Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der ewige Blatter
Kurz bevor seine Kollegen verhaftet wurden, nahm der Fifa-Präsident sehr persönlich Stellung – Ein Treffen in Zürich
Fifa- Präsident Joseph Blatter steht nach den jüngsten Korruptionsvorwürfen und Verhaftungen unter Druck. Vor wenigen Tagen hat der Journalist Stephan Ramming Blatter zu einem Exklusivgespräch in der FifaZentrale in Zürich getroffen. Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung der „NZZ am Sonntag“. ( sz) oseph Blatter verlangt mehr Licht. „Wenn ich in einen Saal komme, wird es immer dunkel“, sagt er. Blatter sitzt auf dem Sofa in der Presidential Lounge am FifaHauptsitz. Eine halbe Stunde hat er sich Zeit genommen, um vor seiner erwarteten Wiederwahl zum FifaPräsidenten am Freitag zu reden. Über sich. Über seine Kritiker. Über seinen Weltfußballverband. Die Assistentin hantiert am Lichtregler. Am Ende wird Blatter sagen: „Schön, dass Sie mal hergekommen sind.“Er sagt das mit der herzlichen Wärme des Großonkels, der endlich wieder einmal Besuch empfangen durfte. Dann geht er ins nächste Meeting.
Der Schattenmann Blatter, der dunkle Fürst des Fussballs. Der Pate. Don Blatterone. Der Schattenmann. Es gibt viele unfreundliche Bezeichnungen für den Fifa-Präsidenten. Blatter beunruhigen sie schon lange nicht mehr. „Man soll vergeben, aber nicht vergessen“, sagt er und hebt den Zeigefinger. Es ist Belehrung und Mahnung zugleich. Tausende Zeitungsseiten, Aberhunderte Blog-Einträge füllen die Vorwürfe und Verdächtigungen gegen ihn. Korruption, Günstlingswirtschaft, Schmiergelder. Ihm persönlich konnte niemand jemals etwas nachweisen. Havelange, Bin Hammam, Warner und viele andere sind weg. Blatter ist noch immer da. Der ewige Blatter.
Blatter ist vergnügt Seit 1975 ist er im Weltfußballverband, zuerst als Direktor für Entwicklungsprojekte, seit 1981 als Generalsekretär. 1998 wurde er Präsident. Nun ist er 79-jährig und steht vor der fünften Amtszeit. Blatter sagt: „Ich bin eine Walliser Berggeiß, die immer läuft und läuft und läuft, man kann mich nicht bremsen, ich gehe immer weiter.“Blatter ist vergnügt. Er hat dieses Bild nicht zum ersten Mal benutzt. Ihm gefällt der Vergleich aus der alpinen Tierwelt, die seine zähe Beharrlichkeit veranschaulichen soll.
Es gibt viele Versuche, Blatters Wesen mit seiner Herkunft aus dem Wallis zu erklären. Einer dieser Versuche geht so: Die Walliser müssen sich seit alters gegen die Deutsch- schweizer, gegen die Romands und gegen die Italiener wehren. Gleichzeitig müssen sie aber auch mit allen auskommen, wenn sie überleben wollen. Das verlangt Schlitzohrigkeit, Leidensfähigkeit und Geduld. Irgendwann ist das Unwetter vorbei. Irgendwann schmilzt der Schnee, und die Geiß findet wieder Futter. Blatter, die Walliser Berggeiss. Er lächelt.
Das Prinzip von Blatters Macht ist einfach. Es stammt aus dem Geißenstall und lautet: Füttere heute, was dich morgen nährt. Blatter hat die Anwendung dieses Prinzips von Grund auf gelernt, als er in der Fifa-Entwicklungshilfe angefangen hat. Wurden früher Bälle, Leibchen oder Fußballschuhe in die Welt verschickt, verteilt die Fifa nun mit Prämien und Projektgeldern viele Hundert Millio- nen an ihre 209 Mitgliedsverbände. Wer Hilfe bekommt, wird Hilfe leisten. Wer Geld erhält, stimmt für den, der Geld schickt. Für Blatter. Das kann man auslegen als systematischen Stimmenkauf, als Klientelismus, als Vetternwirtschaft. Aber man kann das auch auslegen als systembedingte Konsequenz des Solidaritätsprinzips. Warum soll der Verbandschef von Guinea-Bissau oder Samoa einem anderen die Stimme geben als dem Präsidenten, der ihm schöne Fußballplätze, einen schönen Hauptsitz und zwischendurch auch mal eine schöne Reise finanziert hat? Blatter wiederholt auch an diesem Tag, was er wohl an jedem Tag sagt: „Ich glaube an das, was ich mache. Und ich glaube, dass es richtig ist, gut und richtig für den Fußball. Man kann
Joseph Blatter mit Fußball viel bewegen in der Welt.“
Dafür braucht es Geld, viel Geld. Nur einmal geriet Blatter in Gefahr, dieses Fundament seiner Regentschaft zu verlieren. Als die Schweizer Vermarktungsfirma ISL 2001 in Konkurs ging, drohte die Fifa auch die TV- und Marketing-Rechte an der Weltmeisterschaft zu verlieren. Im Verlauf des Konkursverfahrens wurden hohe Fifa-Funktionäre verurteilt, weil sie von der ISL Bestechungsgelder kassiert hatten. Gegen Blatter gab es nur Indizien für das moralische Vergehen der Mitwisserschaft. Entscheidend aber war, dass es Blatter und der Fifa gelang, aus der ISL-Konkursmasse die Rechte herauszulösen. So kam die Gelddruckmaschine wieder in den Besitz der Fifa. Seither hat sich der Jahresumsatz mehr als vervierfacht, auf über zwei Milliarden Dollar 2014. Damit lässt es sich gut regieren.
