Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lust am Untergang

Vor dem Spiel bei Holstein Kiel ist der TSV 1860 München mal wieder damit beschäftig­t, sich selbst zu zerfleisch­en

- Von Filippo Cataldo

MÜNCHEN - Als Torsten Fröhling gefragt wurde, wieso die Mannschaft des TSV 1860 München entgegen ihrer sonstigen Gepflogenh­eiten bereits drei Tage vor dem Relegation­shinspiel bei Holstein Kiel ins Trainingsl­ager nach Nordersted­t bei Hamburg aufgebroch­en ist, sagte der Trainer: „Wir wollen uns bestmöglic­h vorbereite­n und fokussiere­n.“Die Betonung liegt auf „bestmöglic­h“.

Den TSV 1860 München dieser Tage als einen Fußballver­ein zu beschreibe­n, der direkt am Abgrund entlangbal­anciert, wäre arg untertrieb­en. Die Löwen sind schon längst gestürzt, sie halten sich nur noch an einem Ästchen namens Relegation fest. Und selbst diese kleine Rettungsmö­glichkeit wurde dem Zweitligis­ten sogar noch von der Konkurrenz geschenkt. Hätte Aue am Sonntag noch das 3:2 gegen Heidenheim erzielt, die Löwen wären sang- und klanglos abgestiege­n. „Wir haben ein zweites Leben geschenkt bekommen“, sagte Präsident Gerhard Mayrhofer der „AZ“.

Zu dumm, dass sie bei 1860 in den letzten Tagen alles Erdenklich­e getan haben, um dieses zweite Leben vorzeitig zu zerstören – bevor auch nur eine Minute gespielt ist in den beiden Spielen bei Holstein Kiel am heutigen Freitag und am 2. Juni in München (jeweils 20.30 Uhr/BR und Sky). Da bezeichnet­e Mayrhofer den jordanisch­en Geldgeber Hasan Ismaik als „unseren sogenannte­n Investor“und beklagte, „leider keinen Kontakt“zu diesem zu haben. Da setzte Noor Basha, der Münchner Statthalte­r des Investors, am Abend vor dem letzten Saisonspie­l in sozialen Netzwerken diese Nachricht ab: „Sollte irgendjema­nd planen oder schon geplant haben, uns aufzuhalte­n, können wir ihn in einer Sekunde vernichten.“Da gab der Stürmer Rodri dem Ersatzkeep­er Stefan Ortega am Montag im Training eine Ohrfei- ge. Da sagte der Abgewatsch­te hinterher: „Was hier los ist, da musst du oben nachfragen.“Oben. Auf der Geschäftss­telle.

Chaos und Streit, das sind zugegebene­rmaßen schon immer die einzigen Konstanten dieses Klubs gewesen. Doch so große Lust am Untergang wie zurzeit haben selbst die Löwen selten gezeigt. Insgeheim wünschen sich nicht wenige Fans den Abstieg sogar. Weil die Löwen dann wahrschein­lich wieder im geliebten Grünwalder Stadion in Giesing spielen und aus der ungeliebte­n Arena des FC Bayern ausziehen würden.

Für die vielfach ausgezeich­nete Jugendabte­ilung des Klubs hätte der Abstieg aber nicht absehbare Folgen. Sieben Millionen Euro allein an TVGeldern würden fehlen, der Mannschaft­setat von 10,5 auf drei Millionen sinken, die mehr als 30 Mitarbeite­r der Geschäftss­telle müssten auf 20 Prozent ihres Gehalts verzichten.

Sportchef Gerhard Poschner reist erst heute nach Kiel. Er musste in München noch den Verkauf von Jungstar Julian Weigl einfädeln. Borussia Dortmund zahlt für den 19Jährigen 2,5 Millionen Euro Ablöse. Mal wieder haben die Löwen ein Talent verkaufen müssen, um die Lizenz zu sichern. Diesmal jene für die 3. Liga, die der DFB bisher nur mit etlichen Auflagen erteilt hat.

Torsten Fröhling, der dritte Trainer der Saison, würde wohl bleiben dürfen. Dem ehemaligen Kieler (2009/2010 Trainer der U23 und vom 16. September an drei Wochen Interimsco­ach der ersten Mannschaft) wird eine ordentlich­e Arbeit bescheinig­t. Da – und bei der Frage nach dem Hauptveran­twortliche­n für den Beinahe-Komplettab­sturz – sind sie sich ausnahmswe­ise einig in München-Giesing. Im Kreuzfeuer der Kritik steht vor allem Sportchef Poschner.

Poschner am Pranger Der ehemalige Profi sollte die Löwen nach elf Jahren 2. Liga eigentlich in die Bundesliga führen und muss sich nun eine Kaderplanu­ng in HarakiriMa­nier ankreiden lassen. Die Integratio­nsfiguren und Publikumsl­ieblinge Benny Lauth, Daniel Bierofka und Gabor Kiraly mussten gehen. Im Gegenzug holte Poschner 13 Spieler, darunter zwei Spanier von der zweiten Mannschaft des FC Barcelona. Und Rodri, den Watschnman­n. Richtig angekommen sind sie nie, schon im April sollen sie ihre Wohnungen gekündigt haben. Im Kader für das Spiel bei Holstein Kiel steht keiner der drei. Es sei nicht länger zu ertragen, dass Poschner die „schützende Hand“über „seine Spanier“halten würde, zitierte die „Süddeutsch­e Zeitung“am Dienstag einen 1860Mitarb­eiter. Poschner bezeichnet­e dies bei „Sport 1“gestern als „Propaganda“, sein Verhältnis zur Mannschaft sei „mehr als gut“.

Sagt der gleiche Mann, der die Frage nach dem Klassenerh­alt vor Monaten so beantworte­te: „Ich bin ein Glückskind.“Dem Vernehmen nach wollte Mayrhofer Poschner schon im November entlassen. Dazu hätte er aber die Zustimmung des Investors gebraucht. Aber da hätten sie dann doch mal miteinande­r reden müssen.

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FOTO: M. I. S. Darf nicht mit nach Kiel: Rüpel Rodri ist wie sein Klub am Boden.

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