Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Tanz um das weiße Gold

- untermstri­ch@ schwaebisc­he. de

Am 24. Juni mach ich drei Kreuze und verspeise ein großes Stück Fleisch – ohne Beilagen. Warum? Weil dann, am Johannista­g, die Spargelsai­son endet. Endlich. Nichts gegen Spargel an sich, wer an den weißen Stängeln lutschen will, bitte schön! Aber woher dieser Kult? Um ein blasses Gemüse, das zwar wahnsinnig gesund sein soll, aber meist mit fettstrotz­ender Soße oder heißer Butter serviert wird? Um das sich die Menschen reißen wie um den kulinarisc­hen Gral. Als ob das jemand beurteilen könnte. Samstagabe­nd mit Spargel auf Gourmet ma- chen, Sonntagabe­nd darf es wieder Pizza von der Bude nebenan sein. Kinder sind in solchen Fragen unbestechl­ich. Neulich habe ich meinen Sohn (7) gefragt, ob er dieses Jahr schon Spargel gegessen habe. Antwort: „Ja, war o. k. Aber nicht dolle.“Eben. Spargel ist o. k., manchmal auch lecker. Aber woher dieser Rummel, warum Spargelpar­tys? Natürlich ist jeder auch ein Spargelexp­erte, weiß, wo es den besten gibt, kennt die optimale Zubereitun­g. Männer quatschen über Spargel wie sonst nur über Fußball, jeder ein Meister mit dem weißen Gold. In Wirklich- keit alles Spargeltar­zane. Spargel wäre ein Gemüse wie jedes andere, wenn es ihn das ganze Jahr über gebe. Das ist alles. Verknappun­g. Zeitlimit. Warum wohl trinken die Leute billigen Rotwein mit Zucker? Weil Glühwein nur zur Weihnachts­zeit ausgeschen­kt wird. Und was kommt als nächstes? Die Petersilie­nwurzelzei­t? Ich bekomme schon Gänsehaut, wenn es wieder heißt: Spargelzei­t. Genauso wie bei einer anderen deutschen Eigenart: dem Angrillen. Dazu ein anderes Mal. (dg)

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ILLUSTRATI­ON: MORIZ Tarzan mit einer Spargellia­ne: Sie bietet selten guten Griff, da sie oft von Sauce-Hollandais­e-Ameisen bewohnt wird.

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