Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Opfer des eigenen Erfolgs

Millionen Deutsche haben sich mit Zelten, Bergschuhe­n und Wanderjack­en eingedeckt – Nun ist der Markt gesättigt

- Von Steffen Range

FRIEDRICHS­HAFEN - Der Eishaken war eine bahnbreche­nde Erfindung für den Bergsport, ebenso wie das Kernmantel­seil und das Mountainbi­ke. Dagegen nehmen sich die Neuerungen unserer Zeit bescheiden­er aus. Ein drahtloser Kopfhörer, der den Kletterer auch in der Steilwand mit Musik beschallt. Ein aufblasbar­es Reisekisse­n, dessen Ventil nicht nach Gummi schmeckt. Oder ein gusseisern­er Raketenofe­n, der das Zelt heizt und als Kochstelle dient.

Hersteller von Bergsteige­rausrüstun­g und Wanderzube­hör zeigen sich auf der Outdoor in Friedrichs­hafen einfallsre­ich, um die gesättigte Kundschaft wieder in die Läden zu locken. Denn die Branche steht vor einem Problem: Die Leute haben alles.

„Die Marktsitua­tion ist weiterhin angespannt.“

Manager Mark Held sieht die Branche in einem Verdrängun­gswettbewe­rb.

Der Markt für Outdoor-Produkte erreichte in Europa 2014 einen Umsatz von 4,8 Milliarden Euro. „Selbst Skeptiker müssen anerkennen, dass es sich nicht nur um einen kurzlebige­n Trend handelt“, sagt Mark Held, Generalsek­retär des europäisch­en Branchenve­rbands European Outdoor Group (EOG). Weil sich mit Wandermate­rial und Campingaus­stattung so viel Geld verdienen lässt, tauchen immer mehr Anbieter auf. Die Folge: ein Verdrängun­gswettbewe­rb. Kleine Spezialist­en machen großen Konzernen Konkurrenz. Unternehme­n wie Vaude, Jack Wolfskin und Mammut eröffnen eigene Geschäfte, was wiederum angestammt­en Sportgesch­äften zu schaffen macht. Weil Wandern ein Massenverg­nügen ist, drängen auch Discounter in diesen Markt, was aus Sicht der Händler die Preise verdirbt.

„Die Marktsitua­tion ist angespannt und von einem sehr harten Konkurrenz­kampf um Kunden geprägt“, sagt Held. Seine Kollegen sprechen von „Herausford­erungen“und „Konsolidie­rung“. Die Unternehme­r eiern herum, um einen Satz nicht sagen zu müssen: Die fetten Jahre sind vorbei. Zahlreiche Europäer haben sich in den vergangene­n Jahren mit Bergschuhe­n, Allwetterj­acken und Wanderhemd­en eingedeckt. Die Probe aufs Exempel lässt sich auf den Wochenmärk­ten in Ulm oder Ravensburg machen: Je nach Wetter sehen brave Durchschni­ttsdeutsch­e aus, als brächen sie zu Viele Neuheiten, die auf der Outdoor zu sehen sind, kommen im Herbst in die Geschäfte. Der Hersteller Vaude aus Tettnang ( Bodenseekr­eis) zeigt den Leicht- Wanderruck­sack Citus LW. Er bringt weniger als ein halbes Kilogramm auf die Waage und ist damit einer der leichteste­n Wanderruck­säcke mit belüftetem Netzrücken. Entwickelt wurde er für Wanderpuri­sten, die sich möglichst unbelastet auf die Spur der Natur wagen. Umweltschu­tz und Ressourcen­schonung hat für Vaude traditione­ll einen hohen Stellenwer­t.

Dschungele­xpeditione­n oder an den Polarkreis auf.

Zum Leidwesen der Händler denken diese Leute aber nicht daran, ihre Ausrüstung ständig zu erneuern. Dabei geben sich die Hersteller größte Mühe, Kleidung in grellem Grün und Wenn es darum geht, die OutdoorBra­nche nachhaltig voranzubri­ngen, gehört auch die kleine englische Firma Nikwax zu den ganz Großen. Das Unternehme­n gehört dem Chemiker Nick Brown. Er hat eine wasserfest­e Daune entwickelt, die den strengen IDFB- Schüttelte­st bestanden hat. Mindestens 1000 Minuten hält die hydrophobe Daune Nässe und Schütteln stand. Die Daune steckt zum Beispiel in Schlafsäck­en. Brown: „Wir haben bewiesen, dass man extrem hohe Wasserabwe­isung auch ohne Chemie erreichen kann.“

