Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Cameron auf kontinentaler Werbetour
Britischer Premier erklärt in vier europäischen Hauptstädten seine Reformvorhaben
LONDON - Kaum hatte die Königin die erste Regierungserklärung der konservativen Alleinregierung verlesen, packte David Cameron die Koffer. Der frisch gewählte Premierminister will als Handlungsreisender in Sachen EU-Reform bella figura machen. Bis spätestens Ende 2017 werden die Briten über die EU abstimmen, schon spekuliert man in London über ein vorgezogenes Votum im nächsten Jahr. Eile ist also geboten.
Nach Gesprächen mit dem niederländischen Premier Mark Rutte und Frankreichs Präsident François Hollande folgen heute die Besuche bei zwei Frauen, von deren Wohlwollen Camerons Balanceakt und damit Großbritanniens EU-Verbleib noch stärker abhängt: In Warschau wartet die polnische Premierministerin Ewa Kopacz, zuletzt gibt es Mittagessen bei Angela Merkel.
Dass die Reise in Berlin endet, ist keine Überraschung. Die deutsche Kanzlerin ist schließlich die Schlüsselfigur im Ringen um die Zukunft des politischen Europa. Zudem stimmt die Chemie zwischen Merkel und Cameron – trotz einiger politischer Differenzen. Aber er wird die Frage beantworten müssen, wie ernst es ihm mit den bisher nur vage bekannten Reformvorhaben ist.
Traum von Souveränität Das klare Mandat der Wählerschaft hat Cameron Handlungsspielraum verliehen. Heimische Zwänge bleiben aber bestehen. Auf den Hinterbänken seiner Fraktion und selbst im Kabinett sitzen unversöhnliche EUFeinde wie Sozialminister Iain Duncan Smith oder der frühere Umweltminister Owen Paterson. Zudem träumen viele konservative Wähler von der Souveränität eines Nationalstaates wie im 19. Jahrhundert. Dagegen drängen Wirtschaft, Gewerkschaften, die Finanzbranche und nicht zuletzt die störrischen Schotten auf einen Verbleib in der EU.
Zu den umfassenden EU-Reformen, die London anstrebt, gehört ein vertraglich abgesicherter gleichberechtiger Zugang zum Binnenmarkt für jene Staaten, die wie das Königreich dauerhaft außerhalb der Eurozone verbleiben wollen. London will zudem Sozialleistungen für Bürger anderer EU-Staaten einschränken und so den Zustrom von Arbeitssuchenden vom Kontinent drosseln.
Dagegen hat Warschau bereits öffentlich protestiert. Für Berlin wird es vor allem um die Klärung der Frage gehen, ob der Brite wirklich auf der Änderung europäischer Verträge besteht oder sich, wie Dänemark 1992 im Streit um die Währungsunion, mit einer verbindlichen Erklärung der 27 Partner zufriedengibt. In jedem Fall dürften die Partner darauf drängen, die Volksabstimmung bereits im kommenden Jahr durchzuführen. Derzeit nämlich sehen die Meinungsumfragen günstig aus für jene, die wie Cameron für den Verbleib in einer reformierten EU plädieren. Zudem müssen sich 2017 sowohl Hollande wie Merkel der Wiederwahl stellen. Viel Energie für britische Anliegen würden sie in dieser Phase kaum erübrigen. In London wird bereits um die Frage zur EU-Abstimmung gestritten. Premier Cameron will den Verbleib in einer reformierten EU empfehlen. Die Frage muss also so gestellt sein, dass ein Ja dieser Option gleichkommt. Im Gespräch war zunächst: „ Soll Großbritannien Mitglied der EU sein?“Dagegen erhob die Wahlkommission Einwände. Man dürfe nicht voraussetzen, dass die mittlerweile 42- jährige Mitgliedschaft der Insel allgemein bekannt sei. Die Wissenschaftler schlugen deshalb vor: „ Soll Großbritannien Mitglied der EU bleiben?“Damit hätten die EU- Befürworter gleich zwei psychologische Vorteile. Studien zufolge sagt die Mehrheit lieber Ja als Nein und befürwortet außerdem lieber den Status quo. Streit gibt es auch um das Mindestalter der Wähler und um ein Wahlrecht für Einwohner mit anderen EU- Pässen. ( sbo)