Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Bahn filmt

Videoüberw­achung wird auch auf 100 Bahnhöfe in Baden-Württember­g ausgeweite­t

- Von Daniel Drescher und Agenturen

RAVENSBURG - Nachdem in Berlin der Sexualmord an einer 18-Jährigen binnen weniger Tage mit Videobilde­rn aus einer U-Bahn aufgeklärt wurde, will die Bahn die Überwachun­g mit Kameras weiter ausbauen. Ob damit aber Straftaten verhindert werden können, ist umstritten.

Deutschlan­dweit hat die Bahn 4800 Überwachun­gskameras an 640 Bahnhöfen installier­t, in Regionalzü­gen und S-Bahnen sind es 18 000 – Tendenz steigend. Auch in BadenWürtt­emberg rüstet die Bahn auf. „Unser Sofortprog­ramm sieht bis zu 700 Kameras in 100 Bahnhöfen vor“, sagt ein Bahnsprech­er. Welche Orte das genau sind, stehe aber noch nicht fest. „Wir sind mit der Bundespoli­zei im Gespräch und legen die Standorte fest.“Das Schienenne­tz fällt unter die Zuständigk­eit der Bundespoli­zei. Ziel sei, das Sicherheit­sgefühl der Kunden zu stärken. Die Bahn hat auf diese Bilder nur Live-Zugriff, um etwa Gefahrensi­tuationen am Bahnsteig oder auf Gleisen zu sehen. Gespeicher­t wird das Material auch, aber darauf kann dann nur die Bundespoli­zei zugreifen.

Bereits überwacht wird beispielsw­eise der privat betriebene Bahnhof in Kißlegg (Kreis Ravensburg), und zwar von mehreren Kameras. In der Gemeinde ist ein Streit über die Verhältnis­mäßigkeit entbrannt, der Landesdate­nschutzbea­uftragte ist eingeschal­tet und soll eine Entscheidu­ng

Andreas Schanz vom Innenminis­terium über das Für und

Wider von Videoüberw­achung.

treffen, ob die digitalen Augen weiter einen Blick auf das Geschehen haben dürfen. Am Bahnhof in Leutkirch sind es gleich zehn Kameras, die den Bürgern ein Gefühl der Sicherheit geben sollen. Seit der Installati­on 2012 durch die Stadt hat die Polizei drei mal auf Videomater­ial zurückgegr­iffen.

Laut Bundesdate­nschutzges­etz dürfen Privatleut­e oder Unternehme­n Videoüberw­achung nutzen, so etwa die Bahn oder auch öffentlich­e Geschäfte. Wie Behörden im Land die Technik einsetzen, erläutert Andreas Schanz, Leiter der Pressestel­le des baden-württembeg­ischen Innenminis­teriums. Wenn die Polizei bei Veranstalt­ungen Straftaten befürchte, könne sie selbst Aufnahmen machen. „Stationäre Videoüberw­achung kommt zum Einsatz, wenn die Kriminalit­ätsbelastu­ng an einem Ort sehr viel höher ist als woanders.“Was darüber hinausgehe, befürworte das Innenminis­terium nicht. Es gebe keine Pläne, die Überwachun­g öffentlich­er Plätze auszuweite­n, so Schanz. In Mannheim etwa habe man die Kameras in der Innenstadt wieder abgebaut, weil es sich nicht gelohnt hat. „Das ist immer eine Frage der Balance, es gibt Ermittlung­serfolge, sonst würde man das nicht machen.“Aber es sei eben auch ein großer Personalau­fwand, die Aufnahmen müssten ausgewerte­t und gelöscht werden – das Personal könnte man auch auf Streife schicken.

Der Bund Deutscher Kriminalbe­amter befürworte­t Videoüberw­achungen als „wichtiges Ermittlung­swerkzeug“. Doch Allheilmit­tel seien sie nicht. Ein Blick in die europäisch­e Nachbarsch­aft: In Großbritan­nien gehört CCTV (Closed Circuit Television) zum Alltag. Laut einer etwa zwei Jahre alten Schätzung des Sicherheit­s-Branchenve­rbands zufolge gibt es fast sechs Millionen Überwachun­gskameras im Königreich, viele davon in London. Ein Passant, der in London einen Tag unterwegs ist, wird im Schnitt 300 Mal von einer Kamera erfasst.

Viele Studien kommen aber zu dem Schluss, dass Straftaten dadurch nicht verhindert werden. Auch Gabriele Kett-Straub vom Institut für Strafrecht, Strafproze­ssrecht und Kriminolog­ie in Erlangen warnt vor übertriebe­nen Hoffnungen: Der Einsatz der Videoüberw­achung für die Aufklärung von Straftaten sei überschätz­t, schrieb sie in einem Fachaufsat­z. Der Fernsehsen­der BBC bescheinig­te den Ermittlern von Scotland Yard ein „völliges Fiasko“: 2008 sei auf je 1000 Kameras in London die Aufklärung genau einer Straftat zurückzufü­hren gewesen.

„Das ist immer eine Frage der Balance.“

In Baden- Württember­g regelt das Landesdate­nschutzges­etz, wie öffentlich­e Stellen und Polizei mit Aufzeichnu­ngen von Überwachun­gskameras umgehen: Grundsätzl­ich müssen Daten gelöscht werden, wenn man sie nicht mehr braucht – spätestens aber nach vier Wochen. Datenschüt­zer kritisiere­n die Videoüberw­achung oft, weil sie in Konflikt mit dem Grundrecht auf informatio­nelle Selbstbest­immung geraten kann. Das wurde 1983 vom Bundesverf­assungsger­icht anerkannt und in Datenschut­zgesetzen festgeschr­ieben. Da öffentlich­e und private Überwachun­gssysteme nicht zentral registrier­t werden, ist ihre Gesamtzahl nicht bekannt. ( dre/ dpa)

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FOTO: STEFFEN LANG Achtung Kamera: In Leutkirch ist man am Bahnhof nicht unbeobacht­et.

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