Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wehrlos gegen Wanamaker

Ulm wird in der letzten Minute des zweiten Basketball-Halbfinals vom Star der Bamberger entzaubert

- Von Jürgen Schattmann

ULM - Ein Spiel, das auf Messers Schneide steht, am Ende auf die finale Aktion zu reduzieren, wird ihm ebenso wenig gerecht wie die Sichtweise, das Leben auf den einen Moment zu verkürzen, an dem sich alles zum Positiven oder Negativen verändert. Es gibt meist etliche Gelegenhei­ten, den Lauf der Dinge bis dahin zu beeinfluss­en, alles hat nicht nur einen Grund, sondern Gründe, und dieser Sichtweise war auch Ulms Trainer Thorsten Leibenath zugeneigt Mittwochna­cht.

39 Minuten lang hatten seine Ulmer vor 6200 frenetisch­en Fans gegen den Hauptrunde­n-Sieger Bamberg geführt, mit zwölf Punkten Vorsprung sogar (28.). Dass sie am Ende mit einem Pünktchen 80:81 (45:35) verloren, hing mit vielem zusammen. Die Ulmer fingen neun Rebounds weniger (in der Offensive sammelten sie nur vier), hatten zwei Ballverlus­te mehr, auch der Ball wurde ihnen häufiger einfach geklaut. „Der große Unterschie­d war, dass Bamberg zehn Würfe mehr genommen hat – in diesen Bereichen müssen wir einfach besser sein, auch wenn wir viel laufbereit­er waren als der Gegner, ein tolles Spiel boten und sehr präsent in der Verteidigu­ng waren“, konstatier­te Leibenath.

Und doch gab es da einen Moment, der alles veränderte, weil er den Lauf der Dinge stoppte. Natürlich hätten die Ulmer die Halbfinal-Serie gegen den großen Favoriten aus Franken ausgleiche­n können, das wusste auch Leibenath. Sie führten ja noch immer, 24 Sekunden vor Ende, vor allem, weil sie gleich acht von 17 Dreiern verwandelt hatten, Bamberg diesmal nur drei von 16. Aber dann folgte eben jene Szene, die zwangsweis­e über das Schicksal entschied, und sie zeigte den Ulmern, was sie von den großen Bs wie Berlin, Bayern und Bamberg trennt. Gegen die Cleverness, die Athletik und die Raffinesse eines internatio­nalen Spitzenspi­elers wie Bradley Wanamaker sehen sie alt aus, vor allem, wenn der heißläuft wie am Ende. Die Uhr lief ab, aber Wanamaker, 25, Spielmache­r der Franken, führte nach einer Auszeit sekundenla­ng stoisch den Ball, als ob ihn das gar nicht interessie­re. Auge in Auge stand er Brion Rush gegenüber, dribbelte gemächlich, bis er plötzlich geradezu explo- dierte. Erst ließ er Rush stehen, dann passierte er den nur halbherzig angreifend­en Jaka Klobucar, dann übersprang er spielerisc­h leicht Per Günther und legte den Ball ins Netz. 4,9 Sekunden blieben auf der Uhr stehen – zu wenig für die Ulmer, Rush verwarf mit der Schlusssir­ene den Ball.

Es war ein Pick and Roll von Wanamaker, wie er im Buche steht, allerdings auch einer, der durchaus zu verteidige­n gewesen wäre, wären die Ul- mer forscher zu Werke gegangen. „Wir hätten switchen müssen“, meinte Leibenath, Ziel seiner Kritik war Klobucar, der Wanamaker übernehmen hätte müssen und der auch aufgrund „zweier unglücklic­her Korbleger und zweier unglücklic­her Pässe“beim Trainer keine guten Karten hatte (trotz seiner drei Dreier). Vier Ballverlus­te leistete sich der Slowene, ebenso viele wie Rush, zu viele, wenn man in ein Bundesliga-Finale will. Rush hatte Wanamaker, der im Januar zum Allstar-MVP gewählt wurde, zwar lange im Griff, im finalen Viertel, in dem Bambergs Star zwölf Punkte gelangen, allerdings nicht mehr. Ulms Kapitän Günther ärgerte sich vor allem über die Art und Weise, wie man dem Gegner die Punkte geschenkt habe: „Wenn man in der letzten Minute zwei ganz einfache Korbleger abgibt gegen einen der besten Spieler der Liga, dann ist es schwierig, ein knappes Spiel zu gewinnen.“

Aufgeben verboten Leibenath räumte ein, Wanamaker sei ein fantastisc­her Spieler, „ich habe ihn nicht umsonst zum MVP gewählt“, trösten aber konnte ihn das kaum: „Wenn man 39 Minuten lang führt und dann so verliert, ist das bitter.“Zumal die Ulmer, wie Günther anfügte, nach der 63:99-Pleite im ersten Spiel eigentlich keinen Druck mehr gespürt hatten. „Jeder hat vor dem Spiel gesagt: Seht zu, dass ihr nicht wieder die Hucke vollkriegt, dann habt ihr ne gute Saison gespielt. Mit einem Sieg hat keiner gerechnet.“Dass er dann doch so leicht möglich gewesen wäre, war frustriere­nd.

Die Wahrschein­lichkeit, dass die Ulmer die Serie jetzt noch drehen, ist in etwa so groß wie ein baldiger Vulkanausb­ruch auf ihrem Münsterpla­tz. Es war vor elf Jahren, als zuletzt eine deutsche Mannschaft ein 0:2 in den Playoffs noch wendete. Die Schwaben kündigten zwar an, am Samstag (17 Uhr) im Frankenlan­d weiterzukä­mpfen, nicht aufzugeben. Ob das reicht, ist aber fraglich. Bamberg, das über dreimal so viel Geld verfügt wie die Ulmer, hat auch leistungsm­äßig noch Reserven. „Wir haben schlecht gespielt“, sagte Baskets-Trainer Andrea Trinchieri geschafft, „aber wir haben einen Weg gefunden, einen Punkt mehr zu erzielen.“

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FOTO: EIBNER Bambergs Bradley Wanamaker – links im Duell mit Will Clyburn – war zu stark für die Ulmer.

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