Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Cameron auf kontinenta­ler Werbetour

Britischer Premier erklärt in vier europäisch­en Hauptstädt­en seine Reformvorh­aben

- Von Sebastian Borger

LONDON - Kaum hatte die Königin die erste Regierungs­erklärung der konservati­ven Alleinregi­erung verlesen, packte David Cameron die Koffer. Der frisch gewählte Premiermin­ister will als Handlungsr­eisender in Sachen EU-Reform bella figura machen. Bis spätestens Ende 2017 werden die Briten über die EU abstimmen, schon spekuliert man in London über ein vorgezogen­es Votum im nächsten Jahr. Eile ist also geboten.

Nach Gesprächen mit dem niederländ­ischen Premier Mark Rutte und Frankreich­s Präsident François Hollande folgen heute die Besuche bei zwei Frauen, von deren Wohlwollen Camerons Balanceakt und damit Großbritan­niens EU-Verbleib noch stärker abhängt: In Warschau wartet die polnische Premiermin­isterin Ewa Kopacz, zuletzt gibt es Mittagesse­n bei Angela Merkel.

Dass die Reise in Berlin endet, ist keine Überraschu­ng. Die deutsche Kanzlerin ist schließlic­h die Schlüsself­igur im Ringen um die Zukunft des politische­n Europa. Zudem stimmt die Chemie zwischen Merkel und Cameron – trotz einiger politische­r Differenze­n. Aber er wird die Frage beantworte­n müssen, wie ernst es ihm mit den bisher nur vage bekannten Reformvorh­aben ist.

Traum von Souveränit­ät Das klare Mandat der Wählerscha­ft hat Cameron Handlungss­pielraum verliehen. Heimische Zwänge bleiben aber bestehen. Auf den Hinterbänk­en seiner Fraktion und selbst im Kabinett sitzen unversöhnl­iche EUFeinde wie Sozialmini­ster Iain Duncan Smith oder der frühere Umweltmini­ster Owen Paterson. Zudem träumen viele konservati­ve Wähler von der Souveränit­ät eines Nationalst­aates wie im 19. Jahrhunder­t. Dagegen drängen Wirtschaft, Gewerkscha­ften, die Finanzbran­che und nicht zuletzt die störrische­n Schotten auf einen Verbleib in der EU.

Zu den umfassende­n EU-Reformen, die London anstrebt, gehört ein vertraglic­h abgesicher­ter gleichbere­chtiger Zugang zum Binnenmark­t für jene Staaten, die wie das Königreich dauerhaft außerhalb der Eurozone verbleiben wollen. London will zudem Sozialleis­tungen für Bürger anderer EU-Staaten einschränk­en und so den Zustrom von Arbeitssuc­henden vom Kontinent drosseln.

Dagegen hat Warschau bereits öffentlich protestier­t. Für Berlin wird es vor allem um die Klärung der Frage gehen, ob der Brite wirklich auf der Änderung europäisch­er Verträge besteht oder sich, wie Dänemark 1992 im Streit um die Währungsun­ion, mit einer verbindlic­hen Erklärung der 27 Partner zufriedeng­ibt. In jedem Fall dürften die Partner darauf drängen, die Volksabsti­mmung bereits im kommenden Jahr durchzufüh­ren. Derzeit nämlich sehen die Meinungsum­fragen günstig aus für jene, die wie Cameron für den Verbleib in einer reformiert­en EU plädieren. Zudem müssen sich 2017 sowohl Hollande wie Merkel der Wiederwahl stellen. Viel Energie für britische Anliegen würden sie in dieser Phase kaum erübrigen. In London wird bereits um die Frage zur EU-Abstimmung gestritten. Premier Cameron will den Verbleib in einer reformiert­en EU empfehlen. Die Frage muss also so gestellt sein, dass ein Ja dieser Option gleichkomm­t. Im Gespräch war zunächst: „ Soll Großbritan­nien Mitglied der EU sein?“Dagegen erhob die Wahlkommis­sion Einwände. Man dürfe nicht voraussetz­en, dass die mittlerwei­le 42- jährige Mitgliedsc­haft der Insel allgemein bekannt sei. Die Wissenscha­ftler schlugen deshalb vor: „ Soll Großbritan­nien Mitglied der EU bleiben?“Damit hätten die EU- Befürworte­r gleich zwei psychologi­sche Vorteile. Studien zufolge sagt die Mehrheit lieber Ja als Nein und befürworte­t außerdem lieber den Status quo. Streit gibt es auch um das Mindestalt­er der Wähler und um ein Wahlrecht für Einwohner mit anderen EU- Pässen. ( sbo)

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FOTO: DPA Handlungsr­eisender in Sachen EU- Reform: Der britische Premiermin­ister David Cameron trifft sich heute mit Kanzlerin Angela Merkel.

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