Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zürcher Durcheinan­der

- Von Christoph Plate c. plate@ schwaebisc­he. de

Sepp Blatter ist ein alter Herr, dem viele ziemlich viel Böses zutrauen. Der kleingewac­hsene Mann mit dem schütteren Haar und dem drolligen Akzent eignet sich ideal zur Hassfigur. Warum aber schenken wir einem einzelnen Mann so viel Aufmerksam­keit? Steckt dahinter vielleicht der Wunsch, alles möge wieder gut werden? Dass es weitergehe in der Fußballwel­t, wenn denn einige Funktionär­e in die USA ausgeliefe­rt würden und man Blatter aufs Altenteil ins Wallis schickt? Doch so wird es nicht sein. Denn die Frage, ob und wann Blatter abtritt, ist nicht so wichtig, wie sie im Moment scheint. Es geht um viel mehr als um einen Fußballkon­gress in Zürich, bei dem ein Schweizer oder sein jordanisch­er Herausford­erer gewählt werden. Es geht um die Zukunft des Fußballs. Wie viel Macht sollen jene haben, die den Fußball nur verwalten? Wie viel Einfluss haben solche, die am Fußball in erster Linie verdienen? Und wo bleiben bei alledem wir, die Freizeitki­cker, die Sportschau-oder Sky-Gucker und all die Gelegenhei­tsfans?

Was seit zwei Tagen in Zürich geschieht, dürfte bald als Drehbuchvo­rlage für einen Thriller dienen. Weil die Ereignisse im Baur au Lac und in der Fifa-Zentrale am Zürichberg all das bieten, was ein Thriller braucht: Intrige, Weltpoliti­k, Geld, und dann noch Kantonspol­izisten, die erzählen können, wie sie morgens um 6 Uhr an die Tür einer Hotelsuite klopften und Welten zum Einsturz brachten.

Dieser Mittwochmo­rgen hat aber auch die Schweiz verändert. Die jahrzehnte­lange Gleichgült­igkeit der helvetisch­en Justiz und Politik gegenüber dem weltweit agierenden Fußballver­band schuf erst den Freiraum für das Spiel der alten FifaMänner, die selber seit Jahren gegen keinen Fußball mehr getreten haben. Hätte Bern nicht weggeschau­t so wie früher, als Diktatoren ihre Fluchtgeld­er dort bunkerten, hätten die Fußball-Mafiosi nicht mitten in Europa schalten können.

Aber ganz offensicht­lich schaut Bern nun hin. Genau darin könnte im großen Zürcher Durcheinan­der die Chance für einen Neuanfang liegen.

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