Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Asyl: Die großen Probleme kommen erst noch
2016 steht einem Flüchtling mehr Wohnraum zur Verfügung – Kreis kann Anforderungen nicht gerecht werden
RAVENSBURG - Wegen des massiven und immer größer werdenden Zustroms von Asylbewerbern sucht der Landkreis Ravensburg händeringend nach Unterkünften. Die großen Probleme werden aber erst noch kommen, die dann die Städte und Gemeinden treffen. Diese müssen sich nämlich um die Anschlussunterbringung kümmern. Die Problematik verschärft sich, wenn ab 2016 jedem Flüchtling statt wie bisher 4,5 sieben Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stehen sollen.
Überall im Landkreis wird gebaut, werden Helferkreise gebildet und es wird nach Wohnraum für die Asylbewerber gesucht. Erst im April sind die Container in Berg-Kanzachmühle, einer interkommunalen Flüchtlingsunterkunft der Gemeinden Baindt, Berg, Fronreute und Wolpertswende, von 48 Gambiern bezogen worden. Dort leben die Männer in Dreibettzimmern, teilen sich Küche und Bad. Jedem einzelnen stehen nach jetziger Gesetzeslage 4,5 Quadratmeter zur Verfügung. Das ändert sich mit dem Jahreswechsel. Das heißt: Theoretisch könnten in Kanzachmühle keine 48 Flüchtlinge mehr untergebracht werden.
Ab 1. Januar 2016 soll jeder Flüchtling in der Erstunterbringung durchschnittlich mindestens sieben Quadratmeter Wohnraum haben (§ 23 Flüchtlingsaufnahmegesetz). Das umzusetzen, wird der Kreis, der für die Erstunterbringung der Flüchtlinge zuständig ist, nicht schaffen. „Nach heutigem Stand ist davon auszugehen, dass die Einhaltung dieser neuen Regelung in der Realität nicht gewährleistet werden kann“, antwortet Franz Hirth, Pressesprecher des Landratsamts Ravensburg, auf Anfrage der SZ. Laut Hirth werde der Landkreis alles Mögliche dafür tun, „um zunächst die geforderte Anzahl an Flüchtlingen aufzunehmen und adäquat unterzubringen“.
Aus heutiger Sicht muss der Landkreis bis Dezember Raum für umgerechnet 762 Plätze zusätzlich schaffen. Wird die Quadratmeterzahl von Wohn- und Schlaffläche erhöht, kommt ein zusätzlicher Bedarf von 254 Plätzen hinzu. Das macht insgesamt 2198 Plätze aus. Stand heute: Es fehlen 1016. Die Plätze werden nach Schätzungen des Landratsamts um etwa 40 Prozent teurer. Das Land wird deswegen die Kostenpauschale pro Asylbewerber für die Landkreise von 3055,53 Euro in diesem Jahr auf 3618,26 Euro (2016) erhöhen.
Bei einem Vor-Ort-Termin in Berg sagte auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Manfred Lucha, dass wegen der vielen Flüchtlinge dieses Ziel kaum zu erreichen ist. Er lobte aber auch den Landkreis Ravensburg für seine Flüchtlingspolitik. Auch die Sozialdezernentin des Kreises, Diana E. Raedler, sagte: Während in anderen Regionen Deutschlands Flüchtlinge in Turnhallen oder Zelten untergebracht werden müssen, hat es der Landkreis Ravensburg geschafft, seine Flüchtlinge in echten Räumen unterzubringen.
Gemeinden sind auf der Suche Die Flüchtlinge bleiben maximal zwei Jahre in der Erstunterbringung, danach müssen sich die Gemeinden um die Anschlussunterbringung kümmern, bis sie sich selber versorgen können. In allen Gemeinden wird bereits nach neuen Räumen für die Anschlussunterbringung gesucht. „Meinen Kollegen und mir ist bewusst, dass man schon jetzt überlegen muss, wie man das bewerkstelligen kann“, sagt Wolpertswendes Bürgermeister Daniel Steiner im SZGespräch. Im Bahnhofsgebäude in Mochenwangen sind bereits Asylbe- werber in der Anschlussunterbringung. Jetzt hat man zusätzlich einen Standort an der Wolpertswender Straße im Blick.
Ähnlich wie bei den Obdachlosen ist die Flüchtlingsunterbringung dann Sache einer jeden einzelnen Gemeinde: Die Kommunen müssen sich um den Wohnraum kümmern. Doch wie lange werden sie darin bleiben? „Das können durchaus bis zu zehn Jahre oder länger sein“, vermutet Daniel Steiner.
In Horgenzell ist man schon an dem Punkt, wo sich die Gemeinde um die Anschlussunterbringung kümmern muss. „Wir wollen die Asylbewerber an ihrem jetzigen Standort lassen, weil viele schon einen Arbeitsplatz gefunden haben. Die Erstunterbringung wollen wir in eine Anschlussunterbringung umwandeln“, sagt Bürgermeister Volker Restle. Momentan sei Horgenzell auf der Suche nach einem neuen Standort für weitere Asylbewerber zur Erstunterbringung. Dazu habe man schon ein Haus ins Auge gefasst. Wo?, dazu schweigt Restle.
Viele andere Gemeinden haben noch nicht einmal Flüchtlinge in der Erstunterbringung.