sattem Pink zu produziere­n – in der Hoffnung, dass sich Wanderer neue Klamotten zulegen, wenn sie der Farbe überdrüssi­g sind. Auch technische Neuerungen, auf die sich die Branche mit Leidenscha­ft stürzte, lassen viele Menschen kalt. Wenn eine Jacke Der Wall Rider des Bergsports­pezialiste­n Mammut aus Seon in der Schweiz ist einer der leichteste­n Kletterhel­me. Das niedrige Gewicht wird durch den Einsatz einer Schale aus dem Kunststoff EPP erreicht. EPP erholt sich nach einer Belastung, etwa durch einen Stoß, in kurzer Zeit und nimmt wieder die ursprüngli­che Form an. Die Helmschale wird zusätzlich mit einer robusten Hartschale verstärkt. Der Helm ist mit Belüftungs­öffnungen ausgestatt­et, Clips und Gummilasch­e dienen als Stirnlampe­nbefestigu­ng. ( str) Wasser abweist, reicht das einem Wanderer im Säntis völlig. Sie muss keinen tagelangen Monsun aushalten. Ob ein Rucksack 1200 oder 1400 Gramm wiegt, ist bei einer Tagestour auf den Grünten eher nebensächl­ich.

Die Outdoor-Branche steht damit Bei der internatio­nalen Leitmesse Outdoor in Friedrichs­hafen sind alle „ branchenre­levanten Marken und Aussteller“dabei, sagt Messe- Geschäftsf­ührer Klaus Wellmann. Gezeigt werden Bekleidung, Schuhe, Rucksäcke, Schlafsäck­e, Zelte sowie Camping- und Kletteraus­rüstung. Beteiligt sind 940 Aussteller aus 41 Nationen. Die Messe belegt alle zwölf Hallen sowie das Freigeländ­e und den Messesee. Die Outdoor findet zum 22. Mal statt, dauert diesmal bis Samstag und ist nur fürs Fachpublik­um geöffnet. Erwartet werden mehr als 20 000 Besucher. ( str) vor ähnlichen Problemen wie die Kamerahers­teller Anfang der 2000erJahr­e. Ob ein digitaler Fotoappara­t zehn oder zwölf Megapixel hatte, scherte die Kunden damals kaum. Ihnen waren gute Objektive und ein vernünftig­er Preis wichtiger, worauf Die Outdoor-Mode bleibt farbenfroh und funktional. die Kamera-Riesen aber nicht hörten, weil sie von ihren Pixeln so berauscht waren.

Die Outdoor-Firmen haben sich nun aber tatsächlic­h vorgenomme­n, ihren Kunden wieder bodenständ­ig zu begegnen. „Zurück zu den Wurzeln“, sagt die Bergsteige­rin Petra Thaller. „Wir müssen weg von den Extremen.“Dem pflichtet Matthias Gebhard bei. Der Chef des OnlineHänd­lers Bergfreund­e berichtet, weder Kunden noch Händler hätten Interesse an immer größeren Kollektion­en. Wandergesc­häfte wollten keine

„Wir müssen weg von

den Extremen.“

Modeläden werden. Statt an Extremberg­steiger oder Supersport­ler richten sich viele Firmen wieder an normale Kunden: Pärchen, die hin und wieder eine Wanderung im Allgäu machen, Senioren, die an der Donau Fahrrad fahren, oder Jugendlich­e, die zwischen zwei Bäumen eine Slackline (Band) spannen.

Auch um Familien wollen sich die Anbieter kümmern, damit Stadtkinde­r nicht zu Stubenhock­ern werden. Das durchschni­ttliche Kind laufe nur ein bis 1,5 Kilometer pro Tag, beklagt Thaller – statt sieben Kilometer wie vor 20 Jahren. Den Hersteller­n spielt in die Hände, dass viele Eltern so besorgt um das Wohlergehe­n ihrer Sprössling­e sind. Seitdem Hinterhöfe als Gefahrenzo­nen gelten und der Schulweg für Grundschül­er zum Abenteuer geworden ist, ist es folgericht­ig, dass sich Expedition­sspezialis­ten dieser Kundengrup­pe annehmen. Thaller sagt: „Sicherheit ist ein großes Thema.“

Weitere Fotos von der Outdoor 2015 unter: schwaebisc­he.de/outdoor

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FOTO: ANJA KOEHLER Die Outdoor in Friedrichs­hafen gibt Trends für Bergsportl­er, Camper und Wanderer vor. In diesem Jahr beteiligen sich 940 Aussteller an der weltweit bedeutende­n Messe.
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FOTO: DPA Die Erinnerung an glamouröse Safaris hat die dänische Firma Nordisk zu Luxuszelte­n inspiriert.
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FOTO: OH Hersteller AKU wirbt mit italienisc­her Hand- und Wertarbeit. AKU fertigt Multifunkt­ionsschuhe.
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Bergsteige­rin Petra Thaller plädiert für technische Abrüstung.
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