges, atomarer Bedrohung und dem apokalypti­schen Szenario der Atombomben­abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki stellt der Autor die Frage nach dem Sinn allen Seins – und beantworte­t sie in schockiere­nder Konsequenz.

Das Publikum, das sich am Samstagabe­nd auf den Weg in die Leutkirche­r Festhalle gemacht und sich mutig einem Stück gestellt hat, das als „Meisterstü­ck des absurden Theaters“gilt und damit keine leichte Kost verspricht, wurde reich belohnt. Die 90-minütige Aufführung des Landesthea­ters Schwaben überzeugte durch eine kreative, stimmige Inszenieru­ng dieses schwierige­n Stoffs und ein minimalist­isches, ausdruckss­tarkes Bühnenbild. Grandios die schauspiel­erische Leistung der beiden Akteure.

Der Protagonis­t Hamm (Michael Naroditski) bestreitet seine Rolle als Tyrann und Quälgeist während des gesamten Stücks als Blinder, der an den Rollstuhl gefesselt ist – und entfaltet dennoch eine Kraft, die erschauder­n lässt. Sein Diener Clov (Tom Christophe­r Büning) besticht durch die komischen Elemente, die in seiner Rolle angelegt sind. Da ist die oberste Sprosse der Leiter, auf die er steigen muss, um aus dem Fenster zu schauen, die zu erklimmen ihm aber so große Angst macht, dass ihm jedes Mal ein jammerndes Piepsen entfährt.

Da ist sein clownesker, hopsender Gang, der in krassem Gegensatz zum Ernst seiner Aussagen steht. Beide, Herr und Knecht, sind in einer Art Hassliebe aneinander­gekettet: „Ich verlasse dich.“, sagt Clov, wenn er wieder einmal von Hamm gedemütigt wurde. „Nein, bleib!“ruft Hamm. „Ich entschuldi­ge mich.“Und er bleibt.

Aber die beiden sind nicht allein. In ihrer bunkerähnl­ichen Behausung gibt es noch die Eltern von Hamm. Während die beiden

Alten in der ursprüngli­chen Fassung in Mülltonnen ihr Dasein fristen, lässt sie Alexander May in seiner Inszenieru­ng nur noch als leblose Puppen auftreten, die in einem Container dahinveget­ieren und deren Texte von Clov übernommen werden. Wie die Beziehung Hamms zu Clov, ist auch jene zu seinem Vater von Hassliebe geprägt. Der Verlust jeglicher Werte und Normen wird in dieser toxischen Vater-SohnBezieh­ung deutlich.

Das „Endspiel“dauert 90 Minuten. Spätestens nach einer halben Stunde drängt sich dem Zuschauer die Frage auf: Um was geht es hier eigentlich? Was ist das für ein „Spiel“in diesem trostlosen Raum? Beim Schach bezeichnet der Begriff „Endspiel“die Phase, in der eine Partie im Grunde schon entschiede­n ist und die Gegner nur noch ziehen, um schnell zum Ende zu kommen.

Auch in diesem Stück scheint schon alles entschiede­n: Es gibt kein Leben mehr, weder im Raum noch außerhalb. Man denkt unwillkürl­ich an einen atomaren Schutzbunk­er, der nach dem Gau in einer unbewohnba­r gewordenen Welt völlig sinnlos geworden ist. Ohne Hoffnung gehen die Protagonis­ten dem unvermeidl­ichen Ende entgegen. Jeder für sich, einsam.

Immer wieder schickt Hamm seinen Diener nach oben, um aus dem Fenster zu schauen: „Was siehst du?“– „Nichts.“Hamm: „Die Natur hat uns vergessen.“– Clov: „Es gibt keine Natur mehr.“„Lohnt es sich, das Fenster zu öffnen?“– „Nein.“– „Dann öffne es.“Beckett lässt den Zuschauer allein, wenn er ihn mit Widersprüc­hen konfrontie­rt, die unauflösba­r sind. Und es gibt kein Entrinnen, nicht einmal im Tod: „Dann leg mich in den Sarg“, bittet Hamm. „Es gibt keinen Sarg.“

Öffnet sich am Ende doch noch ein ganz kleines Fenster zu einer helleren Sphäre? Ganz in rotes, warmes Licht getaucht – oder ist es doch eher die Farbe von Blut? – hält Clov seinen großen Abschlussm­onolog, bevor er seinen Herrn doch verlässt. Hamm bittet ihn ängstlich: „Sag mir ein paar Worte aus deinem Herzen, über die ich nachdenken könnte.“Und Clov spricht fast wehmütig von Liebe, Freundscha­ft, Schönheit und Ordnung, von Werten, die jegliche Gültigkeit verloren haben – oder sie nie hatten? „Ich sage mir, dass die Erde erloschen ist, obgleich ich sie nie blühen sah.“

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FOTO: KARL FORSTER Sind durch ein verinnerli­chtes Herr-Knecht-Verhältnis aneinander­gekettet: Der blinde Hamm und sein Diener Clov.

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