Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Es kann und wird niemals einen Schlussstr­ich geben“

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BERLIN - Oskar Gröning ist zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Julian Heißler sprach darüber mit dem in Ellwangen/Jagst geborenen Professor Wolfgang Benz (Foto: oh), Antisemiti­smus-Forscher an der Technische­n Universitä­t Berlin.

Ist das Urteil gerecht? Es gibt keine Gerechtigk­eit, wenn es um Beihilfe zum dreihunder­ttausendfa­chen Mord geht. Es gibt nur eine Justiz, die nach Recht und Gesetz ihre Pflicht und Schuldigke­it tut. Erwartungs­gemäß ist der Angeklagte nicht freigespro­chen, sondern zu einer moderaten Strafe verurteilt worden. Das Urteil ist dennoch wichtig. Es bestätigt, dass Mord und die Beihilfe dazu nicht verjähren und deshalb verfolgt und bestraft werden müssen. Es zeigt, dass es niemals einen Schlussstr­ich geben kann und wird.

Was bedeutete der Prozess für die weitere Aufarbeitu­ng der NSVerbrech­en? In diesem Prozess hat sich ein Täter nicht mit einem vermeintli­chen Befehlsnot­stand herausgere­det. Gröning hat sich zu seiner Täterschaf­t bekannt und nicht versucht damit durchzukom­men, er habe ja nur Kleider an der Rampe sortiert. Er hat sich seiner Schuld gestellt und Reue gezeigt. Verglichen etwa mit dem Fall Demjanjuk ist das eine ganz andere Qualität. Im Prozess gegen diesen KZ-Aufseher hat der Angeklagte nur geschwiege­n und seinen Anwalt wortreich seine Unschuld verbreiten lassen. Das war im Fall Gröning anders. Neonazis und Rechtsextr­emisten können nicht mehr behaupten, es sei ja alles nicht so schlimm gewesen. Die Täter waren keine Verführten! Das wird den Diskurs über das nationalso­zialistisc­he Morden verändern.

Die Auschwitz-Überlebend­e Eva Kor hat Gröning vergeben und ihm die Hand gereicht. Was bedeutet diese Geste? Vergebung kann nur auf der persönlich­en Ebene stattfinde­n. Es war ein schönes Zeichen der Humanität. Die Kritik daran kann ich nicht nachvollzi­ehen. Es war eine Begegnung zwischen einem Opfer und einem Täter – nicht mehr. Für Historiker ist damit keine Botschaft verknüpft. Es ändert nichts.

Grönings Rolle als Buchhalter in Auschwitz war lange bekannt. Warum dauerte es so lange, bis er vor Gericht gestellt wurde? Die deutsche Justiz hat unendlich viel versäumt. Viel zu lange wurden viel zu viele Augen zugedrückt, als es um die Verfolgung von NS-Verbrecher­n ging. Das hat es Tätern über Jahrzehnte erlaubt, durch die Maschen der Justiz zu schlüpfen.

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