Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Lust am Untergang
Vor dem Spiel bei Holstein Kiel ist der TSV 1860 München mal wieder damit beschäftigt, sich selbst zu zerfleischen
MÜNCHEN - Als Torsten Fröhling gefragt wurde, wieso die Mannschaft des TSV 1860 München entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten bereits drei Tage vor dem Relegationshinspiel bei Holstein Kiel ins Trainingslager nach Norderstedt bei Hamburg aufgebrochen ist, sagte der Trainer: „Wir wollen uns bestmöglich vorbereiten und fokussieren.“Die Betonung liegt auf „bestmöglich“.
Den TSV 1860 München dieser Tage als einen Fußballverein zu beschreiben, der direkt am Abgrund entlangbalanciert, wäre arg untertrieben. Die Löwen sind schon längst gestürzt, sie halten sich nur noch an einem Ästchen namens Relegation fest. Und selbst diese kleine Rettungsmöglichkeit wurde dem Zweitligisten sogar noch von der Konkurrenz geschenkt. Hätte Aue am Sonntag noch das 3:2 gegen Heidenheim erzielt, die Löwen wären sang- und klanglos abgestiegen. „Wir haben ein zweites Leben geschenkt bekommen“, sagte Präsident Gerhard Mayrhofer der „AZ“.
Zu dumm, dass sie bei 1860 in den letzten Tagen alles Erdenkliche getan haben, um dieses zweite Leben vorzeitig zu zerstören – bevor auch nur eine Minute gespielt ist in den beiden Spielen bei Holstein Kiel am heutigen Freitag und am 2. Juni in München (jeweils 20.30 Uhr/BR und Sky). Da bezeichnete Mayrhofer den jordanischen Geldgeber Hasan Ismaik als „unseren sogenannten Investor“und beklagte, „leider keinen Kontakt“zu diesem zu haben. Da setzte Noor Basha, der Münchner Statthalter des Investors, am Abend vor dem letzten Saisonspiel in sozialen Netzwerken diese Nachricht ab: „Sollte irgendjemand planen oder schon geplant haben, uns aufzuhalten, können wir ihn in einer Sekunde vernichten.“Da gab der Stürmer Rodri dem Ersatzkeeper Stefan Ortega am Montag im Training eine Ohrfei- ge. Da sagte der Abgewatschte hinterher: „Was hier los ist, da musst du oben nachfragen.“Oben. Auf der Geschäftsstelle.
Chaos und Streit, das sind zugegebenermaßen schon immer die einzigen Konstanten dieses Klubs gewesen. Doch so große Lust am Untergang wie zurzeit haben selbst die Löwen selten gezeigt. Insgeheim wünschen sich nicht wenige Fans den Abstieg sogar. Weil die Löwen dann wahrscheinlich wieder im geliebten Grünwalder Stadion in Giesing spielen und aus der ungeliebten Arena des FC Bayern ausziehen würden.
Für die vielfach ausgezeichnete Jugendabteilung des Klubs hätte der Abstieg aber nicht absehbare Folgen. Sieben Millionen Euro allein an TVGeldern würden fehlen, der Mannschaftsetat von 10,5 auf drei Millionen sinken, die mehr als 30 Mitarbeiter der Geschäftsstelle müssten auf 20 Prozent ihres Gehalts verzichten.
Sportchef Gerhard Poschner reist erst heute nach Kiel. Er musste in München noch den Verkauf von Jungstar Julian Weigl einfädeln. Borussia Dortmund zahlt für den 19Jährigen 2,5 Millionen Euro Ablöse. Mal wieder haben die Löwen ein Talent verkaufen müssen, um die Lizenz zu sichern. Diesmal jene für die 3. Liga, die der DFB bisher nur mit etlichen Auflagen erteilt hat.
Torsten Fröhling, der dritte Trainer der Saison, würde wohl bleiben dürfen. Dem ehemaligen Kieler (2009/2010 Trainer der U23 und vom 16. September an drei Wochen Interimscoach der ersten Mannschaft) wird eine ordentliche Arbeit bescheinigt. Da – und bei der Frage nach dem Hauptverantwortlichen für den Beinahe-Komplettabsturz – sind sie sich ausnahmsweise einig in München-Giesing. Im Kreuzfeuer der Kritik steht vor allem Sportchef Poschner.
Poschner am Pranger Der ehemalige Profi sollte die Löwen nach elf Jahren 2. Liga eigentlich in die Bundesliga führen und muss sich nun eine Kaderplanung in HarakiriManier ankreiden lassen. Die Integrationsfiguren und Publikumslieblinge Benny Lauth, Daniel Bierofka und Gabor Kiraly mussten gehen. Im Gegenzug holte Poschner 13 Spieler, darunter zwei Spanier von der zweiten Mannschaft des FC Barcelona. Und Rodri, den Watschnmann. Richtig angekommen sind sie nie, schon im April sollen sie ihre Wohnungen gekündigt haben. Im Kader für das Spiel bei Holstein Kiel steht keiner der drei. Es sei nicht länger zu ertragen, dass Poschner die „schützende Hand“über „seine Spanier“halten würde, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“am Dienstag einen 1860Mitarbeiter. Poschner bezeichnete dies bei „Sport 1“gestern als „Propaganda“, sein Verhältnis zur Mannschaft sei „mehr als gut“.
Sagt der gleiche Mann, der die Frage nach dem Klassenerhalt vor Monaten so beantwortete: „Ich bin ein Glückskind.“Dem Vernehmen nach wollte Mayrhofer Poschner schon im November entlassen. Dazu hätte er aber die Zustimmung des Investors gebraucht. Aber da hätten sie dann doch mal miteinander reden müssen.