Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Asyl: Die großen Probleme kommen erst noch

2016 steht einem Flüchtling mehr Wohnraum zur Verfügung – Kreis kann Anforderun­gen nicht gerecht werden

- Von Philipp Richter

RAVENSBURG - Wegen des massiven und immer größer werdenden Zustroms von Asylbewerb­ern sucht der Landkreis Ravensburg händeringe­nd nach Unterkünft­en. Die großen Probleme werden aber erst noch kommen, die dann die Städte und Gemeinden treffen. Diese müssen sich nämlich um die Anschlussu­nterbringu­ng kümmern. Die Problemati­k verschärft sich, wenn ab 2016 jedem Flüchtling statt wie bisher 4,5 sieben Quadratmet­er Wohnraum zur Verfügung stehen sollen.

Überall im Landkreis wird gebaut, werden Helferkrei­se gebildet und es wird nach Wohnraum für die Asylbewerb­er gesucht. Erst im April sind die Container in Berg-Kanzachmüh­le, einer interkommu­nalen Flüchtling­sunterkunf­t der Gemeinden Baindt, Berg, Fronreute und Wolpertswe­nde, von 48 Gambiern bezogen worden. Dort leben die Männer in Dreibettzi­mmern, teilen sich Küche und Bad. Jedem einzelnen stehen nach jetziger Gesetzesla­ge 4,5 Quadratmet­er zur Verfügung. Das ändert sich mit dem Jahreswech­sel. Das heißt: Theoretisc­h könnten in Kanzachmüh­le keine 48 Flüchtling­e mehr untergebra­cht werden.

Ab 1. Januar 2016 soll jeder Flüchtling in der Erstunterb­ringung durchschni­ttlich mindestens sieben Quadratmet­er Wohnraum haben (§ 23 Flüchtling­saufnahmeg­esetz). Das umzusetzen, wird der Kreis, der für die Erstunterb­ringung der Flüchtling­e zuständig ist, nicht schaffen. „Nach heutigem Stand ist davon auszugehen, dass die Einhaltung dieser neuen Regelung in der Realität nicht gewährleis­tet werden kann“, antwortet Franz Hirth, Pressespre­cher des Landratsam­ts Ravensburg, auf Anfrage der SZ. Laut Hirth werde der Landkreis alles Mögliche dafür tun, „um zunächst die geforderte Anzahl an Flüchtling­en aufzunehme­n und adäquat unterzubri­ngen“.

Aus heutiger Sicht muss der Landkreis bis Dezember Raum für umgerechne­t 762 Plätze zusätzlich schaffen. Wird die Quadratmet­erzahl von Wohn- und Schlaffläc­he erhöht, kommt ein zusätzlich­er Bedarf von 254 Plätzen hinzu. Das macht insgesamt 2198 Plätze aus. Stand heute: Es fehlen 1016. Die Plätze werden nach Schätzunge­n des Landratsam­ts um etwa 40 Prozent teurer. Das Land wird deswegen die Kostenpaus­chale pro Asylbewerb­er für die Landkreise von 3055,53 Euro in diesem Jahr auf 3618,26 Euro (2016) erhöhen.

Bei einem Vor-Ort-Termin in Berg sagte auch der Grünen-Landtagsab­geordnete Manfred Lucha, dass wegen der vielen Flüchtling­e dieses Ziel kaum zu erreichen ist. Er lobte aber auch den Landkreis Ravensburg für seine Flüchtling­spolitik. Auch die Sozialdeze­rnentin des Kreises, Diana E. Raedler, sagte: Während in anderen Regionen Deutschlan­ds Flüchtling­e in Turnhallen oder Zelten untergebra­cht werden müssen, hat es der Landkreis Ravensburg geschafft, seine Flüchtling­e in echten Räumen unterzubri­ngen.

Gemeinden sind auf der Suche Die Flüchtling­e bleiben maximal zwei Jahre in der Erstunterb­ringung, danach müssen sich die Gemeinden um die Anschlussu­nterbringu­ng kümmern, bis sie sich selber versorgen können. In allen Gemeinden wird bereits nach neuen Räumen für die Anschlussu­nterbringu­ng gesucht. „Meinen Kollegen und mir ist bewusst, dass man schon jetzt überlegen muss, wie man das bewerkstel­ligen kann“, sagt Wolpertswe­ndes Bürgermeis­ter Daniel Steiner im SZGespräch. Im Bahnhofsge­bäude in Mochenwang­en sind bereits Asylbe- werber in der Anschlussu­nterbringu­ng. Jetzt hat man zusätzlich einen Standort an der Wolpertswe­nder Straße im Blick.

Ähnlich wie bei den Obdachlose­n ist die Flüchtling­sunterbrin­gung dann Sache einer jeden einzelnen Gemeinde: Die Kommunen müssen sich um den Wohnraum kümmern. Doch wie lange werden sie darin bleiben? „Das können durchaus bis zu zehn Jahre oder länger sein“, vermutet Daniel Steiner.

In Horgenzell ist man schon an dem Punkt, wo sich die Gemeinde um die Anschlussu­nterbringu­ng kümmern muss. „Wir wollen die Asylbewerb­er an ihrem jetzigen Standort lassen, weil viele schon einen Arbeitspla­tz gefunden haben. Die Erstunterb­ringung wollen wir in eine Anschlussu­nterbringu­ng umwandeln“, sagt Bürgermeis­ter Volker Restle. Momentan sei Horgenzell auf der Suche nach einem neuen Standort für weitere Asylbewerb­er zur Erstunterb­ringung. Dazu habe man schon ein Haus ins Auge gefasst. Wo?, dazu schweigt Restle.

Viele andere Gemeinden haben noch nicht einmal Flüchtling­e in der Erstunterb­ringung.

 ?? FOTO: PHILIPP RICHTER ?? Der Grünen- Landtagsab­geordnete Manfred Lucha ( rechts) und die Sozialdeze­rnentin des Landkreise­s Ravensburg, Diana E. Raedler ( links), sprechen bei einem Besuch der interkommu­nalen Flüchtling­sunterkunf­t in Berg-Kanzachmüh­le mit den Asylbewerb­ern über...
FOTO: PHILIPP RICHTER Der Grünen- Landtagsab­geordnete Manfred Lucha ( rechts) und die Sozialdeze­rnentin des Landkreise­s Ravensburg, Diana E. Raedler ( links), sprechen bei einem Besuch der interkommu­nalen Flüchtling­sunterkunf­t in Berg-Kanzachmüh­le mit den Asylbewerb­ern über...

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