Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Bahn filmt
Videoüberwachung wird auch auf 100 Bahnhöfe in Baden-Württemberg ausgeweitet
RAVENSBURG - Nachdem in Berlin der Sexualmord an einer 18-Jährigen binnen weniger Tage mit Videobildern aus einer U-Bahn aufgeklärt wurde, will die Bahn die Überwachung mit Kameras weiter ausbauen. Ob damit aber Straftaten verhindert werden können, ist umstritten.
Deutschlandweit hat die Bahn 4800 Überwachungskameras an 640 Bahnhöfen installiert, in Regionalzügen und S-Bahnen sind es 18 000 – Tendenz steigend. Auch in BadenWürttemberg rüstet die Bahn auf. „Unser Sofortprogramm sieht bis zu 700 Kameras in 100 Bahnhöfen vor“, sagt ein Bahnsprecher. Welche Orte das genau sind, stehe aber noch nicht fest. „Wir sind mit der Bundespolizei im Gespräch und legen die Standorte fest.“Das Schienennetz fällt unter die Zuständigkeit der Bundespolizei. Ziel sei, das Sicherheitsgefühl der Kunden zu stärken. Die Bahn hat auf diese Bilder nur Live-Zugriff, um etwa Gefahrensituationen am Bahnsteig oder auf Gleisen zu sehen. Gespeichert wird das Material auch, aber darauf kann dann nur die Bundespolizei zugreifen.
Bereits überwacht wird beispielsweise der privat betriebene Bahnhof in Kißlegg (Kreis Ravensburg), und zwar von mehreren Kameras. In der Gemeinde ist ein Streit über die Verhältnismäßigkeit entbrannt, der Landesdatenschutzbeauftragte ist eingeschaltet und soll eine Entscheidung
Andreas Schanz vom Innenministerium über das Für und
Wider von Videoüberwachung.
treffen, ob die digitalen Augen weiter einen Blick auf das Geschehen haben dürfen. Am Bahnhof in Leutkirch sind es gleich zehn Kameras, die den Bürgern ein Gefühl der Sicherheit geben sollen. Seit der Installation 2012 durch die Stadt hat die Polizei drei mal auf Videomaterial zurückgegriffen.
Laut Bundesdatenschutzgesetz dürfen Privatleute oder Unternehmen Videoüberwachung nutzen, so etwa die Bahn oder auch öffentliche Geschäfte. Wie Behörden im Land die Technik einsetzen, erläutert Andreas Schanz, Leiter der Pressestelle des baden-württembegischen Innenministeriums. Wenn die Polizei bei Veranstaltungen Straftaten befürchte, könne sie selbst Aufnahmen machen. „Stationäre Videoüberwachung kommt zum Einsatz, wenn die Kriminalitätsbelastung an einem Ort sehr viel höher ist als woanders.“Was darüber hinausgehe, befürworte das Innenministerium nicht. Es gebe keine Pläne, die Überwachung öffentlicher Plätze auszuweiten, so Schanz. In Mannheim etwa habe man die Kameras in der Innenstadt wieder abgebaut, weil es sich nicht gelohnt hat. „Das ist immer eine Frage der Balance, es gibt Ermittlungserfolge, sonst würde man das nicht machen.“Aber es sei eben auch ein großer Personalaufwand, die Aufnahmen müssten ausgewertet und gelöscht werden – das Personal könnte man auch auf Streife schicken.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter befürwortet Videoüberwachungen als „wichtiges Ermittlungswerkzeug“. Doch Allheilmittel seien sie nicht. Ein Blick in die europäische Nachbarschaft: In Großbritannien gehört CCTV (Closed Circuit Television) zum Alltag. Laut einer etwa zwei Jahre alten Schätzung des Sicherheits-Branchenverbands zufolge gibt es fast sechs Millionen Überwachungskameras im Königreich, viele davon in London. Ein Passant, der in London einen Tag unterwegs ist, wird im Schnitt 300 Mal von einer Kamera erfasst.
Viele Studien kommen aber zu dem Schluss, dass Straftaten dadurch nicht verhindert werden. Auch Gabriele Kett-Straub vom Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie in Erlangen warnt vor übertriebenen Hoffnungen: Der Einsatz der Videoüberwachung für die Aufklärung von Straftaten sei überschätzt, schrieb sie in einem Fachaufsatz. Der Fernsehsender BBC bescheinigte den Ermittlern von Scotland Yard ein „völliges Fiasko“: 2008 sei auf je 1000 Kameras in London die Aufklärung genau einer Straftat zurückzuführen gewesen.
„Das ist immer eine Frage der Balance.“
In Baden- Württemberg regelt das Landesdatenschutzgesetz, wie öffentliche Stellen und Polizei mit Aufzeichnungen von Überwachungskameras umgehen: Grundsätzlich müssen Daten gelöscht werden, wenn man sie nicht mehr braucht – spätestens aber nach vier Wochen. Datenschützer kritisieren die Videoüberwachung oft, weil sie in Konflikt mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geraten kann. Das wurde 1983 vom Bundesverfassungsgericht anerkannt und in Datenschutzgesetzen festgeschrieben. Da öffentliche und private Überwachungssysteme nicht zentral registriert werden, ist ihre Gesamtzahl nicht bekannt. ( dre/ dpa)