„Wenn man in meiner Position nur Freunde hat, ist etwas falsch“, sagt Blatter. Er kramt in seinem Käst- chen mit Bonmots. „Oder wie heißt es doch so schön: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.“Der Spruch tönt wie von einem katholischen Kalenderblatt. Er ist die Botschaft an seine Kritiker, die ihm Sesselkleberei vorwerfen. Mit der erneuten Kandidatur verhindere er, der Fifa zu einem besseren Image zu verhelfen. Natürlich hatte er 2011 vor dem Kongress des europäischen Verbandes Uefa gesagt, dass seine vierte Amtszeit die letzte sein werde. Das ist nun anders. „Ich habe meine Meinung geändert, jeder Mensch darf seine Meinung ändern, wenn sich die Umstände ändern“, sagt Blatter.
37 von 40 Reformen umgesetzt Mit den „geänderten Umständen“meint er vor allem den Uefa-Präsidenten Michel Platini, „er wäre mein natürlicher Nachfolger gewesen“, sagt Blatter. Nachdem Platini jedoch durchblicken ließ, dass er die Fifa zu schwächen und die Konföderationen zu stärken gedenke, sanken Platinis Sympathiewerte. Die ärmeren Konföderationen fürchteten um die Zuwendungen aus der Zentrale in Zürich. Vor allem aber verwickelte sich Platini bei der WM-Vergabe für Katar und Russland 2010 mit seiner Stimme für Katar in Widersprüche, die sich bis heute nicht auflösen lassen. Und als sich die WM-DoppelVergabe zum Skandal ausweitete und die Fifa mit der Ankündigung eines Reformprogramms reagierte, brauchte es Blatters Segen für Änderungen. 37 von 40 Reformen, die der Strafrechtsprofessor Mark Pieth vorgeschlagen hat, sind unterdessen zumindest institutionell vollzogen. Was fehlt, ist das Alterslimit, die Amtszeitbeschränkung und die Offenlegung der Geldbezüge für Funktionäre. Der Kongress vor der WM in Brasilien hat die Änderungen abgelehnt.
Das wären entscheidende Schritte gewesen, um der Fifa ein glaubwürdigeres Image zu geben. Im Herbst trat der Fifa-Ermittler Michael Garcia zurück, nachdem sein Bericht über unsaubere Machenschaften im Zusammenhang mit Katar und Russland keine Folgen gezeitigt hatte. Der Reformprozess ist auf halbem Weg steckengeblieben. Was sagt Blatter? „Das ist jetzt eine typische Journalisten-Frage: Wir haben den Blatter nicht weggebracht, jetzt ist der ganze Reformprozess kaputt. Das stimmt doch nicht.“Blatter listet eifrig die 37 eingeführten Reformen auf, Wörter wie Compliance, Ethik und Unabhängigkeit purzeln durch die Presidential Lounge.
Man kann fragen, was die Fifa wäre mit einem anderen Mann an der Spitze als mit Blatter. Man kann fragen, ob es den nepalesischen Arbeitern auf den WM-Baustellen in Katar besser ginge. Ob sich mit einem anderen Präsidenten das schlechte Image der Fifa verbessern würde. Ob mit einem neuen Mann auf dem FifaThron mehr Transparenz, Reinlichkeit und Ordnungsliebe einkehren würde im Milliardenkonzern Fifa. Ob weniger bestochen, hinterzogen, gemauschelt, geprotzt würde. Das alles kann man fragen. Die Antworten sind Spekulation. Tatsache ist, dass es diesen anderen Mann an der Spitze zurzeit nicht gibt. Also bleibt nur einer. Der, der schon immer da war. Joseph Blatter.
Er sagt: „Ich bin ein einfacher und gläubiger Mensch. Zu Hause in Visp führt mich mein erster Weg stets ans Familiengrab.“Vor zwei Wochen sei er zuletzt dort gewesen. Er trat mit der toten Mutter in Verbindung. „,Komm zu mir’, hat sie gesagt.“Ihr Sohn antwortete: „Mutter, es geht mir gut, es ist noch nicht so weit.“Blatter ist erheitert, als er das erzählt.
Am Freitag wird er im Hallenstadion aus dem Dunklen ins Licht treten und zu seiner „football-family“sprechen, zu seinen „dear friends“. Blatter, der Ewige.
„Ich glaube an das, was
ich mache. Und ich glaube, dass es richtig ist, gut und richtig für
den Fussball.“