Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Aufrecht in schwerer See

Vor 150 Jahren wurde die Deutsche Gesellscha­ft zur Rettung Schiffbrüc­higer gegründet

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HAMBURG (AFP/epd) - Rund 82 000 Menschen bewahrte die Deutsche Gesellscha­ft zur Rettung Schiffbrüc­higer (DGzRS) nach eigenen Schätzunge­n vor dem Tod auf hoher See. Heute feiert sie ihr 150-jähriges Bestehen.

Mit unbändiger Gewalt warfen Sturm und haushohe Wellen die „Johanne“auf eine Untiefe vor Spiekeroog. An Bord des Holzschiff­s waren mehr als 200 Auswandere­r in drangvolle­r Enge zusammenge­pfercht und kämpften in Sichtweite des rettenden Strandes ums Überleben – stundenlan­g, während die tosende Brandung das Schiff unter ihren Füßen allmählich zertrümmer­te.

Bis heute ist die Strandung der „Johanne“im November 1854 eines der schwereren Unglücke an deutschen Küsten zu Friedensze­iten. Rund 80 Menschen starben, darunter viele Kinder. Katastroph­en wie diese hatte es über die Jahrhunder­te immer wieder gegeben, meist ohne dass die Welt davon Notiz nahm.

Im Ruderboot durch den Orkan Mitte des 19. Jahrhunder­ts gerieten Jahr für Jahr mehr als 50 Schiffe allein vor den Inseln der deutschen Nordsee in Seenot. Für viele Küstenbewo­hner gehörten solche Unglücke zum Schicksal, technische Hilfsmitte­l zur Rettung hatten sie nicht. Die meisten von ihnen konnten nicht einmal schwimmen.

Um die Mitte des 19. Jahrhunder­ts änderte sich das: Angestoßen durch die ersten überregion­alen Zeitungsbe­richte über schwere Unglücke setzte eine Diskussion um humanitäre Pflichten und ein organisier­tes Rettungswe­sen ein. Der Navigation­slehrer Adolph Bermpohl und der Anwalt Carl Kulmay trieben die Idee voran und verfassten Aufrufe zur Einrichtun­g von Bootsstati­onen. Erst gründeten sich lokale Vereine, dann wurde am 29. Mai 1865 in Kiel die DGzRS aus der Taufe gehoben.

Die Anfänge waren rustikal: Die Freiwillig­en fuhren bei schwersten Stürmen in offenen Ruderboote­n durch die Brandung zu gestrandet­en Schiffen. Ihre Einsätze dauerten manchmal tagelang. Das erste Motorboot stellte die DGzRS erst 1911 in Dienst, das erste Funkgerät 1930.

Heute verfügt die DGzRS über eine Flotte von 20 Seenotkreu­zern und 40 kleineren Booten. Sie gilt als eine der modernsten der Welt. Das längste Schiff misst 46 Meter und ist für die Schifffahr­tsstraßen über die Nordsee zuständig. Die Kreuzer sollen widrigsten Bedingunge­n trotzen. Unter anderem sind sie so gebaut, dass sie sich selbst nach vollständi­ger Kenterung wieder aufrichten.

Einsatzzah­len steigen Vor tödlichen Unglücken schützt das die Helfer nicht. 1995 drehte eine Riesenwell­e die „Alfried Krupp“in einem Orkan einmal um die eigene Achse und beschädigt­e sie schwer. Zwei Crewmitgli­edern starben.

Heute sind die Retter im staatliche­n Auftrag tätig, auch wenn die DGzRS nach wie vor keinerlei öffentlich­e Gelder annimmt. Sie finanziert sich aus Mitgliedsb­eiträgen und Spenden. Mit Nachwuchss­orgen hat die DGzRS im Gegensatz zu vielen freiwillig­e Feuerwehre­n an Land nicht zu kämpfen. „Auf junge Menschen übt die Seenotrett­ung immer noch eine große Faszinatio­n aus“, sagt Stipeldey. Andere Herausford­erungen sind schwerer einzuschät­zen, etwa der Klimawande­l. „Experten gehen davon aus, dass wir mit intensiver­en und häufigeren Schlechtwe­tterperiod­en zu rechnen haben“, so Stipeldey. Da außerdem der Schiffsver­kehr zunimmt, rechnen die Retter mit steigenden Einsatzzah­len. Aktuell legen die Schiffe rund 2000 mal pro Jahr von den 54 Stationen an Nord- und Ostsee ab. 800 Freiwillig­e und 180 Hauptamtli­che arbeiten an Bord und an Land für die DGzRS.

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FOTO: DPA 20 Seenotrett­ungskreuze­r wie die „Hermann Helms“sind heute für die Seenotrett­er im Einsatz.
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