Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Rauchen verliert seinen Reiz
Der Weltnichtrauchertag macht auf die Risiken des Rauchens aufmerksam – Jugendliche verzichten vermehrt auf die Kippe
RAVENSBURG - Marlene Dietrich, Günter Grass und Helmut Schmidt – sie alle haben es getan oder machen es immer noch – rauchen. Der blaue Dunst, der Filmdiven etwas Mystisches verlieh und Politikern etwas Herbes, hat sein Ansehen jedoch eingebüßt. Jeder vierte Deutsche ist Raucher, wie aus dem aktuellen Sucht- und Drogenbericht hervorgeht. Vor 16 Jahren hat noch jeder dritte Bundesbürger Tabak konsumiert. Am Weltnichtrauchertag, der sich am Sonntag, 31. Mai, zum 28. Mal jährt, macht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Risiken des Rauchens aufmerksam. Alleine in Deutschland starben im vergangenen Jahr 110 000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. Das Image der Zigarette bröckelt.
„1967, da hat man einfach geraucht, das gehörte zum Erwachsenwerden dazu“, sagt der 65-jährige Walter Scharhag. Vor elf Wochen wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Kurz darauf wurde ihm bei einer Operation ein Drittel seines rechten Lungenflügels entfernt. Die Diagnose war für Scharhag beson- ders niederschmetternd, da er zuletzt vor 35 Jahren geraucht hatte, außerdem war sein Vater an Lungenkrebs gestorben. „Ich bin da erst einmal in ein schwarzes Loch gefallen und wollte mich sogar umbringen. Ich habe gesehen, wie mein Vater gelitten hat, das Ersticken wollte ich mir ersparen“, sagt der Meckenbeurener. Seine Frau und seine zwei Kinder hätten ihn jedoch wieder aufgebaut.
Vor allem unter jungen Leuten hat das Rauchen mittlerweile jedoch seinen Reiz verloren. Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum erklärt sich den Trendumschwung folgendermaßen: „Die drei Hauptgründe sind die starke Erhöhung der Tabaksteuer vor rund zehn Jahren und das Nichtraucherschutzgesetz. Außerdem sank die öffentliche Akzeptanz nach der großen öffentlichen Debatte zwischen den Jahren 2006 und 2010.“
Vor allem drastische Erhöhungen der Tabaksteuer zeigen bei Jugendlichen ihre Wirkung. Eine Erhöhung des Zigarettenpreises um zehn Prozent senkt laut Deutschem Krebsforschungszentrum den Konsum unter Jugendlichen um bis zu 13 Prozent, weil diese nicht über die finanziellen Mittel von Erwachsenen verfügen.
Dem Trend, dass Rauchen nicht mehr so angesagt ist wie noch vor einigen Jahren, sieht auch Jan Mücke vom Deutschen Zigarettenverband: „Es ist richtig, dass die Menschen gesundheitsbewusster sind, und das klassische Rauchen ist eben mit Gefahren verbunden. Zur Freiheit, zu rauchen, gehört Verantwortung, die nur Erwachsene übernehmen können.“
Und diese treiben dem deutschen Staat beachtliche Summen in den Bundeshaushalt – über 14 Milliarden Euro – so groß waren die Einnahmen aus der Tabaksteuer alleine im vergangenen Jahr. Dem entgegen steht jedoch eine noch größere Zahl – 21 Milliarden Euro volkswirtschaftlicher Schaden pro Jahr – durch Erwerbsunfähigkeit, Frührenten und Todesfälle der Raucher.
Der 64-jährige Harald Anders musste aufgrund einer Chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) in Frührente gehen. In seiner Hochphase hat er 60 bis 80 Zigaretten pro Tag geraucht. Rückblickend sieht er eine Nikotinabhängigkeit: „Ich habe immer geschaut, dass alle Utensilien zum Drehen da sind. Und wenn sie mir ausgegangen wären, hätte ich immer etwas Kleingeld gehabt, um mir Zigaretten zu kaufen. Es ist nicht normal, sich so zu verhalten.“Mit dem Rauchen hat Anders erst nach der Diagnose COPD aufgehört. 2003 machte er eine Akupunkturbehandlung und griff seit dem nie wieder zur Zigarette.
Extrem schwierige Behandlung Thoraxchirurg Robert Scheubel vom Fachklinikum Wangen, wo auch Krebspatient Walter Scharhag behandelt wird, schätzt, dass etwa 60 Prozent der Patienten in dem Fachklinikum eine Rauchervergangenheit haben. Harald Anders war einer seiner Patienten. „Die Behandlung solcher Patienten ist extrem schwierig. COPD ist eine der häufigsten Atemwegserkrankungen in Deutschland“, sagt Scheubel. Dem Chefarzt zufolge steht COPD auf Platz sieben der Todesfälle bei Atemwegserkrankungen.
Bei der Krankheit lösen sich die Wände der Luftbläschen in der Lunge auf, wodurch große Hohlräume entstehen, aus denen die eingeatmete Luft nicht mehr entweichen kann. Um das Aufblähen der Lunge zu verhindern, werden die betroffenen Stellen chirurgisch entfernt oder Ventile in die Lunge eingefügt. Nach den Eingriffen kann es jedoch zu Infektionen kommen.
Harald Anders hat bereits einige Eingriffe und auch Infektionen überstanden, die ihn nachhaltig geschwächt haben. Früher hat Anders leidenschaftlich Berggipfel erklommen, heute ist Treppensteigen ohne Pausen nicht mehr möglich – er ist 24 Stunden am Tag auf Sauerstoffzufuhr angewiesen. „Ich dachte nur, solange ich fit bin und einen Berg hinaufklettern kann, passiert mir nichts“, sagt Anders, während er zwischen den Worten kurze Pausen macht, um Luft zu holen.
Der Gesamtkonsum an Zigaretten werde auch in den kommenden Jahren weiter sinken, meint Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum. „Die Auswirkungen dieser Entwicklung werden allerdings erst in 30 Jahren sichtbar sein, denn es rauchen im mittleren Alter immer noch sehr viele Menschen. Deshalb wird die Sterblichkeitsrate vorerst nicht zurückgehen.“