Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Opfer des eigenen Erfolgs
Millionen Deutsche haben sich mit Zelten, Bergschuhen und Wanderjacken eingedeckt – Nun ist der Markt gesättigt
FRIEDRICHSHAFEN - Der Eishaken war eine bahnbrechende Erfindung für den Bergsport, ebenso wie das Kernmantelseil und das Mountainbike. Dagegen nehmen sich die Neuerungen unserer Zeit bescheidener aus. Ein drahtloser Kopfhörer, der den Kletterer auch in der Steilwand mit Musik beschallt. Ein aufblasbares Reisekissen, dessen Ventil nicht nach Gummi schmeckt. Oder ein gusseiserner Raketenofen, der das Zelt heizt und als Kochstelle dient.
Hersteller von Bergsteigerausrüstung und Wanderzubehör zeigen sich auf der Outdoor in Friedrichshafen einfallsreich, um die gesättigte Kundschaft wieder in die Läden zu locken. Denn die Branche steht vor einem Problem: Die Leute haben alles.
„Die Marktsituation ist weiterhin angespannt.“
Manager Mark Held sieht die Branche in einem Verdrängungswettbewerb.
Der Markt für Outdoor-Produkte erreichte in Europa 2014 einen Umsatz von 4,8 Milliarden Euro. „Selbst Skeptiker müssen anerkennen, dass es sich nicht nur um einen kurzlebigen Trend handelt“, sagt Mark Held, Generalsekretär des europäischen Branchenverbands European Outdoor Group (EOG). Weil sich mit Wandermaterial und Campingausstattung so viel Geld verdienen lässt, tauchen immer mehr Anbieter auf. Die Folge: ein Verdrängungswettbewerb. Kleine Spezialisten machen großen Konzernen Konkurrenz. Unternehmen wie Vaude, Jack Wolfskin und Mammut eröffnen eigene Geschäfte, was wiederum angestammten Sportgeschäften zu schaffen macht. Weil Wandern ein Massenvergnügen ist, drängen auch Discounter in diesen Markt, was aus Sicht der Händler die Preise verdirbt.
„Die Marktsituation ist angespannt und von einem sehr harten Konkurrenzkampf um Kunden geprägt“, sagt Held. Seine Kollegen sprechen von „Herausforderungen“und „Konsolidierung“. Die Unternehmer eiern herum, um einen Satz nicht sagen zu müssen: Die fetten Jahre sind vorbei. Zahlreiche Europäer haben sich in den vergangenen Jahren mit Bergschuhen, Allwetterjacken und Wanderhemden eingedeckt. Die Probe aufs Exempel lässt sich auf den Wochenmärkten in Ulm oder Ravensburg machen: Je nach Wetter sehen brave Durchschnittsdeutsche aus, als brächen sie zu Viele Neuheiten, die auf der Outdoor zu sehen sind, kommen im Herbst in die Geschäfte. Der Hersteller Vaude aus Tettnang ( Bodenseekreis) zeigt den Leicht- Wanderrucksack Citus LW. Er bringt weniger als ein halbes Kilogramm auf die Waage und ist damit einer der leichtesten Wanderrucksäcke mit belüftetem Netzrücken. Entwickelt wurde er für Wanderpuristen, die sich möglichst unbelastet auf die Spur der Natur wagen. Umweltschutz und Ressourcenschonung hat für Vaude traditionell einen hohen Stellenwert.
Dschungelexpeditionen oder an den Polarkreis auf.
Zum Leidwesen der Händler denken diese Leute aber nicht daran, ihre Ausrüstung ständig zu erneuern. Dabei geben sich die Hersteller größte Mühe, Kleidung in grellem Grün und Wenn es darum geht, die OutdoorBranche nachhaltig voranzubringen, gehört auch die kleine englische Firma Nikwax zu den ganz Großen. Das Unternehmen gehört dem Chemiker Nick Brown. Er hat eine wasserfeste Daune entwickelt, die den strengen IDFB- Schütteltest bestanden hat. Mindestens 1000 Minuten hält die hydrophobe Daune Nässe und Schütteln stand. Die Daune steckt zum Beispiel in Schlafsäcken. Brown: „Wir haben bewiesen, dass man extrem hohe Wasserabweisung auch ohne Chemie erreichen kann.“
sattem Pink zu produzieren – in der Hoffnung, dass sich Wanderer neue Klamotten zulegen, wenn sie der Farbe überdrüssig sind. Auch technische Neuerungen, auf die sich die Branche mit Leidenschaft stürzte, lassen viele Menschen kalt. Wenn eine Jacke Der Wall Rider des Bergsportspezialisten Mammut aus Seon in der Schweiz ist einer der leichtesten Kletterhelme. Das niedrige Gewicht wird durch den Einsatz einer Schale aus dem Kunststoff EPP erreicht. EPP erholt sich nach einer Belastung, etwa durch einen Stoß, in kurzer Zeit und nimmt wieder die ursprüngliche Form an. Die Helmschale wird zusätzlich mit einer robusten Hartschale verstärkt. Der Helm ist mit Belüftungsöffnungen ausgestattet, Clips und Gummilasche dienen als Stirnlampenbefestigung. ( str) Wasser abweist, reicht das einem Wanderer im Säntis völlig. Sie muss keinen tagelangen Monsun aushalten. Ob ein Rucksack 1200 oder 1400 Gramm wiegt, ist bei einer Tagestour auf den Grünten eher nebensächlich.
Die Outdoor-Branche steht damit Bei der internationalen Leitmesse Outdoor in Friedrichshafen sind alle „ branchenrelevanten Marken und Aussteller“dabei, sagt Messe- Geschäftsführer Klaus Wellmann. Gezeigt werden Bekleidung, Schuhe, Rucksäcke, Schlafsäcke, Zelte sowie Camping- und Kletterausrüstung. Beteiligt sind 940 Aussteller aus 41 Nationen. Die Messe belegt alle zwölf Hallen sowie das Freigelände und den Messesee. Die Outdoor findet zum 22. Mal statt, dauert diesmal bis Samstag und ist nur fürs Fachpublikum geöffnet. Erwartet werden mehr als 20 000 Besucher. ( str) vor ähnlichen Problemen wie die Kamerahersteller Anfang der 2000erJahre. Ob ein digitaler Fotoapparat zehn oder zwölf Megapixel hatte, scherte die Kunden damals kaum. Ihnen waren gute Objektive und ein vernünftiger Preis wichtiger, worauf Die Outdoor-Mode bleibt farbenfroh und funktional. die Kamera-Riesen aber nicht hörten, weil sie von ihren Pixeln so berauscht waren.
Die Outdoor-Firmen haben sich nun aber tatsächlich vorgenommen, ihren Kunden wieder bodenständig zu begegnen. „Zurück zu den Wurzeln“, sagt die Bergsteigerin Petra Thaller. „Wir müssen weg von den Extremen.“Dem pflichtet Matthias Gebhard bei. Der Chef des OnlineHändlers Bergfreunde berichtet, weder Kunden noch Händler hätten Interesse an immer größeren Kollektionen. Wandergeschäfte wollten keine
„Wir müssen weg von
den Extremen.“
Modeläden werden. Statt an Extrembergsteiger oder Supersportler richten sich viele Firmen wieder an normale Kunden: Pärchen, die hin und wieder eine Wanderung im Allgäu machen, Senioren, die an der Donau Fahrrad fahren, oder Jugendliche, die zwischen zwei Bäumen eine Slackline (Band) spannen.
Auch um Familien wollen sich die Anbieter kümmern, damit Stadtkinder nicht zu Stubenhockern werden. Das durchschnittliche Kind laufe nur ein bis 1,5 Kilometer pro Tag, beklagt Thaller – statt sieben Kilometer wie vor 20 Jahren. Den Herstellern spielt in die Hände, dass viele Eltern so besorgt um das Wohlergehen ihrer Sprösslinge sind. Seitdem Hinterhöfe als Gefahrenzonen gelten und der Schulweg für Grundschüler zum Abenteuer geworden ist, ist es folgerichtig, dass sich Expeditionsspezialisten dieser Kundengruppe annehmen. Thaller sagt: „Sicherheit ist ein großes Thema.“
Weitere Fotos von der Outdoor 2015 unter: schwaebische.de/outdoor